Lernen aus der KriseKölner erzählen von ihren Träumen für die Zeit nach Corona
- Seit Beginn der Woche öffnen nach und nach wieder Geschäfte und Schulen in NRW, der strenge Shutdown wird langsam aufgehoben.
- Unsere Autorin hat mit vier Rheinländern über ihren Umgang mit der Coronakrise und über ihre Hoffnungen für die Zeit danach gesprochen.
- Ein Abiturient, eine Apothekerin, ein Buchhändler und eine Angestellte in der Unternehmenskommunikation erzählen, was sie sich wünschen, worauf sie hoffen und was sie am meisten vermissen.
Köln – Als würde sich ganz langsam ein Vorhang heben – so fühlt sich das Leben im Moment an. Seit Beginn dieser Woche haben in NRW die ersten kleinen Geschäfte, die ersten Buchläden geöffnet. Autohändler, Möbelhäuser und Babymärkte freuen sich über Kundschaft. Der Betrieb in Kitas und Schulen wird schrittweise wieder hochgefahren.
„Es ist die schlimmste Zeit, es ist die beste Zeit“
Seit Wochen hat die Corona-Pandemie die Welt fest im Griff – ein Feind, den man nicht sieht und der das Leben auf unserem Planeten nahezu zum Stillstand gebracht hat. Die Zahl der Menschen, die sich nach offiziellen Angaben weltweit mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert haben, nähert sich der Drei-Millionen-Grenze. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Auch in Deutschland steigt täglich die Zahl der Todesfälle. Um Schlimmeres zu verhindert, verbarrikadieren wir Menschen uns, wie wir es vielleicht zuletzt in den Zeiten der großen Pest-Epidemien getan haben.
Ausgangssperren, wie sie in Italien, Frankreich, Spanien und Belgien gelten, und Kontaktverbote begrenzen unseren Aktionsradius auf unsere unmittelbare Umgebung, unsere persönlichen Begegnungen auf einige wenige Menschen. Und: Die Restriktionen werfen uns auf uns selber zurück. „Es ist die schlimmste Zeit, es ist die beste Zeit“, schreibt die kanadischen Schriftstellerin und mehrfach Booker-Prize-Trägerin Margaret Atwood im „Time Magazin“ über die Corona-Krise. „Wenn Sie nicht krank sind, dann können Sie diese Zeit genießen, auch wenn in einem etwas weniger rasanten Tempo als zu normalen Zeiten“. Und die große Autorin rät: „Machen Sie das Beste daraus. Es liegt in Ihrer Hand, wie Sie diese Zeit erleben.“
Tun wir das? Machen wir „das Beste daraus“? Ziehen wir vielleicht sogar Positives aus dieser beispiellosen, weltumspannenden Krise?
Vier Menschen – vier Geschichten zum Umgang mit der Krise
Wir haben nachgefragt: Bei dem 17-jährigen Lennart Lahr, der in diesem Jahr sein Abitur macht und große Pläne hatte. Aus seiner Reise nach Australien wird in diesem Jahr nichts werden, vielleicht nicht einmal im nächsten. Bei Judith Blümcke, die in der Unternehmenskommunikation einer Kölner Firma arbeitet. Ein „Zwischentief“ hat der 36-Jährigen zu Beginn der Krise zu schaffen gemacht. Inzwischen weiß sie, dass sie mit Einschränkungen umgehen und für andere Menschen zurückstecken kann. Bei Mike Altwicker, 46 Jahre alt und Buchhändler in Nümbrecht. Er ist froh über den großen Zusammenhalt in seiner Familie und hofft, dass die Menschen lernen, ein wenig Tempo aus ihrem Leben zu nehmen. Er selber eingeschlossen. Bei Sigrid Bernard, Apothekerin in Köln. Die 63-Jährige arbeitet in den Zeiten der Corona-Krise hinter einem „Spuckschutz“ und ist in Sorge, dass es bei bestimmten Medikamenten bald zu Lieferengpässen kommen könnte.
