Als Lehrer in DänemarkWas die Schulen im Nachbarland während Corona besser machen
- Auch in Dänemark haben die Schulen die Folgen der weltweiten Corona-Pandemie zu spüren bekommen.
- Während die deutschen Schulen vor große Probleme gestellt wurden, verlief die Umstellung auf Homeschooling im Nachbarland sehr schnell.
- Warum das so gut funktionierte und was dänische Schulen besser machen als deutsche, erzählt der gebürtige Rheinländer Andreas Damerau, der mittlerweile in Dänemark unterrichtet.
Auch in Dänemark haben die Schulen die Folgen der weltweiten Corona-Pandemie zu spüren bekommen. Während in Deutschland Arbeitsblätter per Mail verschickt oder gar in den Schulen selbst abgeholt werden mussten, ging die Umstellung in Dänemark deutlich einfacher. Überraschend ist das nicht. Andreas Damerau, gebürtiger Rheinländer, unterrichtet am „Deutschen Gymnasium für Nordschleswig“ in Dänemark. Er erklärt, was die Schulen im Nachbarland besser machen – und wie ihnen das in der Pandemie hilft.
Herr Damerau, als bei uns in NRW die Schulen wegen des Lockdowns geschlossen waren, haben die Lehrkräfte Arbeitsblätter per Mail verschickt – oder besser noch: Ausgedruckt und abholen lassen. Wie war das am deutschen Gymnasium in Dänemark, wo Sie arbeiten?
Andreas Damerau: Bei uns ging die Umstellung sehr schnell. Unser großer Vorteil war, dass wir bereits das Intranet Lectio etabliert hatten, was Schüler und Lehrer nutzen können. Darüber machen wir eigentlich alles: Wir erfassen die Anwesenheit der Schüler und können Stundenpläne aktualisieren. Wir laden Aufgaben, Arbeitsblätter oder andere Materialien hoch. Dieses Forum nutzen wir schon seit Jahren. Und deswegen war die Kommunikation mit den Schülern darüber auch sehr einfach möglich. Parallel dazu haben wir über Google Classroom die Möglichkeit geschaffen, mit den Schülern Klassenkonferenzen zu machen.
Heißt das, bei Ihnen konnte der Unterricht ganz normal digital weitergeführt werden?
Naja, die Kollegen haben das unterschiedlich geregelt: Manche haben digitale Arbeitsblätter bei Lectio hoch geladen, andere haben über Google Classroom unterrichtet. Wir haben sehr viel miteinander kommuniziert und es war klar: In der Zeit wo eine Stunde laut Stundenplan sein sollte, ist der Lehrer als Ansprechpartner da und reagiert zeitnah auf Fragen. Hier in Dänemark sind die Kollegen auch besser ausgerüstet als in Deutschland, wir bekommen vom Arbeitgeber Laptops gestellt und jeder hat seine eigene dienstliche Mailadresse. Deswegen konnte man von den Lehrern hier auch verlangen, dass sie die Technik einsetzen.
Wie ist die Lage zurzeit?
So weit die Zahlen es zulassen, haben wir Präsenzunterricht, der bei Bedarf auf virtuellen Unterricht umgestellt werden kann. Schüler, die Erkältungssymptome zeigen, sollen zu Hause bleiben. Sie können dem Unterricht aber virtuell folgen. Dafür müssen sie nur einen Mitschüler finden, der den Unterricht für sie filmt und können dann sozusagen im Live-Stream teilnehmen.
Wir haben ja mittlerweile alle Erfahrung und wissen: Beim Live-Stream hängt manchmal die Verbindung, der Ton ist zu leise. Können die Schüler den Inhalten denn überhaupt folgen?
Es gibt mit Sicherheit manchmal Probleme. Ein Live-Stream ist kein vollwertiger Ersatz für Präsenzunterricht. Aber zumindest können die Schüler so folgen und bleiben in der Kommunikation mit ihren Mitschülern. Letztlich ist es aber eine Notlösung.
