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Größer, teurer, glücklicher?Warum der kommerzielle Hype um Hochzeiten nervt

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„Ihr braucht uns nichts zu schenken. Hauptsache, ihr kommt zur Hochzeit nach Sansibar.“

Eine Freundin bekam vor einiger Zeit eine Einladung zu einer Hochzeit – auf Sansibar, der Termin für die Feier: ein Datum in zwei Jahren. Das war kein Versehen; damit alle Hochzeitsgäste ihren Jahresurlaub um die Hochzeit legen konnten, hatte das Brautpaar so weit im Voraus geplant. Die Hochzeitsfeierlichkeiten waren für mehrere Tage angesetzt, mit Programm, Animation und Romantik unter Palmen.

Keine Frage, es ist schön, wenn zwei Menschen für immer zusammen bleiben wollen. Es ist auch schön, wenn sie das durch eine Heirat besiegeln und mit Freunden und Familie feiern wollen. Welche Ehre, dass man bei diesem Versprechen überhaupt dabei sein darf - ganz egal ob man jetzt auf den Holzbänken der Barock-Kirche, auf den Plastikstühlen von Zimmer 109.12 im Standesamt oder im Schneidersitz auf der grünen Wiese sitzt.

Heavy-Metal-Trauung oder Märchenhochzeit

Noch schöner, dass das Hochzeit-Feiern eine Emanzipation erfahren hat. Ob Trauung am Strand, gemeinschaftliches Headbangen auf dem Heavy-Metal-Festival oder doch die Märchenhochzeit auf dem Schloss – jedes Paar kann sich heute so individuell feiern und inszenieren, wie es sich sieht.

Emanzipation und Verengung von Hochzeiten

Gleichzeitig hat das Heiraten aber auch eine Verengung erfahren: Warum nur gilt in Sachen „Hochzeit“ inzwischen je teurer, je aufwendiger, desto besser? Oder vielmehr desto glücklicher das Paar? Natürlich leben wir in einer Zeit, die sich von Event zu Event hangelt, die das Stille und Unaufgeregte kaum erträgt. Aber in Sachen „Hochzeitsplanung“ ist tatsächlich die nächste Stufe erreicht worden.

Welche Braut performt am besten? Frauen beim Hochzeitslauf in Warschau, Polen.

Das Lachen des potenziellen Veranstalters am anderen Ende der Leitung konnte eine andere Freundin nicht vergessen. „Für 2016 sind wir ausgebucht“, sagte ihr die Bäuerin des Hofes, wo sie ihre Hochzeit feiern wollte, das war im Februar 2015. Vielleicht sollte man bei der ersten vielversprechenden Verabredung mit dem Partner in spe schon die „Save-The-Date“-Karten basteln, nur zur Sicherheit?

„Da schwappt eine Welle aus den USA zu uns herüber“, sagt Hochzeitsplanerin Bettina Funke-Redlich. Die Sprecherin des Bundes der Hochzeitsplaner beobachtet, dass die Feiern in den vergangenen drei Jahren noch aufwendiger geworden seien. „Brautpaare in Deutschland wollen nun auch eine Candy Bar und eine Foto-Box für ihr Fest.“

Großer gesellschaftlicher Druck

Rund 374.000 Ehen wurden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2013 geschlossen. Eine relativ große Zahl, gemessen daran, unter welch großem gesellschaftlichen Druck Brautpaare inzwischen stehen. Welchen Aufwand sie betreiben sollen, das suggerieren einem auch die sämtlichen Heiratsblogs, -Ratgeber und -Veranstalter.

Keine Hochzeit unter 10.000 Euro

Auf dem Boden der Tatsachen liegen nicht immer Blüten und Glitzer.

Der Bund der Hochzeitsplaner erklärt auf seiner Internetseite, dass man eine Hochzeit mit 30 Gästen nicht unter 10.000 Euro ausrichten könne. Für eine Hochzeit mit 70 Personen solle man mindestens 14.000 Euro einplanen - ohne Kleidung und Ringe versteht sich. Wer sein Brautkleid in einem Fachgeschäft für Brautmoden kaufe, muss der Hochzeitsplattform weddix.de zufolge mit durchschnittlich 1300 Euro rechnen. Nur als Fußnote: Das Geschäft mit der Liebe soll der Hochzeitsindustrie Schätzungen zufolge jährlich rund zwei Milliarden Euro Umsatz einbringen. Eine Agentur garantiert inzwischen sogar das perfekte Wetter für die Hochzeit, indem sie Wolken zum Abregnen bringt – allerdings für knapp 135.000 Euro. Für „den schönsten Tag im Leben“ muss man schon etwas investieren. Oder ist er das etwa nicht wert?

