PatchworkfamilieWarum haben Stiefmütter so einen schlechten Ruf?

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Die Journalistin und Buchautorin Susanne Petermann ist selbst dreifache Stiefmutter. In ihrem erfolgreichen Stiefmutter-Blog gibt sie Frauen eine Plattform, sich offen über ihre Probleme als Zweit-Mamis auszutauschen. Für ihr Buch „Du hast mir gar nichts zu sagen! Stiefmutter sein ist nicht für Feiglinge“, erschienen im Diana Verlag 2015, hat sie viele Stiefmütter aber auch Psychologen und andere Experten interviewt. Ich habe mit Susanne Petermann gesprochen. Heute steht sie uns Rede und Antwort.
Warum haben Stiefmütter in Deutschland so einen schlechten Ruf? Das Wort alleine klingt ja schon recht hässlich.Susanne Petermann: Das Wort Stiefmutter stammt aus einer Zeit, als viele Mütter – meist noch im Wochenbett - gestorben sind und der Vater dann eine neue Frau geheiratet hat, die Stiefmutter. Der Begriff ist bis heute geblieben, obwohl sich die Gründe, mit einer neuen Frau zusammenzuleben, völlig verändert haben. Keine Stiefmutter findet diese Bezeichnung gut.
Und woher kommt der schlechte Ruf? Petermann: Aus den Märchen! Dort kommt das Motiv der bösen Stiefmutter häufig vor, in Hänsel und Gretel oder Schneewittchen zum Beispiel. Ich habe mir schon einmal überlegt, die Verleger anrufen und mich dafür einsetzen, dass das Wort Stiefmutter in den Märchen ersetzt wird. Das ist doch auch diskriminierend. Heute gibt es so viele Kinder, die mit Stiefmüttern aufwachsen. Und alle diese Kinder lesen diese Märchen, in denen Stiefmütter nichts anderes machen, als ihre Stiefkinder zu vergiften.
Haben Sie einen besseren Vorschlag?Petermann: Vize-Mom. Das bedeutet: Ich bin halt die Zweite. Wenn der amtierende Präsident nicht da ist, bin ich als Vize-Präsident da. Das nimmt der leiblichen Mutter auch weniger weg. Stiefmutter klingt ja auch so, als ob die Mutter nicht mehr vorhanden wäre. In Frankreich zum Beispiel heißt die Stiefmutter „belle mère“, also die „schöne Mutter“. Belle Mère hat doch einen viel schöneren Klang als Stiefmutter.
Sie sind selber Stiefmutter, betreiben einen erfolgreichen Stiefmutter-Blog, schreiben Artikel und jetzt dieses Buch. Darüber haben Sie viel Kontakt zu Betroffenen. Welche Klagen hören Sie immer wieder? Petermann: Jede Frau har ihr individuelles Päckchen zu tragen. Aber ein Problem ist bei allen Frauen gleich: die Fremdbestimmung. Sie leben nicht in einer Partnerschaft, in der der sie und ihr Mann wichtige Dinge allein entscheiden können, immer sprechen andere Leute mit. Die leibliche Mutter des Kindes, deren neuer Partner, das Jugendamt oder sogar das Familiengericht. Das ist eine große Bürde. Die Stiefmutter hat in dieser Kette die allerletzte Position und das macht vielen Frauen zu schaffen.
Welche Probleme bringen Stiefmütter im Alltag auf die Palme? Lesen Sie weiter!
Und jetzt zum Alltag. Welche Situation bringt denn eine Stiefmutter zum Ausflippen? Petermann: Sie plant ein Wochenende mit ihrem Partner. Das Wochenende wäre eigentlich kinderfrei. Und dann entscheidet die Ex-Frau am Freitagnachmittag kurzfristig: Ich muss weg, der Vater muss die Kinder nehmen. Der Vater sagt natürlich ja. Die Stiefmutter steht dann da mit ihren Plänen. Das ist diese Fremdbestimmung. Das gilt genauso für andere Bereiche wie Freizeit oder Arbeit. Immer mischen andere mit.
Sie engagieren sich auch politisch, treffen sich mit Politikern und versuchen, den Stiefmüttern Gehör zu verschaffen. Was fordern Sie? Petermann: Das allerwichtigste ist, dass es Anlaufstellen gibt, an die sich Stiefmütter wenden können. Bisher gibt es nichts in diesem Bereich. Stiefmütter, die richtige Probleme haben, landen oft beim Psychologen. Und das kann es ja nicht sein. Es gibt nun einmal Trennungen und immer mehr Patchwork-Familien, also auch immer mehr Stiefmütter. Man tut so, als ob das eine selbstverständliche Sache ist, die man mit links wuppt und über die man bitteschön nicht redet! Das ist einfach ein Tabuthema. Aber die Stiefmütter und ihre Familien brauchen Unterstützung!
