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Interview

Mobbing in der Schule
Was Eltern tun können, wenn das eigene Kind zum Täter wird

Lesezeit 9 Minuten
Das Bild zeigt ein junges Mädchen, das von einem Mitschüler gemobbt wird. Er hält ihr ein Schild mit der Aufschrift „Dumme Kuh!“ entgegen. (Symbolbild)

Wenn Kinder gemobbt werden, stellt das die Eltern vor viele Fragen und Herausforderungen. Auch wenn das eigene Kind zum Täter wird. (Symbolbild)

Mobbing unter Kindern bringt Leid und stellt Betroffene und Eltern vor große Heraus­forderungen. Aber was, wenn das eigene Kind zum Täter wird?

Eltern von Kindern, die zu Opfern von Mobbing werden, machen sich große Sorgen und verzweifeln schnell an den Herausforderungen, die solch eine schwierige Situation mit sich bringt. Ebenso geht es aber auch denen, deren Kinder selbst zu Tätern werden. Wie Mütter und Väter reagieren und welche Fehler sie besser nicht machen sollten, erklärt Pädagogin und Autorin Inke Hummel.

Wenn Kinder zu Mobbing­opfern werden, merken das Eltern oft über ein verändertes Verhalten zu Hause. Wie erkennen Eltern, wenn ihr Kind selbst zum Mobber wird?

Inke Hummel: Meist finden es Eltern dann heraus, wenn sie von irgendwem ein Feedback bekommen. Manchmal aus der Schule, manchmal von anderen Eltern. Oft merken die Eltern dann im Nachgang auch, dass doch etwas anders war an dem Verhalten ihres Kindes.

Wenn ein solches Feedback kommt, wie gehen Eltern dann am besten damit um?

Steht der Mobbing­vorwurf im Raum, würde ich im ersten Schritt immer empfehlen, mit dem Kind ganz offen ins Gespräch zu gehen. Das Kind also weder vorher zu verurteilen noch gleich zu entscheiden, es sei absolut unschuldig.

Eltern können es vermutlich auch schlecht aushalten, dass ihr Kind sich so verhält.

Ja, weil Aggression oder ein unsoziales Verhalten etwas ist, was uns großes Unbehagen bereitet. Und wir beziehen das schnell auf uns und fragen uns, was wir falsch gemacht haben könnten. Aber so monokausal – Papa schimpft Kind, und Kind beschimpft anderes Kind – ist es eben nicht.

Warum wird denn ein Kind zum Mobber?

In der Regel hat es damit zu tun, dass irgendein psychisches Grund­bedürfnis nicht gut erfüllt ist. Zum Beispiel das nach Selbstwert­erhöhung oder das nach Kontrolle. Das kann aus dem Eltern­haus kommen, das kann auch in der Clique der Fall sein.

Manchmal ist das nur eine Kleinigkeit, vielleicht die Entwicklungs­phase, die es gerade schwer macht. Vielleicht sind es auch schlechte Erfahrungen in der Schule, schlechte Noten oder Abwertung durch Lehrer. Und manchmal ist es etwas Tiefer­gehendes, was wirklich mit den Erfahrungen im Elternhaus zu tun hat. Diese Kinder versuchen auf irgendeine Art, wieder in Kontrolle oder in ein gutes Selbstwert­gefühl zu kommen.

Darum müssen Eltern und Kinder gemeinsam arbeiten. Steht Mobbing im Raum, ist der erste Schritt, offen zu bleiben und das gemeinsame Gespräch mit dem Kind zu suchen. Und im zweiten Schritt geht es darum, den Ort, an dem das Mobbing stattgefunden hat, zu involvieren.

Familienberaterin und Elternexpertin Inke Hummel.

Inke Hummel ist Pädagogin, Familien­beraterin, Fortbildnerin für Fachkräfte und Autorin zahlreicher Bestseller, darunter „Miteinander durch die Pubertät“.

Warum sollte man den Ort miteinbeziehen?

Weil wir das, was in der Schule passiert, nicht alleine zu Hause lösen können. Es ist wichtig, dass die Menschen, die tagsüber mit unseren Kindern zu tun haben, auch Bescheid wissen und notfalls eingreifen können. Es ist auch wichtig, ihre Beobachtung zu hören, damit man ein komplettes Bild bekommt und alle gemeinsam daran arbeiten, um etwas zu verändern.

Mobbing ist eine hoch emotionale Angelegenheit. Wie kann man das besprechbar machen?

Bei allem, was so fordernd ist, ist es immer gut zu warten, bis die Emotionen herunter­gekocht sind, damit man beim Sachverhalt bleiben kann. Diese Vokabel Mobbing ist aber manchmal leider notwendig. Denn Sätze wie „Mein Kind wird geärgert“ oder „Es gab Streit“ führen in manchen Schulen – sicher auch aus der Not heraus, weil sie die Ressourcen nicht haben – dazu, die Probleme wieder auf die Eltern­häuser zu schieben.

