Fotos sind heute schnell gemacht, verschickt oder gepostet. Aber dürfen Eltern das überhaupt?
Professorin Nadia Kutscher hat für eine Studie Eltern und Kinder zu ihrer Mediennutzung befragt.
Ergebnis: Eltern verschicken mehr Fotos als den Kindern recht ist. Wie ein guter Umgang mit Digitalen Medien in der Familie aussieht.
Köln – Das Kind ist auf dem Sofa eingeschlafen, ein Spuckefaden hängt ihm aus dem Mund – wie süß, denken Eltern oft und machen schnell ein Foto. Oder, harmloser, das mehlverschmierte Kind beim Kuchen backen, schnell ein Foto, das Kind in Gummistiefeln beim Spaziergang am Strand, „wir brauchen ein Erinnerungsbild“. Mit dem Smartphone sind Fotos heute schnell gemacht, verschickt oder gepostet. Dürfen Eltern das eigentlich?
„Das ist ein Problem“, sagt Prof. Dr. Nadia Kutscher, Professorin für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit an der Universität zu Köln. Und weiter: „Rein rechtlich gesehen dürfen sie das als Erziehungsberechtigte, erst ab dem Alter von 14 Jahren müssen die Kinder ihr Einverständnis dazu geben. Andererseits ist es auch eine ethische Frage, ob es in Ordnung ist, ohne Einwilligung eines Kindes ein Foto von ihm zu machen oder es zu verbreiten. Das Recht am eigenen Bild besagt, dass ein Foto nur mit Einwilligung des Betroffenen veröffentlicht oder verbreitet werden darf. Weil davon ausgegangen wird, dass Eltern im Sinne ihrer Kinder entscheiden, geht das Recht erst einmal davon aus, dass sie das dürfen, solange Kinder noch nicht für entscheidungsfähig gehalten werden. Unsere Studie zeigt aber, dass Eltern nicht unbedingt wissen, was ihre Kinder wollen.“
In Kooperation mit dem Deutschen Kinderhilfswerk hat die Universität Köln den Medienalltag in Familien qualitativ untersucht. Die Studie widmete sich unter anderem der Frage, wie digitale Mediennutzung und sogenanntes Sharenting – also die Verbreitung von Kinderbildern durch Eltern in sozialen Medien – in den Familienalltag eingelagert sind und inwiefern die Beteiligungs- und Persönlichkeitsrechte von Kindern dabei eine Rolle spielen. Wichtigstes Ergebnis: Eltern posten oder verschicken viel mehr Bilder von ihren Kindern, als es denen recht ist. Kinder selbst hätten oft genaue Vorstellungen davon, ob, wann und mit wem Bilder von ihnen geteilt werden sollten. „Allerdings werden sie von den Eltern in der Regel nicht an Entscheidungen beteiligt, wenn diese Fotos von ihnen verbreiten“, heißt es in der Studie. Im Interview spricht Prof. Nadia Kutscher über die Hintergründe.
Frau Prof. Kutscher, machen wir zu viele Fotos von unseren Kindern?
Nadia Kutscher: Schon immer wurden Fotos von Kindern gemacht und anderen Leuten gezeigt, das ist Teil des normalen Familienalltags. Was jetzt aber neu ist, sind die sozialen Netzwerke und Messenger-Dienste, über die die Bilder verbreitet werden. In unserer Untersuchung haben wir Eltern und Kinder zuerst getrennt und dann noch einmal gemeinsam interviewt. Dabei kam heraus, dass Kinder in der Regel nicht groß gefragt werden, wenn Fotos gemacht werden – unabhängig vom sozialen Hintergrund der Familien.
Wenn Fotos geteilt werden, fragen die Eltern in der Regel die Kinder auch nicht, mit wem und unter welchen Umständen das geschehen darf.
Woran liegt das? Ist das Posten von Fotos schon so selbstverständlich geworden oder sieht man einfach über die Kinder hinweg?
Kutscher: Zum einen gehen die Eltern davon aus, dass sie ihre Kinder gut kennen und wissen, was sie wollen. Die Studie hat aber gezeigt, dass das nicht unbedingt der Fall ist. Die Kinder legen andere Maßstäbe an und bewerten viele Fotos anders als ihre Eltern. Sie differenzieren auch viel genauer, wer welche Fotos sehen darf und wer nicht. Zum anderen ist in den sozialen Medien schon sehr eingebettet, dass man mal eben ein Foto macht und es auch direkt teilt. Dafür gibt es den Begriff Adiaphorisierung des Soziologen Zygmunt Bauman. Damit ist die zunehmende Befreiung unseres Handelns von moralischen Skrupeln gemeint, einfach weil die technischen Geräte uns Dinge so nahelegen, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken, was wir da machen. Auf der einen Seite stehen die Eltern, die meinen zu wissen, was für ihre Kinder gut ist, auf der anderen Seite haben wir digitale Geräte und Dienste, die ein Innehalten kaum mehr nahelegen.
Was fanden die Kinder besonders störend?
Kutscher: In den Kinderinterviews haben wir unterschiedliche Symbolfotos vorgelegt, beispielsweise einen Jungen mit einer Riesenschildkröte, Kinder, die sich an der Hand halten, ein Vater, der mit einem Jungen auf der Bank sitzt, Kinder mit nacktem Oberkörper und eine Mutter, die versucht, ihren Sohn zu küssen. Die Kinder haben sehr genau differenziert, wem sie welche Bilder zeigen würden, wenn sie selbst darauf zu sehen wären. Sie haben Fotos als peinlich eingestuft, die wir als Erwachsene unproblematisch und süß finden, beispielsweise das mit den Kindern, die sich an der Hand halten.
