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GeschlechterklischeesWarum wir Mädchen anders als Jungs erziehen

Lesezeit 5 Minuten

Ach wie süß! Mädchen in rosa bekommen viel Zustimmung.

Meine Tochter soll niemals so ein „richtiges“ Mädchen werden. Noch in der Schwangerschaft habe ich mir fest vorgenommen, sie so wenig wie möglich in rosa Kleidchen zu stecken und ihr keine Barbie zu schenken. Und von Anfang an klarzustellen, dass Männlein und Weiblein zwar nicht gleich aber gleich gut sind.

Schon als die ersten Geschenke fürs Baby ankamen, merkte ich allerdings, dass Jungs und Mädchen schon als Neugeborene unterschiedlich behandelt werden. Geschlechtertrennung fängt schon im Wochenbett an. In der Euphorie der Stunde fand ich sie alle süß, die pinkfarbenen Grußkarten, sogar die rosa Strampler mit Rüschchen und die winzigen Püppchen-Schuhe.

Jungs lieber ohne rosa Höschen

Als es dann darum ging, das Kind für den Alltag einzukleiden, habe ich aber schnell die neutralen Klamotten gegriffen. Manchmal könnte man meine Tochter tatsächlich für einen „echten“ Jungen halten, in ihren blauen Pullis und Jeans. Was bei ihr wahrscheinlich eher cool als schlimm wäre. Einen Jungen im rosa Höschen würde ich dagegen auf jeden Fall sehr schief von der Seite anschauen. Ich bin also keineswegs frei von Rollenklischees.

Ohne dass wir es intendieren und oft ohne es zu wissen, fördern wir in unserer Haltung und mit unserem Verhalten Geschlechterklischees. Nicht nur würde ich wahrscheinlich dem Jungen das rosa Höschen ausreden, wahrscheinlich beklatsche ich auch das Mädchen, das so süß mit Mamas Stöckelschuhen durch die Wohnung stapft.

Rosa oder blau: Die Einteilung findet schon vor der Geburt statt.

Kann man Geschlechterklischees ausblenden?

Ich lebe Geschlechterstereotype, obwohl ich das nicht will. Sogar, obwohl ich Gleichberechtigung und feministische Bemühungen sehr wichtig finde. Ich versuche aktiv, ein „starkes Mädchen“ ohne rosa Aura aufzuziehen. Das entspricht meiner Vorstellung von einer modernen Frau. Und doch hat meine Tochter ab und zu eine Spange im Haar. Die Frage lautet also: Kann man sich überhaupt frei machen von traditionellen Geschlechtervorstellungen und -prägungen?

Inwieweit das Geschlecht vorgeprägt oder anerzogen ist, darüber diskutieren Biologen, Soziologen, Psychologen und Gender-Experten immer noch. Man könnte allgemein sagen, dass ein kleinerer Teil geschlechtertypischer Eigenschaften und Verhaltensweisen angeboren sind und das meiste kulturell erlernt wird.

Es ist schwerer als gedacht. „Als Mitglied einer Gesellschaft ist man per se Träger von Denk- und Handlungsmustern, die mehr oder weniger bewusst vermittelt wurden“, sagt Geschlechtersoziologin Dr. Anne-Laure Garcia von der Universität Potsdam. Eltern hätten Geschlechterstereotypen verinnerlicht und schrieben gewisse Eigenschaften und Verhaltensweisen bestimmten Geschlechtern zu. „Schon Neugeborene werden abgestempelt: bei gleicher Körpergröße und -gewicht werden die weiblichen Babys als „süß”, „klein” oder „hübsch” bezeichnet, während ihre männlichen Nachbarn als „kräftig”, „groß” oder „lebhaft” angesehen werden“, sagt Garcia.