Wenn Eltern das Problem angehen wollen, welche Fehler sollten sie unbedingt vermeiden?

Ich finde es immer schlecht zu handeln, ohne mit dem Kind zu sprechen. Man kann sich natürlich nicht alles absegnen lassen, da die Kinder manchmal auch in die Vermeidung gehen wollen. Das Wichtigste aber ist, mit dem Kind zu sprechen und trotzdem an bestimmten Stellen zu sagen: „Das muss ich jetzt entscheiden. Das ist meine Verantwortung, weil du die hier nicht übernehmen kannst.“

Was können Eltern tun, wenn das Kind vehement alles abstreitet?

Das ist ein schwieriger Punkt, bei dem ich immer versuchen würde, auf der Beziehungs­ebene heran­zukommen. Es geht darum dem Kind zu zeigen: Ich möchte dir gern glauben, du bist mein Kind. Das ist die wichtigste Verbindung in dem allen hier. Und dann nach der Schilderung des Kindes zu fragen und klarzumachen, dass es Raum dafür gibt.

Wenn ich aber doch das Gefühl habe, dass das Geschilderte so nicht stimmt, kommt es immer auch aufs Alter an. Wenn es ein kleines Kind bis zum Einschulungs­alter ist, bin ich Fan davon zu sagen: „Meine Wahrnehmung ist eine andere als deine.“ Ist das Kind älter, muss man vielleicht noch mal insistieren und sagen: „Ich bin mir sehr sicher, dass das nicht stimmt, was du sagst. Ich möchte dir gern glauben, aber ich kann das gerade nicht.“

Es ist ja ein typischer psychischer Mechanismus des Menschen, wenn es einem selbst nicht so gut geht, Kritik von sich wegzuschieben und die Verantwortung nicht zu übernehmen. Ist das bei dem Kind der Fall, würde ich als Eltern trotzdem nicht auf der Schuldfrage und einer möglichen Lüge hängen bleiben. Es ist wichtiger nach Lösungen zu suchen, als den Richter zu spielen.

Sie haben gerade das Alter angesprochen. Gibt es eine Entwicklungs­phase, in der das Thema Mobbing besondere Brisanz hat?

Immer wenn jemand dabei ist, seine Persönlichkeit auszubilden und sich auszuprobieren, wird das Vergleichen wichtig. Das ist sowohl im Kinder­garten als auch in der Grundschule und in der Pubertät ein Thema.

Aber am verletzlichsten sind sicher die Teenager, weil da so viel zusammen­kommt, was sie meistern müssen und was an Ansprüchen an sie heran­getragen wird. Und es ist die Zeit, in der die Eltern am wenigsten mitbekommen und steuern können. Daher ist das Jugend­alter die gefährlichste Zeit.

Das Buchcover von Inke Hummels „Miteinander durch die Pubertät – Gelassener begleiten, weniger streiten, in Kontakt bleiben“ vom Humboldt Verlag.

Inke Hummel: „Miteinander durch die Pubertät – Gelassener begleiten, weniger streiten, in Kontakt bleiben“, Humboldt Verlag, 176 Seiten, 20 Euro.

Hinzu kommt dann noch ein weiteres Thema: das Handy.

Genau. Viel Mobbing passiert auf diesem Wege, weil es leichter ist. Und es ist etwas, das man als Eltern noch viel weniger unter Kontrolle hat. Darum kann es auch hier hilfreich sein, konkret zu Cyber­mobbing und überhaupt zum Umgang mit sozialen Medien mit Sozial­pädagogen zu arbeiten.

Sollten Eltern die Handys der Kinder kontrollieren?

Ich würde gar nicht von Kontrolle sprechen. Dabeisein ist gerade am Anfang ein wichtiger Punkt. Das Handy sollte nichts sein, was einfach im Kinder­zimmer passiert, sondern unter Begleitung sein. Wie funktionieren die Apps, die sozialen Medien, wie viel Zeit sollte man da verbringen und was sollte man lieber persönlich klären als im Messenger? Das mit den Kindern zu besprechen, ist wichtig.

Gerade mit Beginn der Pubertät verändern sich Kinder und Eltern bekommen mit, dass der Ton untereinander rauer wird. Wann sollten Eltern intervenieren?

Gerade in diesem Alter wechselt die Elternrolle hin zu Begleitung und Ratgeber. Ich muss damit auch aushalten, dass sich mein Kind anders entwickelt, als ich mir das ausgemalt habe. Und trotzdem darf und sollte ich Rat geben und Fragen stellen. Wenn ich das Gefühl habe, der Umgang miteinander ist nicht mehr gut, würde ich versuchen durchs Fragen dahinter­zukommen. Ich würde fragen, warum sich das Kind so verhält, und was es glaubt, wie sich der andere dabei fühlt.

