Wenn die Freundin ausfallend ist und man im Nachhinein selbst zur Zielscheibe wird, weil man keine Solidarität zeigt, ist guter Rat teuer.
In Sachen LiebeMeine Freundin wird oft ausfallend – Wie rede ich mit ihr darüber?
Meine neue Freundin hat eine Eigenart, die mir erst so richtig auffällt, seit wir zusammen sind: Sie reagiert in der Öffentlichkeit unwahrscheinlich aggressiv, sobald sie sich schlecht behandelt, zurückgesetzt oder übervorteilt fühlt. Sie beginnt zu schimpfen, zu schreien, wird manchmal regelrecht ausfallend. Und ich stehe oft daneben, schäme mich und weiß nicht, was ich tun oder sagen soll. Und das Schlimmste: Es ist mit ihr nicht gelungen, darüber zu reden. Da sie sich im Recht fühlt, verlangt sie von mir uneingeschränkte Solidarität. So werde ich im Nachgang oft selbst zur Zielscheibe. Ich weiß nicht mehr weiter.Bernd, 38
Sie beschreiben das Dilemma einer Paareinheit. Da sind Sie aus Sehnsucht nach Nähe und Innigkeit ein Liebesbündnis eingegangen, genießen diese enge Zweisamkeit und verpflichten sich dafür – ob bewusst oder unbewusst – gerne zu Solidarität, zu gegenseitiger Rückendeckung.
Und dann gibt es Momente – wie der, von dem Sie berichten: Sie spüren, dass es eine Einheit ist, in der Ihre Empfindungen und Ihre Haltung nicht vorkommen oder zumindest zu wenig Raum haben. Es ist zu eng, und Sie wünschen sich eine Auseinandersetzung, damit Sie mit Ihrer Persönlichkeit und Ihren Gefühlen gesehen werden. Ihre Hilflosigkeit kann ich gut verstehen.
Solche Konflikte sind gute Gelegenheiten, Ihre Beziehung und damit sich selbst zu entwickeln. Natürlich braucht es dazu die Bereitschaft von beiden. Aber gerne eins nach dem anderen: Ihre Freundin hat ihre Geschichte, ihre Persönlichkeit und ihre Art und Weise, mit für sie schwierigen Situationen umzugehen. Sie fühlt sich benachteiligt und reagiert – wie ich es aus Ihrer Frage herauslese – unangemessen heftig. Als Therapeutin interessiert mich als erstes: Wieso ist das so? Was wird bei ihr getriggert? Welche Erfahrungen hat sie gemacht, dass sie sich so heftig verteidigen muss? Das wären Inhalte einer Therapiestunde mit ihr, zu der sie bereit sein müsste. Das alles betrifft das Ich ihrer Freundin und ist sicherlich weiterführend und wichtig für Ihre Beziehung.
Verbundenheit als Fundament
Gleichzeitig sind Sie aber nicht der Therapeut Ihrer Freundin und haben dafür nicht die Verantwortung. Vielmehr sind Sie das Du in Ihrer Wir-Beziehung, das sich in dieser Situation nicht wohl gefühlt hat. Das ist ein Grund zum Gespräch und – wie Sie beschreiben – für Konflikt.
Die hohe Kunst in einer (Liebes-)Beziehung ist es, die Verbundenheit als Fundament für die Auseinandersetzung zu nutzen. Der Beziehungsrahmen muss stark und stabil sein, sonst hat eventuell schon eine Meinungsverschiedenheit die Macht, die Verbundenheit zu schwächen oder gar zu lösen. Also empfehle ich Ihnen in einem ersten Schritt, die Verbundenheit zu stärken. Das haben Sie bereits in der Öffentlichkeit getan, in dem Sie Ihre Empfindungen zurückgehalten und sich solidarisch mit Ihrer Freundin gezeigt haben. Nur ist Ihr nachhaltiges Unwohlsein und das mehrmalige Auftreten des Verhaltens Ihrer Freundin ein Anzeichen dafür, dass Ihr Beziehungsrahmen für Sie nicht mehr passt. Er muss verändert und entwickelt werden. Dazu ist ein Beziehungsgespräch ein guter Ansatz.
Sich für das Thema verabreden
Wie Sie beschreiben, lässt sich Ihre Freundin aber bislang nicht auf Ihren Gesprächsansatz ein. Das gilt es, erst einmal zu akzeptieren: So ist es eben! Welcher Ansatz kommt aber dann noch in Frage? Hier kommt es darauf an, kreativ zu werden und sich auf Ihr gemeinsames Ziel zu besinnen: Zusammen glücklich sein und sich wohl fühlen. Was brauchen Sie dafür? Was braucht Ihre Freundin? Halten Sie inne! Und verabreden Sie sich, um dieses Thema zu behandeln. Machen Sie feste Termine aus, die auch in Ihrer Dauer festgelegt sind. Oftmals ist es bereits hilfreich, genügend Raum zu schaffen für eine so wichtige Frage. Natürlich können Sie auch überlegen, welche Art von professioneller Hilfe für Sie beide die richtige wäre. Durch den Austausch über das gemeinsame Vorgehen bleiben Sie einerseits im Gespräch, gleichzeitig nehmen Sie etwas Abstand von Ihrem Eskalationsthema.
Eine weitere Möglichkeit ist, Ihre Freundin zu einem gemeinsamen Brainstorming aus ihrer Perspektive einzuladen: „Wie würdest du damit umgehen, wenn du dich mit einer Situation nicht wohlfühlst, deinen Liebsten aber nicht im Stich lassen willst?“
Meiner Erfahrung nach bringt ein solches gemeinsames Innehalten oft neue Ideen und stärkt zudem die Verbundenheit. So gehen Sie zwar nur langsam, dafür aber gemeinsam weiter auf Ihrem Beziehungsweg.
Leserfragen
Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung: die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner, die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald, Sexualberaterin Gitta Arntzen sowie der Urologe Volker Wittkamp. Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.