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Besser ausrasten als weinen„Frauen müssen lernen, ihre Wut effektiv zu nutzen“

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Viele Frauen zeigen ihren Ärger nicht nach außen - das sollten sie aber. 

Köln – Wenn man sich einen wütenden Menschen vorstellt, denken die meisten wohl zuerst an einen aufgebrachten Mann. Frauen stellt man sich eher ruhig oder bestenfalls traurig vor. Dabei können selbstverständlich auch Frauen wütend sein. Sie zeigen es nur meistens nicht so offen, beziehungsweise haben gelernt, ihre Wut zu unterdrücken, um nicht als zickig, schwierig und hysterisch eingestuft zu werden. Von Frauen wird erwartet, dass sie ausgeglichen, liebevoll und ruhig sind. Sie lernen schon früh, dass sie sich besser anpassen, wenn sie etwas erreichen wollen. Doch was passiert mit der heruntergeschluckten Wut? Und wie lässt sich diese Emotion für positive Veränderungen zu nutzen? Die Journalistin Ciani-Sophia Hoeder hat diesen Fragen mit „Wut und Böse“ ein ganzes Buch gewidmet. „Eine Frau, die keine Wut empfindet, wird auch nicht zur Gefahr.“ So lässt sich die Kernaussage des Buches zusammenfassen.

Mädchen lernen von klein auf, dass sie nicht wütend sein sollen

Von klein auf lernen Mädchen, dass Wut kein positives Gefühl ist. Während viele Eltern bei Jungen überproportional deutlich auf Wut eingehen, wird diese Emotion bei Mädchen häufig übersprungen oder ausgespart. Mit Mädchen wird mehr geredet, sie werden öfter als Jungen zu Empathie und Perspektivenübernahme motiviert. Jungen dagegen sind motorisch aktiver, vor allem Väter toben mit ihnen mehr herum und reden öfter mit ihnen über Konflikte oder Rachegedanken als mit Töchtern.

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Ciani-Sophia Hoeder: Wut und Böse, hanserblau Verlag, 206 Seiten, 18 Euro

In der Jugend verstärkt sich das Problem: „Während ein bockiges kleines Mädchen zwar bedenklich, aber niedlich ist, ist eine zornige Teenagerin ein Problem und eine erwachsene wütende Frau einfach nur peinlich“, schreibt Hoeder. Viele Mädchen machten jetzt die Erfahrung, dass sie mit Liebesentzug bestraft werden, wenn sie ihrem Ärger Luft machen. Anders als Männer lebten Frauen deshalb ihre Aggressionen häufig nicht nach außen aus, sondern richteten sie in Form von Essstörungen, Depressionen oder Selbstverletzungen gegen sich selbst. Die Autorin Dana Crowley Jack findet dafür den Begriff „Self-Silencing“: Frauen schalten sich selbst stumm.

Wütende Frauen werden nicht ernst genommen und sind nicht sexy

Während Wut bei Männern akzeptiert wird und sie sogar besonders durchsetzungsfähig erscheinen lässt, werden wütende Frauen nicht ernst genommen und verlieren an Status. „Der Großteil der Frauen rastet lieber in einem geschlossenen Raum aus, weil wir ganz früh verinnerlichen, wie wichtig es für unsere öffentliche Wahrnehmung ist, dass wir unsere Anliegen freundlich vortragen“, schreibt Hoeder. Sie glaubt, dass Frauen aus diesem Grund auch lieber weinen, anstatt herumzuschreien: „Schluchzend das Taschentuch zückend ist eben damenhafter als eine stampfende Frau, die Feuer speit.“

Wut ist auch alles andere als sexy. Mit rotem Kopf und sich überschlagender Stimme macht man einfach keinen guten Eindruck auf andere, vor allem nicht auf Männer. Dazu kommt der gesellschaftliche Druck, alles positiv zu sehen und gefälligst zufrieden zu sein, egal, wie mies es gerade läuft. „Wut passt nicht zur heilen Instagram-Welt und wird mit Yoga, Meditation und einem fast schon neurotischen Self-Care-Hype wegmeditiert“, meint Hoeder dazu.

Frauen nutzen Wut nicht als produktive Ressource – wie lässt sich das ändern?