Vermutlich wird man dann nicht selten einen Jugendlichen vor sich haben, der sehr cool tut. Ich bin aber überzeugt: Unsere Worte wirken trotzdem. Das zeigen auch etliche Studien, in denen Jugendliche gefragt werden, wie wichtig die Stimme der Eltern ist. Die ist doch wichtiger, als man das in solchen Momenten fühlt.

Kann man als Eltern auch darauf vertrauen, dass das soziale Umfeld korrigierend wirken kann?

Über die Jahre habe ich darin ein großes Vertrauen aufgebaut, weil ich erlebt habe, wie häufig es tatsächlich ein, zwei Jugendliche in der Clique gibt, die deutlich machen: „Das geht so nicht!“ Da passiert viel. Und dennoch ist eine Wahrscheinlichkeit da, dass sich alle von so einer Dynamik mitreißen lassen und keiner widerspricht. Dann sind Eltern und Schule in der Verantwortung.

Was können Schulen tun, um die Situation zu verbessern?

Ich empfehle immer, wenn so etwas ist und das nicht mit der Lehrkraft eingerenkt werden kann, externe Sozial­pädagogen für ein Projekt in die Klasse zu holen und gemeinsam daran zu arbeiten, die Herzen wieder füreinander zu öffnen und das gegenseitige Mitgefühl zu stärken. Dann passiert das mit dem Mobbing nicht mehr so leicht, selbst wenn einzelne Kinder ihr Selbstwert­thema weiterhin mit sich herum­schleppen.

Wird man denn mit Mitgefühl­stärkung wirklich alle abholen können?

Wenn man in so einem sozial­pädagogischen Projekt zwei, drei Leute erreicht und mitzieht, gerade die Mitläufer vielleicht, dann haben die Tonangeber nicht mehr so viel Rückhalt. Und darüber kann man vieles wieder einfangen.

Damit ist den Tonangebern noch nicht geholfen, und ihnen ist auch noch nicht so richtig etwas entgegen­gesetzt. Manchmal ist dann eine Einzelbearbeitung notwendig. Die Familien dieser Kinder habe ich auch häufiger in der Beratung. Man sagt ja oft, es sei die schlechte Kindheit, wenn man auf „Täter“ guckt. Da ist etwas Wahres dran. Denen geht es nicht gut. Sonst würden die sich nicht so verhalten und hätten nicht solche Strategien.

Brauchen auch die Kinder, die Opfer des Mobbings sind, professionelle Unterstützung?

Auf jeden Fall. Erst einmal ist es wichtig, dass sie ernst genommen, gesehen und gestärkt werden und sich vor allem wieder sicher fühlen können.

Sollte vom mobbenden Kind eine Entschuldigung verlangt werden?

Ich finde, erzwungene Entschuldigungen sind nichts wert. Sich damit auseinander­zusetzen, sich anzuhören, wie es dem anderen dabei geht, finde ich viel relevanter, als dass am Ende jemand eine gelogene Entschuldigung ausspricht. Und vielleicht schafft man es doch, sich die Hand zu geben oder zumindest aneinander vorbeizulaufen ohne blöde Bemerkungen zu machen. Und das ist sehr viel mehr wert.

Können Kinder nach solchen Mobbing­erfahrungen auch wieder zusammen­finden?

Ich habe viele sehr gute Verläufe gesehen. Zum Beispiel unterstützt von Anbietern wie Skills4Life. Manchmal hilft es auch, wenn die Karten neu gemischt werden. Ein Kind, sei es nun Gemobbter oder Mobber, fängt in einer Klasse neu an, und die Dynamik in der Klasse und der weitere Weg dieser Person verändert sich.

Bleibt ein Kind, das mobbt, ein Mobber?

Die Frage ist eigentlich, ob das bleibt, was darunterliegt. Also das schlechte Selbstwert­gefühl oder ein Gefühl von mangelnder Kontrolle über das eigene Leben. Wird das gesehen und wird da geholfen? Dann kann sich jedes Verhalten und jede Strategie verändern.

Buchtipps zum Thema:

„Begleiten statt verbieten – Als Familie kompetent und sicher in die digitale Welt“ von Leonie Lutz und Anika Osthoff„Wir haben’s in der Hand! Ein Praxisratgeber zur Mobbing-Prävention in der Kita“ von Anja Küpper„Wenn die Pause zur Hölle wird: Wie du dich gegen Mobbing stärkst und Selbstvertrauen gewinnst“ von Norman Wolf

(rnd)