Die Icils-Studie misst, wie kompetent Achtklässler in verschiedenen Ländern mit digitalen Medien umgehen. Dänemark war in der letzten Studie 2018 wieder einer der Spitzenreiter. Woran liegt das?
Dänemark hat schon sehr früh angefangen, Laptops im Unterricht einzusetzen. Dadurch haben alle Erfahrung damit.
Erzählen Sie doch mal: Wie gestalten Sie so eine ganz normale Unterrichtsstunde – mal abgesehen von Corona?
Als Mathelehrer lasse ich die Schüler häufig die Laptops nutzen, denn darauf sind Programme, mit denen sie Funktionen zeichnen oder Berechnungen machen können. Wir haben in jedem Raum einen Beamer, wo jeder Schüler seinen Laptop anschließen und sein Ergebnis digital präsentieren kann. Ich lasse die Schüler auch oft Informationen oder Materialien im Netz suchen. Das geht ruckzuck und ist sehr praktisch. Das ist ein ganz anderes Arbeiten als ich es aus NRW gewohnt war. Als ich 2012 gewechselt bin, gab es an meinem Gymnasium in Warburg zwei Computerräume für die ganze Schule.
Wenn ich Sie richtig verstehe, arbeiten die Schüler bei Ihnen mit eigenen Laptops?
Genau. Anfangs war es so gedacht, dass alle Schüler Laptops von der Schule bekommen. Das hätte den Vorteil, dass alle das gleiche System nutzen. Aber dann haben so viele Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Geräte mitgebracht, dass wir gar nicht so viele Schul-Laptops anschaffen mussten. Das Problem ist nur, dass wir jetzt eine Vielfalt an Geräten haben, und sicherstellen müssen, dass bestimmte Programme wie Excel überall laufen. Schüler aus einkommensschwachen Familien können sich übrigens weiterhin Laptops von der Schule ausleihen. Schließlich schreiben die Schüler ja auch ihre Prüfungen auf den Laptops.
Besteht nicht die Gefahr, dass Schüler die Antworten in den Prüfungen einfach googeln?
Es gibt angeblich ein System, das das unterbinden soll, aber die Gefahr besteht natürlich. Trotzdem: Letztendlich nützt den Schülern das Google-Wissen auch nicht viel, weil sie für die meisten Klausuren sowieso die Unterrichtsmaterialien nutzen dürfen, die auf ihrem Laptop gespeichert sind. Das sind ganz andere Prüfungen als wir sie aus Deutschland gewohnt sind.
Wie überprüfen Sie denn, ob die Schüler überhaupt was gelernt haben?
Sowas wie Faktenwissen wird bei uns nicht mehr groß nachgefragt. Es wird geprüft, wie die Schüler mit den Medien umgehen, wie sie Materialien sortieren, analysieren und verknüpfen.
Interessant. Nutzen Sie im Unterricht auch Smartphones oder läuft alles über Laptops?
Meistens nutzen wir Laptops, aber manchmal sind auch Smartphone praktisch. Ein Beispiel: Im Geografie-Unterricht habe ich den Schülern mal eine Karte zur Eiszeit zur Verfügung gestellt und sie gebeten, sich via WhatsApp auszutauschen. Die waren erstmal ganz erstaunt, weil sie ja nebeneinander saßen. Aber es hat sehr gut funktioniert.
Wäre es nicht ebenso effizient gewesen, wenn sich die Schüler darüber unterhalten hätten?
Nein. Die Schüler haben sich das Material mit dieser Methode genauer angeschaut und sich gegenseitig Fragen gestellt. Zum Beispiel, wie die Legende zu verstehen ist, wo die Gletscher herkamen oder welche Richtung sie genommen haben. Bei einem Gespräch hätte der Schüler vermutlich geantwortet: Nö, weiß ich nicht. Aber dadurch, dass sie ihre Antworten eintippen mussten, hatten sie mehr Zeit darüber nachzudenken. In der normalen Didaktik wird das übrigens Schreibgespräch genannt. Aber ich dachte mir: Das macht doch heutzutage keiner mehr, ein Blatt Papier hin und her schieben.