„Die Aufgabe von Mädchen oder Frauen scheint zu sein, Frieden zu stiften. In diesem Prozess lernen sie nicht, ihre Wut effektiv zu nutzen. Das führt dazu, dass viele junge Frauen ihre eigene Wut nicht kennen oder verstehen“, schreibt Hoeder. Damit sich das ändere, müssten Mädchen von klein auf erfahren, dass Wut zu den normalen Gefühlen gehört. Nur wenn sie ihren Ärger ausleben dürften, könnten sie lernen, damit umzugehen.

Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Wut

Während wütende Männer häufig weiter als kompetent und meinungsstark wahrgenommen würden, würden wütende Frauen oft als charakterschwach eingestuft und müssten sich Beschimpfungen wie hysterisch, frigide und verrückt anhören. Wütende Frauen werden auch weniger ernst genommen, wie diese typischen Sätze zeigen: „Du bist einfach zu empfindlich“, „Du übertreibst“, „Deine Hormone gehen mit dir durch“, „Du brauchst mal wieder Sex“.

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Bei Männern werde die Wut meistens den äußeren Umständen zugeschrieben, während man Wut bei Frauen direkt mit ihrem Charakter assoziiere. Die Forscherin Agneta H. Fischer von der Universität Amsterdam fand 2000 durch ihre Arbeit „Gender and Emotion: Social Psychological Perspective“ heraus, dass Männer eher bereit sind, sich in Situationen zu begeben, in denen Wut die Konsequenz sein wird. Frauen nicht. Sie regen sich zwar auch auf, vermeiden es aber, wütend zu werden. Außerdem drücken Frauen ihre Wut eher gegenüber einer vertrauten Person aus als gegenüber Fremden. Oder sie richtet sich nicht den Auslöser selbst, sondern gegen Personen oder Objekte, die diesem Auslöser ähnlich sind. Zudem zeigen Studien einheitlich, dass Frauen in ganz anderen Situationen wütend werden als Männer. So berichten sie über mehr Wut nach Verrat, Zurückweisung, Herablassung, unbedachter Kritik oder Nachlässigkeit, während Männer eher wütend werden, wenn ihre Partnerin launisch oder selbstbezogen ist. Statistisch gesehen halten sich Frauen zudem häufig zurück, damit Konflikte gar nicht erst stattfinden.

Wenn Frauen ausnahmsweise doch ihren Unmut äußern, geht es selten um den Anlass ihres Ausbruchs, sondern meist um den Ton, schreibt Hoeder weiter. Aufgebrachte Frauen hörten oft: „Du bist ja viel zu emotional, so kann man nicht mit dir sprechen“. Das eigentliche Problem werde ignoriert. Es gibt sogar einen Namen dafür, wenn eine berechtigte Beschwerde wegen der Art und Weise, wie sie vorgebracht wird, als irrational abgestempelt wird: Tone Policing.

Was muss sich ändern?

Auf eine produktive Weise wütend zu sein ist eine Kunst. Es ist ein Zusammenspiel daraus, für sich einzustehen, identifizieren zu können, warum man wütend ist und die Wut so zu modulieren, dass sie der aktuellen Situation entspricht. Auf lange Sicht machen unterdrückte Gefühle körperlich und psychisch krank. Wut zu unterdrücken kostet den Körper viel Energie, denn es erfordert Aufmerksamkeit und Anstrengung. „Was würde passieren, wenn alle Frauen ihre Wut auslebten? Wenn alle Frauen Grenzen setzen und für sich einstehen, im Kleinen wie im Großen?“, fragt Hoeder. Und gibt gleich selbst die Antwort: „Unausgewogene Beziehungen würden in Balance geraten, Frauen würden endlich gleich viel wie Männer verdienen, und unsere Gesellschaft würde sich wandeln.“

Wut ist ein Alarmsignal und zeigt, dass etwas nicht stimmt. Frauen können dieses Signal nur verstehen, wenn sie schon früh lernen, eine gute Beziehung zu ihrer Wut aufzubauen und sie als Werkzeug für Veränderung zu nutzen. Als erstes muss dafür das Bild aus den Köpfen verschwindet, dass Frauen lieb und angepasst sein müssen. Nur so können sie erkennen, dass Wut nichts Schlechtes ist, sondern im Gegenteil ein machtvolles Mittel für Veränderungen. Frauen brauchen dazu die Möglichkeit, dieses Gefühl von klein auf ausleben und erfahren zu dürfen. Und zwar immer und überall und nicht nur in sogenannten Wuträumen, wo sie gegen Bezahlung die Einrichtung zertrümmern dürfen, um anschließend wieder brav nach Hause zurückzukehren.