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So unterschiedlich diese vier Menschen auch sind, so ähnlich sind sie sich in ihren Wünschen und Hoffnungen. Was sie alle am meisten vermissen, das ist die direkte Kommunikation mit anderen. „Ich möchte mich mal wieder in die Sonne setzen und ein Schwätzchen halten“, sagt Sigrid Bernard. Ein bescheidener Wunsch, doch unerfüllbar schon seit Wochen. Lennart Lahr sehnt sich nach einem Treffen mit seinen Freunden am See. Abhängen, chillen, quatschen. Zusammen in die Sonne gucken. Sie schreibe wieder Briefe, sagt Judith Blümcke – auch das eine Form der Kommunikation, die vom Wunsch nach Intimität und Nähe erzählt. Mike Altwicker ist froh, seine „Kernfamilie“ um sich zu wissen.
Der Mensch braucht andere Menschen
Der Mensch, das lehrt uns dieses unsichtbare, stachelige, winzig kleine Virus, ist nicht gern allein. Er braucht den Austausch mit Seinesgleichen, die geistige, die gedankliche, die körperliche Nähe, und die kann auf Dauer kein Telefonat, keine Mail, keine Whatsapp-Nachricht ersetzen. „Ich bin von allen Menschen getrennt, ein Einsiedler, verbannt aus aller menschlichen Gesellschaft“, klagt der schiffbrüchige Robinson Crusoe in dem gleichnamigen Roman von Daniel Defoe. Und tröstet sich damit, dass er wenigstens „nicht Hungers gestorben“ ist und „verdorben an einem unfruchtbaren Ort“. Umso schöner die erste Begegnung mit einem Menschen, 25 Jahre, nachdem der Seemann auf einer einsamen Insel strandet war.
Wie wird die Welt aussehen, in die wir hoffentlich bald zurückkehren? Werden wir anders leben als bisher, um unsere Erde vor weiteren Schäden zu bewahren, fragt Margaret Atwood. „Werden wir bei der Gewinnung von Energie und Nahrung bessere Wege beschreiten? Oder wird etwa alles beim Alten bleiben?“
Nein, so weitergehen wie bisher sollte es keinesfalls, das sagen unsere Gesprächspartner. Ihnen allen hat die Krise vor Augen geführt. Es lässt sich stressfreier leben als bisher. Langsamer. Genügsamer. Ruhiger. Müssen wir immer mehr wollen, fragt Judith Blümcke, die sich bei Greenpeace engagiert. Man sollte auch mal Fünfe gerade sein lassen, wünscht sich Mike Altwicker. Freundlich zueinander sein, statt sich an der Fleischtheke anzublaffen, wenn sich jemand vordrängt.
Sich bescheiden und auf die eigenen Ressourcen besinnen – auch das ist ein Wunsch, den derzeit viele Menschen haben. Sich nicht abhängig machen von anderen in einer globalisierten Welt. Weltoffen bleiben, aber die Welt auch in sich selber sehen. Doch lesen Sie selber.
Lennart Lahr, 17 Jahre alt, Abiturient aus Köln
Lennart Lahr wollte in diesem Jahr nach Australien reisen. Er fürchtet, dass die Menschen nach dem Ende der Pandemie in ihre alten Verhaltensmuster zurückfallen werden.
Die Pandemie ist ein herber Rückschlag für meine Pläne. Ich mache in diesem Jahr Abitur und wollte anschließend ein Jahr durch Australien reisen. Work and Travel. Aber daraus wird wohl nichts werden, und jetzt muss ich mir überlegen, wie es weitergehen soll. Ich will auf jeden Fall studieren, aber ich weiß noch nicht, was. Eigentlich wollte ich das Jahr in Australien nutzen, um mir alles gründlich durch den Kopf gehen zu lassen, und mich dann für eine Studienrichtung entscheiden. Dank Corona muss ich das nun sehr bald tun und stehe unter einem gewissen zeitlichen Druck.
Einfach mal am See sitzen mit Freunden – das fehlt
Der Vorteil der Krise: Ich hatte viel Zeit, für meine Abifächer zu lernen. Ansonsten beschäftigt mich meine Mutter im Garten und im Haushalt. Generell gehe ich relativ gelassen mit der Situation um. Irgendwo anstecken kann ich mich nicht, weil ich in häuslicher Quarantäne bin und außer über das Internet kaum soziale Kontakte habe. Ich hätte ohnedies weniger Angst um mich als um andere. Um meine Mutter, meine Oma oder Menschen, die einer Risikogruppe angehören. Was, wenn ich mich infiziere und sie dadurch in Gefahr bringe? Das will ich nicht verantworten.
