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Oft einsamMütter erzählen, wie sie sich in der ersten Zeit mit Baby gefühlt haben

Lesezeit 8 Minuten
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Vielen Eltern, Müttern wie Vätern, fällt es besonders in den ersten Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes schwer, ihm Liebe zu zeigen.

  1. Nur wenige Ereignisse verändern das Leben so sehr wie eine Geburt. Das kann neue Eltern schnell überfordern.
  2. Viele empfinden Angst und Unsicherheit – doch die wenigsten sprechen offen darüber.
  3. Experten erklären, wie sich Frauen wirklich nach der Geburt fühlen und was sich dringend ändern müsste.

Köln – Und plötzlich ist er da. Ein winziger Mensch. Er liegt dort, schläft ruhig und zufrieden. Ab und zu zuckt ein unkontrolliertes Lächeln über sein Gesicht. Er sieht noch etwas zerknautscht aus, immerhin atmet das Baby erst seit wenigen Tagen selbstständig auf dieser Welt. Davor war es neun Monate im Körper seiner Mutter zuhause, sah nichts, hörte nur dumpfe Geräusche. Zwei Menschen haben ihn erschaffen - für die Eltern ein überwältigendes Gefühl. Es ist ein Gefühl unter dutzenden, die viele Mütter und Väter seit der Geburt durchströmen - positiv wie negativ. All die verschiedenen Gefühle zu ordnen fällt schwer. Und das geht vielen jungen Eltern so.

„Gedanken über Ängste will kaum jemand hören“

Doch diese Entdeckung zu machen, ist gar nicht leicht. Denn: Über negative Gefühle sprechen Frauen und Männer kaum in der Öffentlichkeit. „Gedanken über Ängste will kaum jemand hören“, bestätigt Hebamme Anke Kubbernuß. Die 53-Jährige arbeitet im Rheinisch-Bergischen Kreis als Hebamme und hat schon viele Frauen in Schwangerschaft, bei Geburten und im Wochenbett betreut. Ihre Erfahrung ist eindeutig: „Ob wir gute Eltern sind, wird oft daran gemessen, wie stark wir unsere Liebe nach außen tragen.“

Aber vielen Eltern, Müttern wie Vätern, fällt es besonders in den ersten Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes schwer, diese Liebe zu zeigen. Ihr Kind ist zunächst ein fremder Mensch. Frau und Mann müssen sich erst als Mutter und Vater neu finden, sie müssen ihr Kind kennenlernen, sie müssen die Schmerzen der Geburt verarbeiten - all das prasselt auf junge Eltern ein.

Es gibt Eltern, die sich nur freuen – aber eben auch andere

„Ein Kind aus dem eigenen Bauch zu holen ist ebenso schön wie ein Zauberstück.“ Sprüche wie dieser von Simone de Beauvoir prangen auf zahlreichen Glückwunsch-Karten zur Geburt, die nach der Entbindung ins Haus flattern. Es gibt sie: Eltern, die sich nach der Geburt eines Kindes nur freuen. Sie spüren nichts anderes als pures Glück, vielleicht auch Verwunderung über ihre Situation, ebenso als würden sie einem Zauberkünstler zuschauen. Aber es gibt auch Väter und Mütter, die genau das Gegenteil empfinden: Angst, Überforderung, Erschöpfung, Leere, Einsamkeit. Und in den Ohren dieser Eltern klingen solche wohl gemeinten Worte wie die der Feministin und Philosophin Simone de Beauvoir wie der reinste Hohn.

Aber diese Zweifel und mitunter Wut in Worte zu fassen, fällt vielen schwer, erwarten doch die Angehörigen, die Freunde, die Gesellschaft, dass sich die Frau nichts sehnlicher wünscht als dieses winzige Wesen endlich in ihre Arme schließen und umsorgen zu können. Und sie soll jetzt einfach nur Glück empfinden! Und der Mann soll bitte mit kuscheln und zufrieden sein.