Die größten Erwartungen prasseln wohl auf die Braut ein: Blättert man die meisten rosaroten Hochzeitsmagazine durch, kann man den Eindruck gewinnen, dass sie im Grunde seit ihrer Geburt auf diesen einen Tag gewartet hat. Sobald die Verlobung verkündet ist, soll sie sich mit unendlich viel Elan und Akribie in die Vorbereitungen stürzen.

Diäten, Sport, Schönheitskur: Die Braut soll ihr „Bestes“ geben

Schließlich hat sie ihren Mädchentraum bestimmt schon hundertmal mit sämtlichen Barbiepuppen durchgespielt, die Gästeliste liegt seit Jahren in der Schublade, gleich neben ihrer Prinzessinnenkrone. Keine Ahnung, wieso eine Frau, die heiraten will, eine große Leidenschaft dafür haben sollte, kleine Herzen aus Lametta für die Tisch-Deko auszustanzen - aber die Herausgeber von Hochzeitsmagazinen scheinen davon auszugehen.

Kleine Kostprobe gefällig? Im Editorial von „Hochzeit“ - Untertitel „Das Magazin für Brautpaare“ - schreibt Chefredakteurin Marina Litterscheidt über die Möglichkeit, dass die Braut am Tag der Hochzeit einen „Bad-Hair-Day“ hat: „Das hätte wohl ein unvorstellbares Desaster zur Folge. Denn mit Frauen, die sich nicht schön fühlen, ist nicht wirklich etwas anzufangen. Also muss die Möglichkeit, dass etwas derartiges geschieht, eliminiert werden.“

Abhilfe schaffe da, so Litterscheidt, eine Vorbereitung, „die auf den Punkt genau jedes noch so minikleine Detail derart akkurat vorausplant, dass es keine Abweichungen zulässt. Nicht, weil wir Frauen eitel wären. Sondern weil wir unser Bestes (geben) wollen.“ Der Auszug stammt aus dem Heft Mai/Juni 2015, nicht aus dem Jahr 1950.

Ratgeber mit Fitness-Plänen

Nichts beschäftigt die Frau, die nun vor allem Braut ist, folglich mehr als essenzielle Fragen wie diese: Weiße Callas oder doch altrosa Pfingstrosen? Erdbeer-Sorbet mit Blattgold oder doch lieber ein Grapefruit-Granité mit geeisten Johannisbeeren als Dessert? Es gibt inzwischen sogar Moleskine-Notizbücher für Bräute, die Extra-Seiten für den Fitness-Plan der Braut vorsehen, Überschrift: „To look my best: diet, workout, beauty treatments“. Schließlich sollte sie bis zur Hochzeit mindestens acht Kilo abnehmen.

Ein großer Schritt für das Brautpaar - ein kleiner für die Menschheit.

Antrag auf dem Gipfel des Kilimandscharo

Der Druck auf den Bräutigam ist dagegen nicht ganz so extrem. Ihm wird nachgesehen, dass er sich all diese Gedanken noch nicht gemacht hat. Er sollte aber, nachdem er einen möglichst originellen Heiratsantrag gemacht hat (etwa im Schneegestöber auf dem Kilimandscharo oder zwischen Hammerhaien während eines Tauchgangs auf den Malediven), zumindest etwas Interesse vorgaukeln. Spätestens bei den Flitterwochen muss er sich wieder einklinken: Die Hochzeitsreise sollte nämlich ein Fernziel sein, mindestens Bora Bora. Wandern im Kleinwalsertal – geht gar nicht.

Junggesellenabschied auf Gran Canaria

Auch auf die Gäste kommt inzwischen einiges zu, sie müssen sich nicht selten mehrere Tage frei nehmen, nicht nur für die Hochzeit auf Sansibar, sondern auch für den Junggesellenabschied davor, der - à la Hangover - inzwischen auch ein ausgedehnter Urlaub auf Gran Canaria sein kann. Nichts gegen tolle Überraschungspartys zu Ehren von Braut oder Bräutigam. Und auch nichts gegen Videos, Vorträge und Lieder, die das Brautpaar feiern und die manchmal schon fast kleine Kunstwerke von Freunden und Familie sind.

Ein großer Schritt für das Brautpaar, ein kleiner für die Menschheit

Nur: Manche Protagonisten im großen Hochzeitszirkus, angestachelt von der Zunft der Weddingplanner und der Hochzeitsindustrie, scheinen zu vergessen, dass es auch noch ein Leben jenseits der Hochzeit gibt. Die Welt hält nicht den Atem an, nur weil zwei Menschen heiraten. Was für Brautpaare ein großer Schritt ist, ist für die Menschheit nur ein kleiner.

Die Hochzeit auf Sansibar, zu der besagte Freundin eingeladen war, wurde übrigens zwei Wochen vor dem Termin abgesagt. Die Gäste sind dann trotzdem angereist, schließlich waren Hotel und Urlaub gebucht. Es gab dann auch noch eine große Feier - allerdings ohne Brautpaar.

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