Haben die Kinder Angst, dass man sich über sie lustig macht?
Kutscher: Ja, das wurde häufig als Grund genannt. Einige Bilder würden die Kinder nur Menschen zeigen, die sie nicht auslachen, wie sie sagten, beispielsweise ihren Eltern oder Großeltern. Die Kinder haben ganz klar unterschieden, wer welches Foto sehen darf, Eltern, Geschwister, Freunde, Mitschüler oder alle. Kinder haben also schon sehr früh eine Vorstellung von unterschiedlichen Öffentlichkeitsgraden.
Ist den Eltern das klar? Viele Kinderfotos im Internet zeigen sogar eher lustige Missgeschicke, die die Eltern witzig finden und teilen wollen.
Kutscher: Ein Mädchen hat uns erzählt, dass ihre Mutter ohne sie zu fragen Bikinibilder von ihr auf Facebook postet. Die Mutter hat im Interview gesagt, dass sie das niemals machen würde, aber auf dem Facebook-Profil waren dann doch Bikinibilder aus dem Urlaub zu sehen. Es gibt auch hier eine Ebene der sozialen Erwünschtheit, wo man eigentlich weiß, dass man das nicht macht. Aber die tatsächlichen Praktiken weichen auch mal davon ab.
Was steckt da bei den Eltern dahinter? Ist das Unbedarftheit?
Kutscher: Zum Teil ist das tatsächlich einfach Gedankenlosigkeit. Aber eine erschöpfende Erklärung dafür, warum man sich über den Protest der Kinder hinweg setzt, haben wir auch nicht. Die Frage ist, ob es legitim ist, sich über den Willen der Kinder hinwegzusetzen oder ob man auch mal akzeptieren muss, dass das Kind nicht will und es dann halt kein Foto gibt oder man es nicht allen zeigen darf. Auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre. Außerdem wichtig: Welche Fotos sind ok und welche Fotos sind ok für wen, wer darf sie sehen? Da werden die Kinder in der Regel nicht gefragt.
Was sollten Eltern beachten, um nicht quasi nebenbei Kinderrechte zu verletzen?
Kutscher: Die Kinder immer fragen, auch schon im Alter von sechs Jahren. Kinder ab 14 Jahre müssen sogar gefragt werden, ab da gibt es eine rechtlich bindende Verpflichtung. Eltern sollten zudem gut überlegen, welche Dienste sie benutzen, sich informieren, was mit den Daten passiert und welche Anbieter eigentlich sicher sind. Gute Stellen dafür sind klicksafe.de und der Verein Digitalcourage, der auf seiner Internetseite über sichere Apps informiert.
Ein weiteres Ergebnis Ihrer Studie ist, dass Eltern sich zwar bemühen, ihren Kindern einen möglichst sicheren Zugang zu digitalen Medienangeboten zu ermöglichen, aber nicht richtig wissen, wie. Diese Mischung aus Fürsorge und Hilflosigkeit führt dann dazu, dass sie abends die Chat- und Browserverläufe kontrollieren und damit die Privatsphäre ihrer Kinder verletzen. Wie kann Medienerziehung gelingen?
Kutscher: Ein gutes Beispiel ist Whatsapp. Der Dienst ist eigentlich erst ab 16 Jahren erlaubt und zudem Teil des Facebook-Konzerns. Hier werden massenhaft Daten abgegriffen. Stattdessen könnte man andere Messenger-Dienste wie Signal oder Threema nutzen. Wenn man andere Leute bittet, für die Kommunikation mit einem selber diese Dienste zu nutzen, verbreiten sie sich genauso wie Whatsapp sich verbreitet hat. Viele wissen es aber nicht oder sagen: „Das ist mir zu kompliziert.“ Ich finde es persönlich ein Unding, dass im Schulkontext Whatsapp als ein Standardkommunikationsmittel benutzt wird.
Da werden reihenweise Daten von Kindern in den Facebook-Konzern gebracht. Und die Eltern lassen ihre Kinder mitmachen, damit sie nicht ausgeschlossen sind, wollen sie aber gleichzeitig kontrollieren. Dann gibt es auch noch die Eltern, die sagen: „Ich kenn‘ mich eh nicht aus mit diesem ganzen Digitalzeugs, da vertrau‘ ich meinem Kind.“ Eltern übertragen ihre erzieherische Verantwortung auf das Kind, das dann besser damit zurechtkommen soll als der Erwachsene. Man sieht daran, wie die Eltern kämpfen und überfordert sind.
Was muss Ihrer Meinung nach getan werden?
Kutscher: Die Anbieter müssten gesetzlich in die Pflicht genommen werden, anders mit Daten umzugehen. Selbst ich, die sich viel damit beschäftigt und kein Facebook-Produkt benutzt, kann meine Daten nicht ganz hinreichend schützen.
Die Studie „Kinder. Bilder. Rechte. – Persönlichkeitsrechte von Kindern im Kontext der digitalen Mediennutzung in der Familie“ wurde von der Universität zu Köln in Kooperation mit dem Deutschen Kinderhilfswerk erstellt. Dabei wurde auf der Basis von 37 Interviews mit Eltern und Kindern (6 bis 15 Jahre) empirisch rekonstruiert, wie der Medienerziehungszusammenhang in den befragten Familien ausgestaltet ist. Die Erhebungen fanden in insgesamt fünf Städten und Gemeinden statt.