Schminken wie Mami: Kinder ahmen nach

Kinder bekommen solche Unterscheidungen von Anfang an mit und schauen sich alltägliche Verhaltensweisen in ihrem Umfeld ab, zunächst bei den Eltern, aber auch bei Freunden und in den Medien. Liebend gerne ahmen Kinder Erwachsene ganz genau nach. Das ist Teil des sozialen Lernens. Wie wir als Eltern uns im Alltag verhalten, spielt also eine große Rolle. Eine Herausforderung. Denn vieles läuft auch in eigentlich gleichberechtigten Haushalten noch traditioneller als gedacht. Wenn der Vater immer die schweren Sachen trägt und König der Tobespiele ist und die Mutter sich schminkt und die Wäsche macht, dann wird das Kind das wahrscheinlich auch so imitieren.

Im Alter zwischen zwei und drei Jahren könnten Kleinkinder sich und andere dann schon in die „richtige“ Geschlechterkategorie einordnen, sagt Soziologin Garcia. Und irgendwann haben Kinder ein eigenes Bewusstsein dafür, welche Handlungen erwartet werden. Überspitzt formuliert kann das bedeuten, das Mädchen findet gezielt Barbie gut, weil die Umwelt das mit Zustimmung goutiert.

Kann man geschlechtsneutral erziehen?

Wenn die Kids in der Kita oder bei Freunden erst einmal in Berührung kommen mit den Helden aus Comics und Serien, dann scheint die Geschlechterprägung seinen unaufhaltsamen Lauf zu nehmen. Dann sind bei den Mädchen in der Kita „Lillifee“ und der Schule Glitzernagellack und bei den Jungen erst „Cars“ und dann Fußball auf dem Bolzplatz angesagt. Welches Kind will da nicht mitspielen und zur Gruppe dazugehören, das stiftet Freundschaften und Identität. Kinder orientieren sich an ihresgleichen. Dadurch entdecken sie neue Dinge und entwickeln Vorlieben. Wenn ein Kind es so ganz anders macht als die anderen, dann hat es meist einen Sonderstatus im sozialen Gefüge.

Barbie oder Roboter: Was würden Erwachsene dem Jungen wohl zum Geburtstag schenken?

Brauchen Kinder also sogar eine solche „Geschlechter-Einteilung“, um sich in der Gesellschaft gut zurecht zu finden? Wenn das Kind aufwächst, dann seien kollektive Wahrnehmungs- und Handlungstendenzen wichtig, damit es als sozialer Akteur im Alltag interagieren und handeln kann, sagt Anne-Laure Garcia. Die „klassischen Geschlechterrollen“ stützen sich aber noch auf das Ideal der bürgerlichen Familie, die es auch legitim machte, dass Frauen nicht wählen durften oder dass junge Männer Wehrdienst leisten mussten. „Die Welt morgen, in der sich die heutigen Kinder zu orientieren wissen sollten, scheint sich mir aber auf andere Ideale zu stützen, wie zum Beispiel die freie Entfaltung der Persönlichkeit oder die Gleichberechtigung der Geschlechter.“

Geschlecht nicht so wichtig nehmen

Wir hängen also in Geschlechterrollen fest, die wir in unserem Denken teilweise schon überholt haben. Kann ich mein Kind dann überhaupt ohne Rollenklischees erziehen? „In einer „nicht-geschlechtsneutralen” Gesellschaft ist es nicht möglich „geschlechtsneutral” erzogen zu werden“, sagt Soziologin Garcia. Man könne als Eltern aber, insbesondere bei Kleinkindern, bewusst gegen Geschlechterstereotypen arbeiten. Das beginne damit, das Geschlecht nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen und es zum Beispiel als Erklärungsmuster für ein Verhalten zu nutzen. Oder auch, indem man Jungen und Mädchen nicht mehr ganz natürlicherweise als zwei geteilte Gruppen betrachtet und anspricht.

Es ist sicher ein guter Anfang, das Geschlecht im alltäglichen Umgang einfach nicht zu wichtig zu nehmen. Ob meine Tochter also gerne raufen will oder Puppen herumträgt, das sollte mir einfach etwas mehr egal sein.

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