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Bewusst kinderlosWarum es okay ist, keine Kinder zu wollen

Lesezeit 6 Minuten

Autorin Sarah Diehl

Die biologische Uhr scheint überall unaufhaltsam zu ticken. Wenn eine Frau Mitte 40 ist und keine Kinder hat, wird sie mitleidig angeschaut. Hat sie nicht den richtigen Partner gefunden? Hat es nicht geklappt? Oder ist sie einfach nur zu egoistisch für Kinder? Dabei gibt es auch Frauen, die bewusst keine Kinder bekommen und damit sehr glücklich sind, sagt Autorin Sarah Diehl. Sie hat in ihrem Buch „Die Uhr, die nicht tickt“ genau jene Frauen zu Wort kommen lassen, die Kinderlosigkeit nicht als Mangel empfinden, sondern als freiwillige Entscheidung – für die sie sich aber stets rechtfertigen müssen.

Frau Diehl, ist es in unserer Gesellschaft ein Makel, kinderlos zu bleiben?

Sarah Diehl: Das Problem ist, dass Weiblichkeit immer mit dem Muttersein gekoppelt wird. Es wird geradezu suggeriert, dass eine Frau ohne Kind ein Mangelwesen, kein ganzer Mensch ist. Kinder haben gilt als das größte Symbol der Selbstverwirklichung. Aber eben nur für Frauen. Und es hat mich überrascht, wie sehr Frauen dieses Bild verinnerlicht haben, wie groß der psychologische Druck ist und wie schwer es ihnen fällt, sich zu wehren. Das muss sich ändern!

Müssen sich Kinderlose rechtfertigen?

Das haben viele meiner Interviewpartnerinnen berichtet. Sie werden oft darauf angesprochen und stehen unter Rechtfertigungsdruck. Ihnen fehlt aber oft noch die Sprache, um Kinderlosigkeit als etwas Positives zu formulieren.

Oft wird bei diesem Thema mit dem Mutterinstinkt argumentiert…

Der Mutterinstinkt wurde von Naturwissenschaftlern und Pädagogen erfunden, er ist nicht biologisch in den Frauen verankert, das belege ich auch historisch im Buch. Früher sollte damit verhindert werden, dass Frauen eigene Wege gehen. Aber auch heute werden ihnen deswegen Schuldgefühle gemacht.

Was wird als Mutterideal hochgehalten?

Heute werden hohe Ansprüche an Mütter gestellt. Sie sollen sich aufopfern, aber dabei auch frei, cool und selbstbestimmt sein. Kind und Karriere gut zu vereinbaren gehört dazu. Das führt oft zu Überforderung. Denn meist liegt die Hauptlast auf der Frau. Manche wollen eben unter diesen Bedingungen keine Kinder bekommen, sie wollen sich diesem Stress entziehen. Das ist eine individuelle Entscheidung.

Übrigens sprechen mich auch viele Mütter an. Sie leiden unter dem Mutterideal. Ich denke, man muss allgemein anders über Mutterschaft denken und sprechen.

Welche Rolle spielt der Staat beim Thema Familienplanung?

Sarah Diehl

arbeitet zum Thema „Reproduktive Rechte im internationalen Kontext“, in ihrem Dokumentarfilm „Abortion Democracy: Poland/South Africa“ geht es um die Auswirkungen, die veränderte Abtreibungsgesetze auf die Lebensrealität von Frauen haben. 2012 erschien ihr erster Roman „Eskimo Limon 9“. Sarah Diehl lebt als Autorin, Publizistin und Filmemacherin in Berlin.

Kinder sind ein öffentliches Gut, wofür sich die Frau bereitstellen muss. Es wird damit begründet, dass nur sie diese Aufgabe übernehmen könne. Die Gesellschaft setzt nämlich auf die unentgeltliche Versorgungsarbeit, die von Frauen geleistet wird. „Das Schreckgespenst“ wird demnach auch von der Ökonomie aufgebaut, die fürchtet, dass Frauen das irgendwann nicht mehr leisten wollen.

Gleichberechtigung heißt eben nicht nur, dass die Frau die gleichen Rechte hat wie der Mann, sondern dass dieser auch die gleiche Arbeit macht wie die Frau, nämlich Kinderbetreuung und Haushalt.

Wo sind eigentlich die Männer in der Debatte um Kinderlosigkeit?

