Sollten Noten im Sportunterricht abgeschafft werden? Nein. Damit nimmt man Schülern die Chance auf Weiterentwicklung.
Noten im Sportunterricht abschaffen?„Noten können kleine motivierende Schubser sein, sich etwas zu trauen“
Kurz vor der Zeugnisvergabe fragen wir uns: Sollten Noten im Sportunterricht abgeschafft werden? Ja, sagt Schülerin Lynn Koerle. Nein, erwidert Redakteurin Tanja Wessendorf:
In der Unterstufe hatten wir eine strenge Sportlehrerin, wie es sie heute wohl kaum noch gibt. Sie trug bunte Ballonseiden-Trainingsanzüge, als die alles andere als hip waren, und hatte immer eine Trillerpfeife um den Hals. Diese nutzte sie oft, um uns über Böcke, beim Basketball oder auf der Tartanbahn anzutreiben. Zweimal im Jahr gab es Bundesjugendspiele, im Sommer draußen mit Leichtathletik, im Winter drinnen mit Geräte- und Bodenturnen. Klares Ziel für mich war bei beiden die Ehrenurkunde, die es nur nach Erreichen einer bestimmten Punktezahl gab.
Man strengt sich an, um etwas zu bekommen
Im Leichtathletik-Sommer war das mit etwas Anstrengung gut machbar. Im Winter dagegen quasi unmöglich, denn ich war grottenschlecht im Turnen. Weil ich trotzdem unbedingt die Ehrenurkunde wollte, übte ich zwei waghalsige Übungen auf dem Schwebebalken und am Stufenbarren ein, um Punkte zu holen. Das klappte nicht immer, und ich stand dann heulend vor Wut und Enttäuschung neben den verhassten Geräten. Die strenge Ballonseiden-Lehrerin schaute mich dabei ausdruckslos an und sagte: „Reicht leider nicht.“ Dieses Erlebnis gehört für mich zu den prägendsten des Sportunterrichts, weil ich dabei am meisten gelernt habe. Ich bin nicht überall gut, manches können andere viel besser, nicht alles fällt mir leicht, aber immerhin habe ich mich angestrengt und es versucht. Ohne die Urkunde als Ansporn hätte ich niemals diese verrückten Übungen gewagt.
Sportunterricht ist vielseitiger als andere Fächer
Was die Urkunden bei Wettkämpfen sind, sind die Noten in normalen Unterrichtszeiten: ein Ansporn, eine Leistungsbewertung, eine Einordnung des Könnens. Nicht jeder und jede ist überall gleich geschickt. Da Sportunterricht aber besonders vielseitig ist, sind die Chancen hier größer als in anderen Fächern, auch mal eine gute Note und damit ein Erfolgserlebnis zu haben. Der eine ist gut im Volleyball, aber schlecht im Turnen. Die eine schwimmt super schnell, kann aber mit Tanzen nichts anfangen. Das ist in anderen Fächern nicht so. Wer einmal schlecht in Mathe oder Englisch ist, bleibt das meistens auch.
Wenn die Noten im Sport abgeschafft würden, dürfte es sie auch in anderen Nebenfächern wie Kunst oder Musik nicht mehr geben. Außer den Hauptfächern müsste dann alles „zum Spaß“ unterrichtet werden. Das halte ich für keine gute Lösung. Die meisten Schülerinnen und Schüler brauchen auch hier einen Ansporn, um etwas zu leisten.
In keinem Fach kann man so über sich hinauswachsen
Sportunterricht mag anstrengend und manchmal lästig sein, aber er bietet die Chance, viele verschiedene Dinge auszuprobieren. Scheitern ist – wie in jedem anderen Schulfach – möglich. Aber in keinem anderen Fach kann man so über sich hinauswachsen.
Um das zu erleben, braucht es manchmal eben auch Mut und Ausdauer, zwei wesentliche Charaktereigenschaften von Sportlern. Nicht jeder hat die von Geburt an in sich, manche brauchen einen Antrieb von außen. Eine Bewertung durch Noten kann dabei der kleine motivierende Schubser sein. Wenn es dann nicht klappt, hat man trotzdem viel gelernt: Wo seine Stärken und Schwächen liegen.