Nein. Es gibt bestimmt Frauen und Männer, die genauso fühlen. Aber es ist genauso normal, dass vor allem Erstgebärende ein Auf und Ab der Gefühle erleben - und nicht nur jene aus der „Es ist alles vergessen, wenn das Baby lächelt“-Kategorie. „Es muss immer alles perfekt sein“, fasst Hebamme Anke Kubbernuß das Problem zusammen. „Und der alte Lebensstil soll auch schnell wieder zurück sein: das Interesse an Arbeit, Gesellschaft, Sport, Sex - diesen Druck legen sich viele Mütter und Väter selbst auf, aber er kommt auch von außen.“

Kinder kriegen als einsame Erfahrung

Dabei haben vor allem Mütter im Wochenbett - also den sechs Wochen nach der Geburt - erst einmal andere Probleme. „Was ich nicht gedacht hätte, dass es eine sehr einsame Erfahrung ist“, beschreibt zum Beispiel die 32-jährige Linda ihr erstes Wochenbett. Sie hat Zwillinge geboren - eine aufregende, anstrengende und außergewöhnliche Geburt lag hinter ihr und sie hatte keine Ahnung, was danach kommt. „Stolz war ich, dass ich beide erst einmal stillen konnte - aber nach und nach wurde mir klar: Ich bin doch recht allein mit den beiden.“

„Ich war sehr eingeschränkt im Wochenbett durch den Kaiserschnitt“, berichtet die 33-jährige Marta von ihren Erfahrungen. „Ich hatte deshalb das Gefühl, ich sei nicht gut genug für mein Baby da.“ Ihr Partner übernahm am Anfang das Wickeln und Baden - und Marta musste zusehen und sich schonen. „Ich hatte Angst, etwas zu verpassen und meinem Sohn nicht gerecht werden zu können.“

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Manche Frauen - und auch Männer - können diese Ängste nur schlecht verarbeiten. Einige entwickeln sogar eine Depression, die im Zusammenhang mit der Geburt als Wochenbettdepression bekannt ist. Bis zu 15 Prozent aller Mütter erkranken an einer solchen postpartalen Depression, die innerhalb der ersten zwölf Monate nach der Geburt auftreten kann, wie Dr. Anne Jahnke bestätigt. Die 40-Jährige ist Oberärztin in der Allgemein-Psychiatrie der LVR-Klinik Köln und zuständig für Schwangeren-Ambulanz. „Hauptsymptome sind Veränderungen der Stimmung mit Traurigkeit, Gereiztheit, Leeregefühl und Gefühllosigkeit, Lustlosigkeit, fehlender Antrieb und Schlafstörungen“, so Jahnke über die Depression.

LVR_Alexandra Kaschirina

Dr. Anne Jahnke

„Häufig leiden die Betroffenen unter starken Ängsten und Panikattacken, auch in Bezug auf das Kind.“ Teilweise entwickeln sie Selbstmordgedanken oder überlegen, das Kind zu verletzen. Wie viele Männer eine Wochenbettdepression entwickeln, ist nicht klar. „Die Häufigkeit wird auf fünf bis zehn Prozent geschätzt“, so Jahnke.

Wochenbettdepression vs. Baby-Blues

Nicht zu verwechseln ist die Erkrankung Wochenbettdepression mit dem oft belächelten Baby-Blues: Frauen erleben nach der Geburt ein Auf und Ab der Gefühle - dank zahlreicher Hormonveränderungen. „Als Baby-Blues wird eine kurzfristige Veränderung der Stimmung in den ersten Tagen nach der Geburt bezeichnet“, erklärt Jahnke. Diese Stimmungsveränderung trifft mehr als die Hälfte aller Mütter. Die Symptome können denen einer Depression ähneln, sie bilden sich aber nach einigen Tagen von selbst zurück.

Sollte das nicht der Fall sein, sollten Betroffene, aber auch Angehörige, aufmerksam sein und sich im Zweifel Hilfe suchen. Wenn dies nicht geschehe, leide nicht nur die Mutter selbst. „Die Konsequenzen für die Mutter-Kind-Bindung sind fatal“, warnt Jahnke. „Solch eine Erkrankung hinterlässt Spuren.“ Mit Psychotherapie, Unterstützung im Alltag und im Härtefall auch Medikamenten könne eine Depression aber abklingen. „Das Thema Wochenbettdepression ist in den letzten Jahren präsenter geworden“, sagt die Oberärztin. „Dennoch fällt es vielen Betroffenen weiter schwer, zeitnah die erforderlichen Hilfen zu suchen.“