Sie sind abwesend. Eigentlich hatte ich geplant, auch Männer zu interviewen. Aber ihre Antworten waren oberflächlich, langweilig und voller Plattitüden. Mir wurde klar, dass sie nicht darüber nachdenken müssen, weil sie sich für ihre Kinderlosigkeit nicht rechtfertigen müssen. Dabei gibt es viel mehr kinderlose Männer als Frauen. Aus gesellschaftlicher Sicht wird bei ihnen aber viel eher akzeptiert, dass sie ihr Glück außerhalb einer Vaterschaft suchen.

Sie haben mit vielen Frauen darüber gesprochen, warum sie keine Kinder wollen. Gibt es Gründe, die besonders oft genannt werden?

Eine Antwort fand ich extrem interessant. Viele wollen sich den Ansprüchen der Leistungsgesellschaft verweigern und ihre Freiräume selbst definieren. Dazu gehört für sie, sich weder über Lohnarbeit noch über Kinder zu definieren. Karriere wird also nicht automatisch als Grund genannt.

Manche sehen es auch realistisch: Dass ein Kind nicht unbedingt die Krönung der Partnerschaft ist, sondern man weniger Zeit für sich hat und auch das Konzept der Gleichberechtigung nicht mehr so leicht umzusetzen ist. Einige der Interviewpartnerinnen waren sich sicher, dass ein Kind ihre Beziehung so beeinträchtigen würde, dass sie früher oder später alleinerziehend werden würden.

Spielt die Biografie der eigenen Mutter eine Rolle?

Die eigene Mutter als frustrierte Hausfrau war bei fast allen Frauen ein Thema. Da kann es in zwei Richtungen gehen. Wenn die eigene Familie instabil war, dann will man es entweder erst recht richtig machen oder es direkt bleiben lassen. Viele sagen, sie wollen nicht in die gleiche Falle tappen wie ihre Mutter, die keine Unterstützung bekam und einen unerfüllten, undankbaren Job gemacht hat. Für sie sind diese konservativen Familienkonzepte unerträglich.

Eine glückliche Kindheit kann dazu führen, dass man selbst Kinder will, sie kann einem aber auch so viel Stabilität und Selbstbewusstsein geben, dass man keine eigene Familie braucht, um im Leben Halt zu finden. So war es bei mir.

Warum wird Kinderlosen oft Egoismus vorgeworfen?

Kinderlose werden schnell als egoistisch abgestempelt.

Was antworten Sie Menschen, die Ihnen vorwerfen, egoistisch zu sein und keine Verantwortung für die Allgemeinheit zu übernehmen?

Kinderlosen wird ja oft ein hedonistischer und egoistischer Lebensstil vorgeworfen. Dass sie nicht in die Ideal-Demografie passen, die die Politik im Konzept der Kleinfamilie hochhält. Das hat aber nichts mit Egoismus zu tun. Man kann auch andere Dinge beitragen, die der Gesellschaft gut tun und hat dafür sogar mehr Kapazitäten, wenn man kinderlos ist. Im Gegenzug könnte man auch behaupten, dass sich Eltern mit Kindern in ihre Kleinfamilien zurückziehen und sich nicht mehr in größerem Rahmen engagieren.

Viele Kinderlose haben sogar häufig mit Kindern zu tun. Sie übernehmen eine soziale Elternschaft oder sind Teil neuer Wohnprojekte, bei denen sich alle gegenseitig unterstützen. Ich würde mir wünschen, dass auch die Vorstellung, wie man für Kinder da ist, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen wird, die nicht nur an der angeblichen Natur der Frau hängen soll.

In Kanada zum Beispiel ist es erlaubt, vier soziale Eltern für ein Kind einzutragen. Das wäre hier undenkbar. Daran sieht man, wie versteift wir in Deutschland in unseren Denkmustern über biologische Elternschaft als die einzig richtige sind. Dabei scheitert die andauernd, wenn man sich die Scheidungsrate ansieht. Kinderlose machen es möglich, neu zu denken und alternative Formen des Zusammenlebens zu entwickeln – wie eine Art Reset-Knopf.

Sie nennen Ihr Buch auch „Streitschrift“ – was wollen sie damit erreichen?

Ich möchte zeigen, dass eine Familie zu gründen nur eine Option unter vielen ist, dass Kinder nicht automatisch essentiell für ein erfülltes Leben sind. Ich möchte Frauen, die keine Kinder wollen und ihrer Wahrnehmung nicht getraut haben, mit diesem Buch die Zweifel nehmen. Man sollte aufhören, Kinderlose und Eltern gegeneinander auszuspielen, als sei dies die einzige sinnstiftende Aktion, die im Leben zählt.

Buchtipp: Sarah Diehl: „Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich. Eine Streitschrift“, Arche Literatur Verlag, 2014

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