Trotzdem ist es doof, dass ich mich nicht mit meinen Freunden treffen kann. Einfach zusammen am See sitzen, reden, chillen - davon träume ich. Und natürlich von Australien. Dass es vielleicht doch noch klappt mit meiner großen Reise. In den letzten Wochen habe ich vor allem begriffen, dass man sich auf nichts wirklich verlassen kann. Man kann planen und planen, aber am Ende macht einem das Leben einen Strich durch die Rechnung. Also muss man sich rechtzeitig Alternativen überlegen und sagen: Wenn Plan A nicht klappt, gibt es noch Plan B und Plan C. Damit man nicht so schnell von irgendetwas überrascht wird.
Ich glaube, dass die Menschen in den vergangenen Wochen nachsichtiger geworden sind, solidarischer. Einfach, weil die Angst vor der Pandemie sie zusammenschweißt. Ich wünsche mir, dass das so bleibt, aber ich glaube nicht daran. Schon bald wird alles vergessen sein, und die Menschen werden zu ihren alten Verhaltensmustern zurückkehren. Bis der nächste große Schock kommt.
Judith Blümcke, 36 Jahre alt, Pressereferentin in Köln
Judith Blümcke weiß jetzt, dass sie mit Einschränkungen leben kann. Sie wünscht sich eine Welt, in der die Menschen mehr als bisher über ihre Bedürfnisse nachdenken.
Ich habe in den vergangenen Wochen sehr viel über mich selber gelernt, und das finde ich toll. Zum Beispiel, dass ich allein zu Hause an meinem Küchentisch arbeiten kann. Ich habe noch nie zuvor Homeoffice gemacht, aber es klappt erstaunlich gut. Ich weiß jetzt auch, dass ich mit Einschränkungen klarkomme und solidarisch sein kann mit einer Gemeinschaft. Meine Mutter gehört zur Risikogruppe, und ich möchte nicht, dass sie und andere angesteckt werden. Also habe ich mir von Anfang an gesagt: Du schränkst dich jetzt ein, Du willst das, Du kannst das. Und ich kann es wirklich. Das ist das Positive, das ich für mich aus dieser Krise ziehe.
Die Pandemie hat weltweit etwas verändert
Trotzdem fehlt mir vieles: Konzertbesuche, Museumsbesuche, einfach mal einkaufen gehen. Ich glaube, ich weiß jetzt mehr zu schätzen, was für Freiheiten wir normalerweise haben und in welcher Luxussituation wir leben. Ich freue mich schon, wenn die Greenpeace-Treffen wieder stattfinden. Die sind total wichtig für mich. Diese nachhaltige Vernetzung, dieses Sich-engagieren ist online superschwierig, weil viele Aktionen davon leben, dass Du präsent und wahrnehmbar bist.
Ganz stark vermisse ich die Begegnung mit anderen Menschen. Freunde, die Familie treffen. Mein Lebensgefährte hat zwei kleine Töchter. Sie leben in Aachen und besuchen uns regelmäßig. Das geht momentan natürlich auch nicht. Stattdessen skypen wir und schreiben uns Briefe. Das wiederum finde ich schön: in der Krise die alten Kommunikationswege wiederzuentdecken.
Ich glaube, dass die Pandemie weltweit etwas verändert hat. Wir haben gesehen, dass Konferenzen problemlos virtuell stattfinden können und nicht jede Reise nötig ist. Ich hoffe, dass die Menschen allmählich begreifen, welche Folgen die Zerstörung der Natur auch für uns haben kann. Es wird bereits darüber diskutiert, ob Pandemien vielleicht entstehen, weil Wildtiere ihren Lebensraum verlieren und Krankheiten, mit denen wir sonst nie in Kontakt gekommen wären, auf uns übertragen. Wenn wir also unseren eigenen Lebensraum ein wenig einschränkten, schützen wir uns selber.
