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Schlagen, treten, verbrennenWenn Eltern ihre Kinder misshandeln

Lesezeit 5 Minuten

Auch heute werden manche Kinder in Deutschland immer noch von ihren Eltern geschlagen – und zwar in allen Schichten.

Berlin – Die Anspannung im Raum ist deutlich spürbar. Kaum jemand sagt etwas. Die Koordinatorin der Kinderschutzambulanz, Susanne Rother, und ihre Kolleginnen warten auf den nächsten Patienten, einen kleinen Jungen. „Man weiß nie, was kommt“, sagt Rother. Fast täglich untersucht sie mit ihrem Team verletzte Mädchen und Jungen in der Kinderschutzambulanz im Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln. Die Experten versuchen herausfinden, ob die eigenen Eltern für eine Verletzung verantwortlich sind.

Seit dem Jahr 2000 haben Kinder in Deutschland ein gesetzlich festgeschriebenes Recht darauf, ohne jegliche körperliche oder psychische Bestrafung aufzuwachsen. Am 30. April erinnert der Tag für gewaltfreie Erziehung daran, dass selbst der kleine Klaps auf den Po verboten ist. „Das ist leider noch nicht überall angekommen“, sagt Sylvester von Bismarck, der die Ambulanz mit Rainer Rossi leitet und es meist mit deutlich schwereren Fällen zu tun hat.

Zigaretten auf dem Po ausgedrückt

Eltern, die ihren Kleinkindern Zigaretten auf dem Po ausdrücken, um sie fürs Einmachen in die Windel zu bestrafen und zur Sauberkeit zu „erziehen“. Eltern, die ihre Kinder beißen, mit Gürteln schlagen, treten, sie an Heizkörpern oder auf Herdplatten verbrennen. Kinder mit blauen Flecken an ungewöhnlichen Stellen. All das hat von Bismarck schon erlebt.

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Etwa 150 Kinder und ihre Eltern schicken die Jugendämter und andere Institutionen jährlich in die Neuköllner Ambulanz. Bundesweit gibt es verschiedene andere Kinderschutz-Zentren. In Berlin-Neukölln können die Experten in jedem fünften Fall sicher sagen, dass Verletzungen zugefügt wurden. In 60 Prozent der Fälle bleibt die Herkunft der Wunden unklar. Bei weiteren 20 Prozent können sie die Eltern entlasten. „Manchmal können die Eltern glaubhaft machen, dass das Kind mit einer schweren Kopfverletzung tatsächlich vom Wickeltisch gefallen ist“, sagt Rossi.

Gewalt kommt in allen Schichten vor

Gewalt gebe es in allen Schichten. „Besonders hoch ist das Risiko, aber da, wo der Stress am größten ist“, sagt von Bismarck mit Blick auf Familien mit wenig Geld, Arbeitslosigkeit oder Alleinerziehenden mit mehreren Kindern. Bei den meisten Eltern funktioniere die Erziehung im Großen und Ganzen. Doch in Situationen, in denen plötzlich Stress auftrete, wüssten manche Eltern sich nicht mehr anders zu helfen als zuzuschlagen. Vor allem, wenn sie in ihrer eigenen Kindheit Gewalt als probate Erziehungsmethode erlebt hätten. „Ab einem gewissen Punkt können sie nicht mehr anders. Das ist wie eine Übersprungshandlung“, so der Arzt.

Studien zeigen, dass das Gesetz aus dem Jahr 2000 durchaus ins Bewusstsein vieler Eltern gerückt und Gewalt gegen den Nachwuchs rückläufig ist. Doch sie ist nach wie vor da. Rund drei Prozent der Deutschen haben bereits schwere körperliche Misshandlungen erlebt, zeigt eine Studie von Wissenschaftlern um Ulrich Fegert, dem ärztlichen Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Ulm. Weitaus häufiger sind leichtere körperliche Strafen wie der berühmte Klaps auf den Po. Etwa 45 Prozent der Eltern halten ihn heute noch für ein angebrachtes Erziehungsmittel, allerdings deutlich weniger als noch 2005. Da waren es 76 Prozent, wie eine weitere Studie von Fegert zeigt.

Eltern sind verunsichert

„Noch in den 1950/60er Jahren galt es als ganz normal, Kinder zu schlagen“, sagt Heidemarie Arnhold, Vorstandsvorsitzende des „Arbeitskreises Neue Erziehung“. Heute wollen die meisten Eltern ihre Kinder anders erziehen als es ihre Eltern und Großeltern taten. „Ob sie es im Alltag auch durchhalten, ist eine andere Frage. Es fehlt manchmal an Vorbildern“, so Arnhold, die mit ihrem Verein unter anderem Elternbriefe mit Erziehungstipps herausgibt.

„Die Eltern sind verunsichert“, bestätigt auch Danielle Graf, eine der Autorinnen des Blogs und gleichnamigen Bestsellers „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“. Der Blog, auf dem vor allem Erziehungsfragen behandelt werden, habe eine halbe Million Zugriffe im Monat, so Graf.

Ihre Leser interessierten vor allem für den Umgang mit kindlichen Gefühlen, etwa in Trotzphasen. Körperliche Gewalt sei bei ihrer Leserschaft kein Thema, da sie abgelehnt werde. „Unsere Leser beschäftigen sich eher damit, wie sie mit ihren Kindern gewaltfrei kommunizieren können“, so Graf. Auch mit Worten könne man Kinder schließlich verletzen.

Kinderschutzbund bietet Seminare an

„Eltern sind heutzutage unter Druck. Viele deutsche Mütter haben das Super-Mütter-Syndrom. Da liegt ein hohes Maß an Überforderung drin“, sagt Arnhold. Perfekt sei aber niemand. „Kinder versuchen, Grenzen zu überschreiten. Eltern müssen akzeptieren, dass das ein ganz normaler Prozess ist“, betont sie. Es sei aber auch normal, dass man selbst an seine Grenzen komme. Für schwierige Situationen mit dem Nachwuchs empfiehlt sie: „Tief Luft holen, aus der Situation rausgehen und später, wenn man sich beruhigt hat, überlegen, wie man es gemeinsam regelt. Das Verfahren kann man mit Kindern von null bis 18 durchziehen.“

Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) bietet deutschlandweit seit Jahren Seminare an, die Eltern stärken sollen. „Wir arbeiten an den Stellschrauben, wo es zu Überlastung kommt“, sagt Bundesgeschäftsführerin Cordula Lasner-Tietze. In den Seminaren werde Eltern vermittelt, wie sie für einen ruhigeren Alltag für die Familie sorgen könnten. Das Konzept sei erfolgreich und sorge dafür, dass es zu deutlich seltener zu stressigen Situationen und somit auch Gewalt komme.

Auch die Eltern, die ihre Kinder im Neuköllner Klinikum vorstellen, seien meist an Hilfe interessiert, sagt von Bismarck. „Sie wissen ja in der Regel, dass etwas schief läuft“, so der Arzt. Den Mitarbeitern der Ambulanz vertrauten sich die Eltern oft eher an als dem Jugendamt, so von Bismarck. Die Ambulanz baue die Brücke zum Amt, da es schließlich nötige Hilfen finanziere und organisiere. „Wir wollen die Kinder ja nicht aus ihren Familien nehmen. Sie wollen ja zu Hause bleiben, eben nur nicht mehr geschlagen werden.“ (dpa)