Denn: Ob Wochenbettdepression, Baby-Blues oder einfach die anfängliche Überforderung, wenn eine junge Mutter in der Öffentlichkeit Schwierigkeiten und Ängste andeutet, trifft sie immer noch oft auf verdutzte Gesichter. Auch die ehrliche Antwort auf die oft gestellte Frage „Wie war die Geburt?“ können viele nicht vertragen. Die Geburt eines Kindes kann anstrengend, Angst einflößend und schmerz-haft sein. Die Frau erlebt Gefühle, die sie sich nicht hat vorstellen können. Aber die Frage nach dem Verlauf der Geburt soll so lapidar beantwortet werden wie die nach dem gestrigen Abendessen. Wie? Ist nicht alles vergessen gewesen als du dein Kind im Arm hattest? Wieso beschwerst du dich über die Geburt? Dein Kind ist gesund! Stell dich nicht so an, meine Geburt ging ganz schnell. „Die heraus-fordernde Zeit wird oft und gerne negiert“, sagt Hebamme Anke Kubbernuß. „Dabei ist das Wochen-bett kein Wellnessurlaub. Mutter und Vater müssen sich erst in ihren Rollen einfinden.“

Hilfestellen für Eltern

Wer sich zum Thema Wochenbettdepression, Baby-Blues oder sonstigen psychischen Krisen rund um die Geburt informieren will, findet in Köln verschiedene Beratungsangebote. Der Verein „Schatten und Licht“ bietet Selbsthilfegruppen und (Telefon-)Sprechstunden, die LVR-Klinik Köln hat eine Ambulanz für Themen rund um die Schwangerschaft eingerichtet. Im Netzwerk JUNO finden sich zudem viele weitere Hilfen, die in Schwangerschaft, Wochenbett oder auch bei Problemen in den ersten Jahren mit Kind entstehen können.

Kontakt in der LVR-Klinik, Sprechstunde Schwangerschaft:

0221/8993610

www.klinik-koeln.lvr.de

Weiter Informationen zu „Schatten und Licht“:

www.schatten-und-licht.de

Netzwerk JUNO:

www.juno-koeln.de

„Mit einem Neugeborenen kommt man schnell an seine Grenzen"

Und das wird ihrer Erfahrung nach immer schwerer für junge Eltern. „Es gibt kaum mehr eine Großfamilie. Manche Frauen haben mit Mitte 30 noch nie ein Neugeborenes auf dem Arm gehabt“, so die Hebamme. „Viele Menschen sind heute nur noch auf sich fixiert - da fällt die Umstellung auf ein Leben mit einem hilflosen Baby ziemlich schwer.“ Frauen und Männer seien oft nicht mehr gewohnt, dass etwas nicht funktioniere oder nicht möglich ist. „Und mit einem Neugeborenen in der Familie kommt man schnell an seine Grenzen - körperlich und psychisch.“

Eine psychische Grenze ist auch das Thema Fehlgeburt. Die 35-jährige Christin musste diese Erfahrung machen. Sie verlor ihr erstes Kind nach ein paar Wochen. „Darüber reden konnte ich mit kaum jemandem“, erinnert sie sich. Außer ihrem Partner und ihrer Mutter wusste es niemand. „Als ich mich in meiner zweiten Schwangerschaft dann traute zu erzählen, dass ich schon einmal ein Kind verloren habe, sagten mir so viele Frauen, dass sie das gleiche erlebt haben. Ich war überrascht!“ Schätzungen gehen davon aus, dass rund jede dritte Frau ein Kind in den ersten zwölf Wochen der Schwanger-schaft verliert - mehr als so manche glaubt. „Ich hatte das Gefühl einen Makel zu haben“, sagt Christin.

„Es gibt zu wenig Raum zum Austausch“, fasst Hebamme Anke Kubbernuß dieses Phänomen des Schweigens zusammen. Mit welchen Freunden spreche man denn noch über die wirklich wichtigen Dinge im Leben? Über seine Gefühle und Ängste? „Wir sollten uns öfter treffen und dann ehrlich miteinander sprechen.“ Dann ergebe sich vielleicht eher die Möglichkeit, über solch intime Dinge zu berichten. Erzählcafés in Hebammenpraxen, Geburts- oder Krankenhäusern seien auch eine Möglichkeit.

Denn letztendlich ist jede Geburt, jedes Wochenbett, jedes Kind so individuell wie nichts sonst auf der Welt. Nichts ist vergleichbar mit anderen Lebensläufen. Und jede Geschichte darf gehört werden.