Wenn ich mir eine Welt backen könnte, wäre es eine, in der die Menschen einmal darüber nachdenken, ob sie wirklich für fünf Tage nach Thailand oder sonst wohin fliegen müssen, nur um dort die Füße in den Sand zu stecken. Ich wünsche mir, dass die Menschen hin und wieder ihr Verhalten hinterfragen und den Luxus zu schätzen wissen, in dem wir leben. Ob Nochweiter, Nochschneller wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Wie wir jetzt gerade merken, sind wir viel genügsamer, als wir immer dachten. Es wäre schön, wenn die Welt insgesamt harmonischer wäre und man rücksichtsvoller miteinander umginge. Die Krise hat mir gezeigt, dass wir das können.
Mike Altwicker, 46 Jahre alt, Buchhändler in Nümbrecht
Mike Altwicker freut sich über die Freundlichkeit und Gelassenheit der Menschen in Krisenzeiten.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich 1991 eines Abends mit meiner Großmutter vor dem Fernseher saß. Der zweite Golfkrieg hatte gerade begonnen. Plötzlich fing meine Großmutter an zu weinen, was für mich als damals 17-Jährigem völlig unverständlich war. Also versuchte ich herauszubekommen, was los war, und sie sagte: „Ich habe Angst, dass meine Söhne in den Krieg müssen, den ich als unerträglich empfunden habe.“
Unsicherheit und schlaflose Nächte
Ich glaube, ich habe erst jetzt, verstanden, was sie damals bewegte. Als die Pandemie näher rückte und plötzlich das Damoklesschwert der Ausgangssperre über uns hing, war meine erste Reaktion: Die Kernfamilie muss an einem Ort zusammenbleiben. Die Vorstellung, ein Familienmitglied könnte irgendwo allein sein und ich könnte ihm im Notfall nicht helfen, hat mir große Angst gemacht. Dazu kam die Unsicherheit, wie es wirtschaftlich weitergeht. Ich habe nächtelang nicht geschlafen.
Inzwischen sehe ich durchaus auch Positives in der Krise. Alle Familienmitglieder unterstützen sich gegenseitig. Meine Mutter, die bei uns im Haus lebt, meine Frau, die beiden Jungs, die Schwiegereltern - wir alle verbringen viel Zeit miteinander, und das ist super. Die Familie ist für mich in dieser Zeit Rückhalt, Zusammenhalt, Freude.
Mehr Zeit mit der Familie verbringen
Die Buchhandlung war zwar einige Wochen geschlossen, aber wir haben viel über den Online-Shop generiert und hatten auch zahlreiche telefonische Bestellungen. Natürlich machen wir deutlich weniger Umsatz. Aber wir machen Umsatz.
Was ich auch total schön finde, ist, dass die Menschen gelassener geworden sind. Neulich war ich einkaufen. Es war ein ganz normaler Frühlingssamstag, und vor der Tür des Supermarkts standen 14 Leute und warteten darauf, nach und nach eingelassen zu werden. Was hätte das in normalen Zeiten für ein Gerangel gegeben. Aber die Menschen standen ganz ruhig da und versuchten, das Beste aus der Situation zu machen. Diese Freundlichkeit, die man überall spürt, beeindrucken mich zurzeit unglaublich. Da sage ich „Wow“, das hätte ich so nicht erwartet.
Ich hoffe, dass durch die Corona-Krise bei den Menschen langfristig ein Umdenken stattfindet und sie vielleicht auch in Zukunft mal Fünfe gerade sein lassen. Was ich mir auch wünsche: Dass wir alle etwas Tempo rausnehmen aus unserem Leben. Dass wir uns wieder mehr auf die Region, auf Deutschland, auf Europa besinnen. Dass wir nicht alles in Fernost produzieren lassen, sondern sagen, es gibt auch bei uns Menschen, die Arbeitsplätze brauchen. Das soll jetzt nicht nationalistisch klingen, und ich meine auch nicht, dass wir alle an der Scholle kleben sollen. Ich finde eine globale Denkweise sehr wichtig, aber ich habe das Gefühl, dass manchmal die kleinere Welt für die Menschen die überschaubarere wäre. Wenn das als Lehre aus der Krise gelänge: dass wir uns etwas verkleinern im Denken, ohne engstirnig zu werden.
Ich selber werde versuchen, mir in Zukunft mehr Zeit für meine Familie zu nehmen. Weil ich Familie als großes Glück empfinde. Das habe ich in den letzten Wochen noch einmal besonders stark erfahren, und das möchte ich mir bewahren. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, mir größere Zeitfenster für Privates freizuhalten. Wenn ja, wäre das vielleicht der größte Gewinn in meinem Leben, den ich der Corona-Krise verdanke.
