Erwachsene mit schuldWarum sind Jungs und Mädchen so selten miteinander befreundet?
Köln – Mädchen und Jungen, die nachmittags zusammen abhängen, spielen, toben und um die Häuser ziehen – wann haben Sie sowas das letzte Mal beobachtet? Viel häufiger sieht man die Jungs und Mädchen in Gruppen unter sich, zum Beispiel auf dem Pausenhof. Auch Kindergeburtstage sind häufig reine Mädchen- oder Jungspartys. Und dass ein Mädchen und ein Junge sich offen als „beste Freunde“ titulieren, das kommt erstaunlich selten vor. Doch weshalb findet so früh schon eine Trennung der Geschlechter statt, wo es doch bei Freundschaften, erst recht bei Kindern, eigentlich darum geht, ob man sich mag und welche Interessen man teilt?
Mit steigendem Alter bleiben Jungs und Mädchen unter sich
Die ersten Freundeskontakte, die ein Kind schließt, laufen auf jeden Fall noch unbefangen ab. Kleinkindern ist es völlig egal, mit wem sie spielen. Wenn sie Lust haben, gehen sie einfach aufeinander zu, strecken sich die Schaufel entgegen und schon sind sie Spiel-Buddys. „Je älter Kinder werden, desto mehr differenziert es sich aber auseinander“, sagt Freundschaftsexperte Wolfgang Krüger, „schon am Ende der Kindergartenzeit, aber vor allem im Grundschulalter bleiben Jungen und Mädchen bereits oft unter sich.“ Und da erkenne man, auch laut Studien, bereits deutliche Unterschiede im Spielverhalten. „Jungs sind miteinander oft sehr aktiv, sie raufen und machen Gruppenspiele. Mädchen haben sehr häufig eine kommunikativere und ruhigere Art zu spielen.“
Verallgemeinern dürfe man das natürlich nicht, jedes Kind sei einzigartig, sagt Krüger. „Es gibt durchaus aktivere Mädchen, die gerne Fußball spielen und sensiblere Jungs, die ruhigere Spiele mögen – aber das ist eben nicht der Regelfall.“
Mädchen werden für ihr Aussehen gelobt, Jungs für ihre Taten
Warum Kinder schon so früh typische Spieltendenzen zeigen und zu geschlechtshomogenen Freundesgruppen neigen, dafür gibt es mehrere Ursachen. „Diese Zuschreibungen, was Jungs angeblich mögen und wie Mädchen so seien, lernen Kinder vor allem von Erwachsenen, aber auch durch Filme, Bücher und Social Media“, sagt Almut Schnerring, Autorin des Buches „Die Rosa-Hellblau-Falle“. Auch durch gezieltes Gender-Marketing würde Kindern vermittelt, dass etwa Klamotten oder Spielzeug in zwei Bereiche eingeteilt werden, in Rosa für Mädchen und Hellblau für Jungen.
Besonders der Umgang mit Kindern aber sei davon abhängig, welches Geschlecht sie haben. „Erwachsene machen immer Unterschiede, sie haben an Jungs und Mädchen andere Erwartungen, sprechen sie anders an und spielen andere Spiele mit ihnen.“ Unterschiedlichen Studien zeigten, dass Mädchen sehr viel häufiger für ihr Aussehen gelobt würden und Jungs für das, was sie tun. Oft versteckt sich diese Haltung bereits in kleinen Aussagen, wenn es beim Mädchen „schöne Tee-Party“ heißt und beim Jungen „super gebolzt“.
„Wir alle tappen jeden Tag in die Rosa-Hellblau-Falle“
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Solche Sätze seien fatal, sagt Schnerring, und doch würden Erwachsene sie oft ganz unbewusst sagen. „Im täglichen Umgang mit den Kindern sind wir alle Teil der Entwicklung und tappen jeden Tag mehrmals in die Rosa-Hellblau-Falle. Und das ist auch nachvollziehbar, schließlich sind wir alle in diese Gesellschaft hineingewachsen und entsprechend geprägt worden.“ Erst wenn man sich der eigenen Klischees und Vorurteile bewusst werde, könne man daran auch etwas ändern. „Dann merken wir, dass Sprüche wie ‚heul doch nicht wie ein Mädchen‘ auf vielfache Weise abwertend sind und verkneifen uns so etwas.“
„So ein süßes Paar“: Frühsexualisierung durch kleine Kommentare
Wie unbewusst solche Bewertungen ablaufen, zeigt sich auch daran, wie Erwachsene auf eine Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Mädchen reagieren. Wie oft fällt der Satz „ach, sie sind so ein süßes Paar“ ganz beiläufig, wenn ein Junge und Mädchen miteinander spielen. „Kinder lernen dadurch, dass ein Spielen über die Geschlechtergrenze hinaus immer eine sexuelle Konnotation hat“, sagt Almut Schnerring. Für die Kinder wiederum sei es komisch, warum sie nicht einfach zusammen spielen könnten, ohne dass gleich das Thema Heiraten im Raum stehe. „Eltern bringen hier ihre eigenen Maßstäbe mit hinein“, sagt auch Wolfgang Krüger, „dabei sind Kinder eigentlich unbefangen im Umgang mit anderen. Wenn sie selbst sagen ‚ich heirate dich!‘, dann hat das eine ganz andere Bedeutung, es geht ums Wohlfühlen, um eine emotionale Stimmung in dem Moment.“ Hier müsse man die kindliche Welt besser verstehen.
