SäuglingsschwimmenWenn Babys auf Tauchstation gehen

Schwerelos, fast wie damals im Bauch: Babyschwimmen verbessert das Gleichgewicht und stärkt die Muskulatur.
Copyright: www.arjenmulderfotografie.com Lizenz
Babyschwimmen boomt, und das obwohl der Kurs eigentlich anders heißen müsste. Denn Schwimmen lernen Säuglinge dort bestimmt nicht. Vielmehr wird viel geplanscht und gesungen. Das Schwimmbecken wird zum Spielplatz im Wasser – die Eltern tragen ihre Babys auf Händen und dabei strampeln die Kleinen roten Bällen oder Plastikkrebsen hinterher. Hier geht es um gemeinsamen Spaß im Becken und darum, die Babys schon mit wenigen Monaten ans Wasser zu gewöhnen. Bereits ab der zwölften Lebenswoche dürfen sie Schwimmwindeln anziehen und in den Armen der Eltern lospaddeln.
Doch es gibt auch einige, die das Vergnügen im Wasser kritisch sehen. Der Krankheitsforscher Joachim Heinrich, Direktor des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum in München, hat 2007 für eine Studie 2000 Kinder untersucht. Das Ergebnis: Babyschwimmer haben ein um 40 Prozent höheres Risiko an Magen-Darm-Infekten und Mittelohrentzündungen zu erkranken, verglichen mit Kindern, die im ersten Lebensjahr nicht im Schwimmbad waren. Schuld seien die Keime im Wasser. Denn im Vergleich zu anderen Ländern ist der Chlorgehalt in vielen deutschen Schwimmbädern noch relativ moderat.
Lilli Ahrendt ist Babyschwimm-Expertin und lehrt an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sie sieht die Ergebnisse kritisch und meldet Zweifel an der statistischen Relevanz an. Mittelohrentzündungen entstünden vor allem durch Infekte, die im Nasen- oder Rachenraum beginnen und hätten viel mit der individuellen Hals-Nasen-Ohrenanatomie zu tun. „Diese Krankheiten kommen in der Regel nicht vom Schwimmen, sondern werden durch Übertragung in die Familie eingeschleppt.“
Auch Allergien werden oft von Eltern an ihre Kinder übertragen, weshalb manche Allergiker unsicher sind, ob sie mit ihren Babys einen Schwimmkurs besuchen sollten. Im Jahr 2011 riet das Umweltbundesamt, dass allergiegefährdete Babys den Wasserspaß besser bleiben lassen sollten. Durch die Reaktion von Chlor mit Urin entstehe das Desinfektionsnebenprodukt Trichloramin, eine Substanz die unter dem Verdacht steht, Asthma auszulösen. Die strenge Empfehlung des Amtes: Kinder unter zwei Jahren, in deren Familien gehäuft Allergien auftreten, sollten sich nicht in Hallenbädern aufhalten, bis geklärt ist, ob sich der Allergieverdacht bestätigt.
Der Berufsverband der Kinderärzte warnte daraufhin vor unangebrachter Panikmache. Präsident Wolfram Hartmann: „Bewegungsspiele im Wasser mit Kindern im ersten Lebensjahr gibt es seit den 70er Jahren. Sichere Anhaltspunkte für Zunahme von Atemwegserkrankungen oder gar Asthma haben Kinder- und Jugendärzte in den vergangenen 40 Jahren nicht beobachtet, wenn Grundregeln der Hygiene eingehalten werden.“
Mit diesen Grundregeln ist vor allem das gründliche Duschen vor dem Betreten des Beckens gemeint, um Schweiß, Kosmetika und Harnstoffe, die sich im Säureschutzmantel der Haut befinden, abzuwaschen. Einer, der sich vom Babyschwimmen garantiert nicht abbringen lässt, ist Arjen Mulder. Der gebürtige Niederländer ist Kölns bekanntester Baby-Unterwasser-Fotograf. Mit seiner Profi-Ausrüstung samt Unterwassergehäuse taucht er ganz nah an die Babys heran und lichtet sie in dem kurzen Moment ab, in dem sie von ihren Müttern unter Wasser gehalten werden. Mehr als 3000 Kinder hat Mulder schon unter Wasser fotografiert. Er selbst taucht seit dem 15. Lebensjahr und kam durch sein erstes Kind auf die Idee, sein Hobby zum Beruf zu machen. „Als ich meinen Sohn das erste Mal im Schwimmbad unter Wasser fotografierte, kamen sofort mehrere Eltern auf mich zu und wollten solche Bilder auch von ihren Kindern haben“, erzählt er.
Das Element erforschen
Genau dieses Tauchen gefällt wiederum den Babyschwimm-Kritikern nicht. Untertauchen mit wenigen Monaten, muss das denn schon sein? „Ja“, sagt Lilli Ahrendt, die zum Thema zahlreiche Bücher geschrieben hat. „Angstfrei kann sich nur der am und im Wasser aufhalten, der keine Angst vor dem Untertauchen hat. Dass Wasser flüssig ist, in die Ohren laufen kann, aber auch ausgespuckt werden kann, das alles lässt sich spielerisch und forschend mit dem Kind ausprobieren.“ Eltern sollten ihr Kind nicht zwanghaft vor dem Wasser schützen, sondern sich positiv und beherzt mit dem Element auseinander setzen. „Wer sich dem Wasser unbefangen nähert, wird ihm stets Freude, aber auch Respekt entgegen bringen.“ Und Eltern fühlten sich wohler, wenn sie wüssten: Mein Kind bewältigt kurzfristig das Untertauchen. Es passiert nichts Schlimmes, wenn es mir einmal versehentlich aus der Hand rutscht. Gute Kursleiter prüfen vor jedem Tauchgang mit einem Wasserguss-Test, ob das Baby überhaupt zum Tauchen bereit ist. Dabei wird langsam bis drei gezählt und dem Kind zunächst probeweise mit einem Becher ein kleiner Schwall Wasser über den Kopf geschüttet.
Das eigene Baby glücklich und schwerelos im Wasser zu erleben, ist die Motivation vieler Eltern, zum Schwimmen zu gehen. Wer vorher in Gesundheitsfragen unsicher ist, sollte sich mit seinem Kinderarzt abstimmen. Einige Bäder bieten auch freies Schwimmen für Kinder an – ideal zum Ausprobieren, ohne direkt einen ganzen Kurs buchen zu müssen.