Was würde denn die Situation in den Zweitfamilien verbessern?Petermann: Eine Sache wäre sehr hilfreich für das Gelingen einer Zweitfamilie. Kindergärten und Schulen müssen verpflichtet werden, beide sorgeberechtigte Elternteile zu informieren. Heute ist es so, dass nur ein Teil, meistens die Mutter, wo ja auch 90 Prozent aller Trennungskinder leben, über Krankheit, Schulfeste, Klassenfahrten informiert werden muss, die wiederum müsste theoretisch den Vater benachrichtigen. Das passiert nur nicht immer. Die Informationspflicht an beide Sorgeberechtigte würde viel Konfliktpotential herausnehmen. Wir Stiefmütter und auch die Väter wären dann nicht mehr vom Goodwill der leiblichen Mutter abhängig. Da gibt es viel Streiterei über verpasste Schulfeste, unangekündigte Klassenfahrten und kurzfristige Zusatzzahlungen.
Geizig und kaltherzig? Mit welchen Vorurteilen sich Stiefmütter herumschlagen müssen. Auf der nächsten Seite!
Welches sind die schlimmsten Vorurteile Stiefmüttern gegenüber? Worüber klagen die Frauen, die Sie für ihr Buch interviewt haben? Petermann: Der berühmte Satz, den jede Stiefmutter zur Weißglut bringt: Was hast Du denn? Du wusstest doch, dass er Kinder hat! Ein Totschlagargument, wenn sie über irgendetwas sprechen möchte. Außerdem bekommen wir auch oft den Vorwurf zu hören, dass wir geizig oder kaltherzig den Kindern aus erster Ehe gegenüber sind. Ich nenne ein Beispiel. Eine Stiefmutter bekommt ein Kind mit dem Vater und sagt: Der Unterhalt für seine ersten Kinder muss neu berechnet werden, also gekürzt werden. Das ist rechtlich so vorgesehen, je mehr Kinder, desto weniger Unterhalt pro Kind. Da kommen dann irre Vorwürfe aus allen Ecken. Man erwartet von der Stiefmutter, dass sie zurücksteckt für Kinder, die nicht ihre sind. Wir wollen mehr Kinder in Deutschland haben? Wir brauchen mehr Zweitfamilien! Da muss ich auch an die zweiten Familien denken!
Warum läuft es bei manchen Zweitfamilien gut, bei manchen nicht? Petermann: Schafft die erste Familie es, sich im Guten zu trennen, dann steht einer zweiten Ehe oder Beziehung nicht viel im Weg. Endet die Trennung aber im Rachefeldzug der Ex, dann wird es auch die Hölle für die neue Familie. Aber nicht nur die Ex macht Fehler. Genauso gilt das für die Stiefmutter! Wenn die vom Mann erwartet, dass die Kinder aus seiner ersten Ehe keine Rolle mehr spielen, dass er sie abschiebt und es nur darum geht, möglichst wenig Geld zahlen zu müssen, na dann wird es auch nichts werden. Das sind die beiden Extreme einer Patchwork-Konstellation. Beide sehr unschön.
Welches Fettnäpfchen können sich Neu-Stiefmütter von Anfang an sparen? Petermann: Sie sollten sich Abschminken zu behaupten, dass sie die besseren Mütter sind. Wer das denkt, hat nichts kapiert. Treten Sie nicht in einen Wettkampf mit der leiblichen Mutter! Den verlieren sie gnadenlos. Seien sie eine belle mère, eine schöne (Stief-)Mutter!
Und was sollten Stiefmütter von Anfang an machen, damit Patchwork gelingt? Petermann: Mein Haus, meine Regeln! Sie müssen mit ihrem Mann gemeinsame Regeln aufstellen, die sie für wichtig und richtig halten. Was die alltäglichen Streitpunkte angeht: Süßigkeiten- und Fernsehkonsum, Schlafenszeit und Ausgehzeit. Da hat die leibliche Mutter nichts zu melden, so wie die Stiefmutter dort auch nicht reinfunken darf. „Mein Haus, meine Regeln!“ ist machbar und erleichtert alles enorm.