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„Kinder haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede“
Eltern und Erzieher haben einen großen Einfluss darauf, wie unbefangen Kinder sind was neue Kontakte betrifft. „Kinder haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, das sollten wir ihnen vermitteln und so Verbindungen schaffen“, erklärt Almut Schnerring. Kindliche Interessen seien schließlich sehr bunt. Wenn beide Kinder in der gleichen Straße lebten und gerne Fahrrad fahren oder Haustiere mögen würden, dann sei ihnen der Junge-Mädchen-Unterschied gar nicht mehr so bewusst und sie machten das einfach zusammen. „Wir müssen bewusst Räume schaffen, wo Kinder sich jenseits der vorgegebenen Schubladen ausprobieren können und sollten auf das Kind als Individuum schauen und nicht als Junge oder Mädchen.“
Eltern sollten sich bei der Freundeswahl der Kinder raushalten
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Bewusst Freundschaften mit dem anderen Geschlecht zu initiieren, das sei jedoch nicht nötig, sagt Krüger. Eltern sollten nicht hingehen und sagen 'jetzt spiel doch endlich mal mit Marie!‘, sondern sich da so wenig wie möglich einmischen. „Das Allerwichtigste ist, dass sie selbst Vorbilder sind und ihren Kindern zeigen, wie man intensive Freundschaften pflegt – auch und gerade zwischen Männern und Frauen.“
Kinder von heute wüchsen in eine Welt hinein, in der das Männliche und das Weibliche weit auseinander fielen. Das merke man nicht nur, wenn man sich die Entwicklung der Welt anschaue, wo „Machos“ wie Trump, Putin und Bolsonaro traditionelle Geschlechterbilder feierten, die längst überholt schienen. Sondern es zeige sich auch im Kleinen am Thema Freundschaft. „Die meisten Frauen haben eine enge beste Freundin, der sie alles erzählen, aber nur ein Drittel aller Männer führen eine solche intensive Freundschaft.“ Über die eigenen Gefühle zu sprechen, sich auszutauschen, das gelte eben doch als weibliche Eigenschaft.
Gleichberechtigung vorleben – Kinder übernehmen die Haltung ihrer Eltern
Und genau diese Dinge schauen sich Kinder ab. Sie passten sich an die Regeln der Erwachsenenwelt an, um dazuzugehören und „richtig“ zu sein, erzählt Almut Schnerring. „Sie lernen die gesellschaftlichen Mechanismen und die Haltung durch die Erwachsenen.“ Wenn die Mutter dann immer nur zum Mädelsabend gehe und der Vater sich immer nur mit Männern treffe, seien das eben sehr starke Botschaften, die sie Kindern mitgäben.
„Stattdessen sollten Kinder gezeigt bekommen, dass Männer auch über sich reflektieren und reden können, dass sie weinen und getröstet werden“, sagt Krüger, „und Frauen auch Eigenschaften haben können, die als männlich gelten, sie sich durchsetzen und auch mal das Fahrrad reparieren können.“ Darum gehe es bei der Gleichberechtigung. „Erwachsene müssen den Kindern eine Welt aufzeigen, die voller Möglichkeiten ist, egal welches Geschlecht sie haben.“
Jungs-Mädchen-Freundschaften machen toleranter und selbstsicherer
Freundschaften zwischen Mädchen und Jungen seien deshalb auch so schön und wichtig, weil sie Kindern diese Möglichkeiten schenkten, sagt Almut Schnerring. „Sie können dann alles ausprobieren und sich im Sinne des Grundgesetzes frei entfalten, wenn sie mit vielen anderen Kindern, die anders und doch so gleich sind wie sie, in Kontakt kommen und spielen.“ Das stärke nicht nur ihre Toleranz, sondern auch ihr Selbstbewusstsein. Und sogar den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „In der Erwachsenenwelt zeigt sich, dass diverse, also auch gemischtgeschlechtliche Teams sowohl wirtschaftlich als auch sozial sehr viel erfolgreicher und besser zusammen arbeiteten.“ Das lasse sich auch auf Kinder übertragen.
Freundschaften zwischen den Geschlechtern haben Einfluss auf spätere Beziehungen
„Es gibt zudem riesige Möglichkeiten, wie Mädchen und Jungen im ständigen Austausch voneinander lernen und sich besser verstehen können“, ergänzt Wolfgang Krüger. Und das habe große Nachwirkung und sogar Einfluss auf Beziehungen im Erwachsenenalter. In der Pubertät lebten Jungen und Mädchen eher in getrennten Welten. Wenn aber zuvor in Kindestagen bereits ein Verständnis für das andere Geschlecht aufgebaut worden sei und jeder sich in die Welt des anderen hinein versetzen könne, dann sei das eine fundamentale Voraussetzung. „Wer gute Jungs-Mädchen-Freundschaften hat, führt später auch besseren Partnerschaften.“