Haben Sie keine Sorge, dass die Schüler sich in Ihrem Unterricht mit privaten Chats beschäftigen oder auf den Laptops Videos angucken?
Klar, das Internet ist eine Versuchung. Aber man kann das regulieren und auch mal sagen: Jetzt macht ihr die Laptops zu. Das ist eigentlich nicht anders als im analogen Unterricht: Als Lehrer merkt man, wer mitmacht und wer geistig abwesend ist. Dadurch, dass wir recht kleine Lerngruppen mit zwölf bis 20 Schülern haben, ist das einfacher nachzuvollziehen als in einer Klasse mit 30 Schülern.
Hat sich Ihre Rolle als Lehrer durch die Digitalisierung geändert?
Ja, schon. Ich bin weniger der Frontman, sondern mache mehr mit den Schülern gemeinsam. Es ist nicht mehr so, dass ich alles vorbereite, sondern ich lasse die Schüler auch selbst im Internet recherchieren. Sie können genauso effizient Informationen vor der Klasse referieren wie ich. Und die Schüler helfen mir auch, wenn ich mal ein technisches Problem habe. So ist es viel gleichberechtigter. Trotzdem kann ich natürlich noch Themen gewichten und regulierend einzugreifen. Denn die größte Gefahr ist, dass die Schüler im Netz auf unseriöse Quellen stoßen. Dann helfe ich ihnen, das einzuordnen. Trotzdem regulieren die Schüler sich immer öfter gegenseitig und bemerken, wenn kritische Quellen herangezogen wurden. Das quellenkritische Arbeiten lernen die Schüler bei uns sehr zuverlässig.
Was sind für Sie Vor- und Nachteile der Digitalisierung?
Ein Nachteil ist, dass die Schüler ihre Handschrift vernachlässigen. Es wird automatisch alles auf dem Laptop getippt. Generell denke ich aber, dass die Schüler bei uns im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft besser vorbereitet sind als zum Beispiel in Deutschland. Für mich als Lehrer ist es praktisch, dass ich im Unterricht schnell Zugriff auf aktuelle Daten und Zeitungsartikel habe.
Aus Ihrer Distanz betrachtet: Was sind die größten Probleme in puncto Digitalisierung in deutschen Schulen? Geld gibt es durch Programme wie den „Digitalpakt Schule“ ja…
Aber das Geld wird offenbar zu wenig abgerufen. Wahrscheinlich ist das der deutsche Föderalismus, der es so kompliziert macht: Da werden Vorgänge vom Land auf den Kreis und dann auf die Kommune geschoben. Das ist in Dänemark glaube ich viel direkter. Ein weiteres Problem ist natürlich die Infrastruktur: Für eine digitalisierte Schule braucht man ein stabiles Netz, damit tausend Schüler gleichzeitig ins Netz kommen.
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Wie wird sich Schule in Zukunft verändern? Was nehmen wir in die Post-Corona-Zeit mit?
Ich denke schon, dass es einen Digitalisierungsschub geben wird. Und dann werden die Lehrer im Unterricht auch noch mehr Medien einbinden. Corona hat uns ja gezeigt, wie dringend man aktuelle Daten, Zahlen und Fakten braucht – auch im Unterricht. Und auch, wie wichtig es ist, dass die digitale Kommunikation unter den Kollegen, aber auch mit den Schülern schnell und effizient funktioniert. Und ich glaube, den Schülern ist durch die Pandemie klar geworden, wie gut es doch ist, dass sie normal zur Schule gehen können. Als sie nach dem Lockdown zurückdurften, hatten sie wirklich ein Strahlen im Gesicht. Diese Beziehung zu den Schülern, die kann man als Lehrer nicht gleichwertig durch Distanzunterricht ersetzen, auch wenn man Videokonferenzen macht.