Rassismus im Alltag„In Deutschland spricht man nicht gerne über unschöne Dinge“
- Die öffentliche Debatte über Rassismus brodelt und für viele Menschen ist Diskriminierung Teil ihres Alltags.
- Helene Batemona-Abeke berät Familien in Köln, die von Rassismus betroffen sind. Sie hat gerade sehr viel zu tun.
- Im Interview erklärt die Sozialarbeiterin und Diversity-Trainerin, warum das Thema alle Menschen beschäftigen sollte.
Köln – Frau Batemona-Abeke, wie beeinflusst die öffentliche Debatte um Rassismus derzeit Ihre Arbeit?
Helene Batemona-Abeke: Es ist wirklich die Hölle los. Wir haben unglaublich viele Anfragen von sozialen Einrichtungen, von Firmen, von einzelnen Weißen, die verstehen lernen wollen und wissen möchten, wie sie mit dem Thema Rassismus umgehen sollen. Es melden sich natürlich auch Menschen, die selbst Rassismus erlebt haben und die durch die Bilder im Fernsehen und durch die Geschichten anderer Betroffener retraumatisiert werden. Das darf man nicht unterschätzen. Sie brauchen jetzt besonders viel Hilfe.
Zur Person
Helene Batemona-Abeke aus Köln ist Sozialarbeiterin, Diversity-Trainerin Fachberaterin für Psychotraumatologie und systemische Familienhelferin. Mit ihrem Verein Pajoma Afrika engagiert sie sich in der Kinder-, Jugend- und interkulturellen Familienhilfe. Sie ist außerdem Sprecherin des Kölner Forums gegen Rassismus und Diskriminierung.
Sie engagieren sich auch in Bildungseinrichtungen und arbeiten als Diversity-Trainerin. Was haben Sie beobachtet?
Ich bin häufiger in Kitas unterwegs, um das Fachpersonal zu schulen. Ich muss dabei immer wieder feststellen, dass viele dunkelhäutige Kinder und deren Eltern in Kitas Rassismus erfahren. Manche Familien sind gerade erst in Deutschland angekommen, kennen sich noch nicht aus, haben ganz andere Erziehungsmethoden gelernt. Für sie läuft alles viel zu schnell ab. Das aber wird ignoriert.
Und die Kinder?
Sie müssen sich Sprüche anhören wie: „Mit dir gehe ich nicht schwimmen, weil dann das Wasser dreckig wird.“ Wenn Erzieher dann nicht sofort dazwischen gehen und Aufklärungsarbeit leisten, dann ist das Kind in dieser Kita auf Dauer nicht geschützt.
Wie reagieren die Eltern der Kinder, die so etwas sagen?
Manche Eltern werden in die Aufklärungsarbeit mit einbezogen. Einige sind überrascht und schämen sich. Andere werden sogar aggressiv und bagatellisieren die Sache: Ihre Kinder seien noch so klein und wüssten nicht, was sie sagen. Aber es ist Rassismus, der sofort bekämpft werden muss. Über manche Äußerungen von Kindern darf man sich auch nicht wundern, wenn man sich deren unmittelbare Umgebung ansieht. Spielzeuge in Kitas spiegeln das Weißsein wider. Ob das Legofiguren, Puppen, Kinderbücher oder Bilder an den Wänden sind. Selbst die Erzieher sind immer weiß.
Weißen Kindern wird somit unbewusst eine Überlegenheit vermittelt und schwarze Kinder sehen sich überhaupt nicht repräsentiert. Sie können sich deshalb gar nicht erst als gleichwertigen Teil der Gesellschaft ansehen. Es ist ein strukturelles Problem, kein Problem einzelner Betroffener. Das muss man immer wieder sagen. Alles muss reflektiert werden, von der Kita über die Polizei bis zur Universität, alles.
Was raten Sie zum Beispiel Eltern und Erziehern in Kitas, die das Thema Rassismus ernsthaft angehen wollen?
Es muss erstmal klar werden, dass Rassismus ein Thema für jeden Menschen ist, nicht nur für ein paar Aktivisten. Eigentlich sollte sich jeder für Aus- und Fortbildungen interessieren, wo über Alltagsrassismus gesprochen wird. Solche Angebote müssten natürlich niedrigschwellig sein, kein Geld kosten, direkt in den Kitas stattfinden, in den Schulen, Kirchengemeinden und in den Stadtteilen und immer unter Einbeziehung eines Schwarzen, der als Experte auftritt.
Wie können weiße Eltern, die glauben, nichts damit zu tun zu haben, konkret sensibilisiert werden?
Man muss sie auf ihre Privilegien aufmerksam machen. Ich würde sie bitten, sich bewusst zu machen, wie gut es ihnen eigentlich geht, wie leicht es sie vergleichsweise haben und welche Machtverhältnisse daraus entstehen. Allein weiß zu sein, ist ein Vorteil, allein schwarz sein, ist ein Nachteil. Es ist für einige Weiße sehr schwer, Empathie zu entwickeln. Die eigene Position und Einstellung zu hinterfragen, ist für viele unangenehm, sogar bedrohlich. Aber um verstehen und verändern zu können, müssen sie aus ihrer Komfortzone heraus und Missstände klar benennen können. Ich habe den Eindruck, dass man in Deutschland nicht gerne über unschöne Dinge spricht.
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Was sagen Sie einer Familie, die ihren Kindern den Umgang mit Rassismus erklären wollen?
Ich würde empfehlen, mit jedem Kind darüber zu sprechen, dass Menschen unterschiedlich aussehen, niemand aber deshalb besser oder schlechter ist. Dann würde ich mal Bücher ausleihen oder kaufen, in denen auch schwarze Personen vorkommen oder in denen es überhaupt multikulturell zugeht. Auch wenn sich Kinder nicht unmittelbar betroffen fühlen, müssen sie merken, dass es sie etwas angeht, wenn jemand aufgrund seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft ungerecht behandelt wird. Man muss ihnen vorleben, wie ein solcher Konflikt geregelt werden kann. Erst wenn sie das gelernt haben, können sich einmischen und dazwischen gehen. Das nennt man dann Zivilcourage.
Erleben Sie keine Solidarisierung unter Kindern und Schülern, die doch häufig ein Gespür dafür haben, wenn jemand unfair behandelt wird?
Bislang habe ich das nicht erfahren. Meine Beobachtung ist eher, dass sich Schwarze in ihre Gruppe zurückziehen und die anderen sich heraushalten, weil sie glauben, es geht sie nichts an.
Gibt es Erfolge in Ihrer Arbeit, die Sie zuversichtlich stimmen?
Ich war in so genannten sozialen Brennpunkten im Einsatz, wo Erzieher beschimpft werden, weil sie ein schwarzes Baby im Arm hatten. Ich habe Schulungen mit den Leuten gemacht, ihnen versucht zu erklären, wie unsinnig Rassismus ist. Wenn ich das diesen Menschen beibringen kann, ist das für mich ein riesiger Erfolg. Es funktioniert, aber es ist mühsam. Jetzt darf das Thema nicht wieder verschwinden, es muss dauerhaft auf der Agenda bleiben. Es ist eine permanente Herausforderung.