In-vitro-Diskussion in PolenKann künstliche Befruchtung eine „schwere Sünde“ sein?
Wenn es nach manchen Kirchenführern und Politikern in Polen ginge, dürfte es Magdalena Kolodziej gar nicht geben. Denn die 28-jährige wurde im ostpolnischen Bialystok dank künstlicher Befruchtung geboren - sie war einst Polens erstes Retortenbaby.
Eigentlich wollte die junge Frau nicht an die Öffentlichkeit treten, doch vor wenigen Tagen entschloss sie sich dennoch zu einem offenen Brief. „Etwas in mir ist zerbrochen“, schrieb sie darin. „Ich kann nicht länger dasitzen und all die Lügen hören, erlauben, dass ich und meine Familie verletzt werden.“
Künstliche Befruchtung gilt als Sünde
Denn künstliche Befruchtung nach dem in-vitro-Verfahren, für viele ungewollt kinderlose Paare auch in Polen die letzte Hoffnung auf eigenen Nachwuchs, ist für zahlreiche Vertreter der einflussreichen katholischen Kirche ein Eingriff in die Schöpfung - und damit eine schwere Sünde. Schon seit Jahren wird in nationalkatholischen Medien, in Predigten und Hirtenbriefen gegen das Verfahren zu Felde gezogen.
Nun aber stehen sich Anhänger und Gegner der in-vitro-Fertilisation unversöhnlicher denn je gegenüber. Nach mehreren Vorstößen und vielen Debatten ist ein in-vitro-Gesetz in greifbare Nähe gerückt. Beide Kammern des Parlaments haben das Gesetz, wenn auch mit teilweise knapper Mehrheit verabschiedet. Nun fehlt nur noch die Unterschrift des Präsidenten.
Gesetz in greifbarer Nähe?
Doch Bronislaw Komorowski, dessen Amtszeit im August zu Ende geht, signalisierte verfassungsrechtliche Bedenken. Er wolle in der kommenden Woche seine Entscheidung über das Gesetz bekannt geben, kündigte er am Freitag an. Komorowskis Nachfolger Andrzej Duda, der am 11. August vereidigt wird, hat bereits angekündigt, er habe schwere Bedenken gegen das Gesetz, verstehe aber auch die Verzweiflung ungewollt kinderloser Paare.
Die liberalpolnische Regierung von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz wollte endlich einen klaren rechtlichen Rahmen schaffen - ein Präsidenten-Veto würde diese Pläne erneut zurückwerfen, möglicherweise um Jahre.
Strenger Embryonen-Schutz in Polen
Bisher werden in-vitro-Verfahren in Privatkliniken durchgeführt - und die Paare müssen die Kosten für die Behandlung selber tragen. Das künftige Gesetz erlaubt die Befruchtung im Reagenzglas, wenn alle anderen Methoden mindestens zwölf Monate lang erfolglos blieben. Die Heranzüchtung von Embryonen zu anderen Zwecken ist ebenso verboten wie die Vernichtung von Embryonen, die zu einer normalen Entwicklung fähig sind.
Kirche lehnt in vitro ab
Bischöfe wie der Stettiner Erzbischof Andrzej Dziega sprechen dennoch von einem „verbrecherischen Gesetz“. Der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz nannte das Gesetz „unvereinbar mit dem Christentum“.
Vor der letzten Abstimmung in der Senatskammer hatte der polnische Episkopat einmal mehr gedroht, Christen könnten kein in-vitro-Verfahren unterstützen „wenn sie in der Gemeinschaft des Glaubens bleiben wollen“. „Bei der in-vitro-Prozedur ist der Preis für ein Kind der Tod seiner Geschwister vor der Geburt“, hieß es in der Stellungnahme der katholischen Bischofskonferenz.
Betroffene tief verletzt
Es sind Äußerungen wie diese, die Magdalena Kolodziej tief verletzen. „Es war für mich ein Schock, als ich als Heranwachsende Äußerungen hörte, dass ich das Ergebnis einer ungeheuren Sünde sei“, schrieb sie in ihrem öffentlichen Appell. Die Eltern, gläubige Katholiken, hätten ihr nie verschwiegen, dass sie ein „Retortenbaby“ war.
Kolodziej, die inzwischen selbst zweifache Mutter ist, hält den Kritikern entgegen: „Wir können im Gegensatz zu manch anderen voller Gewissheit sagen, dass wir erwartet und sehr geliebt wurden. Nicht wir sind schlecht. Schlecht sind die, die uns das Existenzrecht absprechen.“ (dpa)