Sigrid Bernard, 63 Jahre alt, Apothekerin in Köln
Sigrid Bernard vermisst am meisten die Gespräche mit den Patienten und Patientinnen. Ihr Wunsch: weniger Globalisierung.
Ich arbeite jetzt seit knapp 40 Jahren als Apothekerin, aber eine solche Ad-hoc-Krisenbewältigung, zu der wir durch den Ausbruch der Pandemie gezwungen waren, habe ich noch nicht erlebt. Inzwischen haben wir uns in die neue Situation eingefunden. Es dürfen nur noch zwei Kunden gleichzeitig in die Apotheke kommen, und wir stehen hinter einem sogenannten „Spuckschutz“. Außerdem arbeiten wir nicht alle gleichzeitig, sondern zwei Gruppen wechseln sich ab. Falls jemand in der einen Gruppe krank wird, kann die zweite den Dienst übernehmen.
Dadurch, dass ich zurzeit nur jeden zweiten Tag arbeite, habe ich mehr Zeit für mich. Ich habe bereits mein Haus von oben bis unten in Ordnung gebracht, bin mal in die Ecken gegangen und habe Bücher sortiert. Ich glaube ohnehin, dass wir Älteren die Einschränkungen durch die Corona-Krise besser wegstecken als die Jüngeren. Wir sind durch eine Generation erzogen worden, die noch den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, und sind vielleicht etwas genügsamer als die jungen Leute.
Weniger Hektik – doch die Gespräche fehlen
Was ich sehr vermisse, ist der tägliche Kontakt mit meinen Mitarbeiterinnen und mit den Patienten. Die Kolleginnen und ich telefonieren jeden Morgen: Was wir sonst intern in der Apotheke besprechen, wird aufs Telefon verlegt. Das funktioniert ganz gut, aber der persönliche Kontakt geht ein bisschen verloren. Am meisten vermisse ich tatsächlich die Gespräche mit den Patienten. Dadurch, dass wir durch diesen „Spuckschutz“ abgeschottet sind, entstehen Distanzen, die es vorher nicht gab. Die Leute stehen zudem unter Druck, sich kurzzufassen, wenn vor der Tür weitere Patienten warten.
Positiv finde ich, dass man durch die Krise lernt, anders miteinander zu kommunizieren. Man kann viele Dinge langsamer angehen als bisher und hat mehr Zeit für sich und die Familie. Ich merke das im gesamten Alltag. Ich merke es im privaten Bereich. Ich merke es bei den Fahrten in die Apotheke. Ich merke es innerhalb des Betriebs. Es geht deutlich weniger hektisch zu. Die Patienten tragen das sehr entschieden mit und sind freundlich und geduldig.
Wunsch nach weniger Globalisierung
Ich hoffe, diese Erfahrungen nach der Krise in den Alltag übertragen zu können. Es wäre schön, wenn uns allen bewusst würde, dass es möglich ist, langsamer zu leben. Weniger Stress zu haben, weniger Ellenbogen zu zeigen. Was ich mir auch wünsche, ist weniger Globalisierung. Sich auf die Dinge konzentrieren, die man selber herstellen kann. Gerade bei uns im pharmazeutischen Apothekenbereich sehe ich die derzeitige Entwicklung mit großer Sorge. Wir lassen sehr viele Medikamente in China und Südostasien herstellen, haben jedoch keinerlei Pharmaindustrie in Europa, die selber Arzneimittel produziert.
Jetzt geht uns allmählich der Nachschub aus. Allein in Wuhan werden fast 200 Arzneistoffe produziert. In ganz Südostasien sind es 400. Die Stoffe werden häufig nach Indien transportiert und dort verarbeitet. Doch momentan hält Indien viele Mittel für die eigene Bevölkerung zurück. Deswegen haben wir einen großen Mangel an Antidiabetika, Antibiotika und Schmerzmitteln wie Ibuprofen und Paracetamol. Diese Lieferengpässe zeichnen sich seit zwei Jahren ab und sind durch die Pandemie noch verstärkt worden. Mir bereitet das große Sorgen, und ich wünsche mir, dass die Corona-Pandemie auch da ein Umdenken bewirkt.