Neues BuchWarum die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern so kompliziert ist
Köln – Manche können nicht ohne sie, manche nicht mit ihr, bei anderen wechseln sich die Phasen ab: Das Verhältnis zwischen Töchtern und Müttern ist ein lebenslanges, eine unendliche Geschichte. Mal sind sie wie Freundinnen, oft Vertraute. Ab und an sind sie Konkurrentinnen oder Sparrings-Partnerinnen und manchmal einfach auch große Enttäuschungen füreinander.
Manche Töchter sehnen sich ein Leben lang nach der Anerkennung ihrer Mutter, buhlen um Wertschätzung, weil sie sich als Person akzeptiert fühlen wollen. Sie bleiben immer Tochter, selbst dann, wenn sie längst den Kontakt zur eigenen Mutter abgebrochen haben. Warum es sich in den meisten Fällen trotzdem lohnt, sich für ein Miteinander einzusetzen? Das zeigt das neue Buch von Silia Wiebe.
Mutter versteht Influencer-Karriere der Tochter nicht
In „Unsere Mütter – wie Töchter sie lieben und mit ihnen kämpfen“ porträtiert die Hamburger Journalistin zwölf verschiedene Töchter, die auf ihre eigene Weise mit der Mutter gerungen haben und zum Teil immer noch ringen.
Da ist die erfolgreiche Influencerin, deren Mutter nicht wirklich versteht, wie sich die Tochter unter ihrem Künstlernamen Luísa Lión im Internet so sehr dem Konsum und einer anonymen Öffentlichkeit verschreiben kann, weil sie selbst als Kinder- und Jugendtherapeutin fern von Luxus und sehr geerdet auf Vertrauen und Diskretion setzt.
Für die Tochter ist es nicht leicht mit dem Gefühl zu leben, von der eigenen Mutter, die sie mittlerweile liebevoll als „Hippie-Mama“ bezeichnet, als oberflächliches und konsumorientiertes Glamour-Girl abgestempelt zu werden. Erst mit der Zeit sehen sie beide, die Tochter wie die Mutter, dass sie in ihrem eigentlichen Tun so unterschiedlich gar nicht sind.
Mutter und Tochter haben viel gemeinsam
Wenn sie etwas anpacken, dann auch so richtig. Nur eben mit vollkommen unterschiedlichen Themen. Es war ein langer Weg bis zu dieser Einsicht, heute ist da mehr Wertschätzung und Stolz aufeinander, auch wenn sich ihre Leben vordergründig so stark unterscheiden.
Luísas Mutter kann ihr jetzt das geben, wonach sie sich immer sehnte: Das Gefühl, so okay zu sein, wie sie ist. „Sie kann jetzt eine Beziehung auf Augenhöhe mit der wichtigsten Frau in ihrem Leben führen“, erzählt Silia Wiebe.
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Wie die Teenie-Schwangerschaft die Beziehung zur eigenen Mutter verändert
Die Mutter als wichtigste Frau im Leben. Das würde auch Nicole bestätigen. Mit 15 hat sie ihr erstes Kind bekommen, mit 29 ist sie heute Mutter von sieben Kindern von drei verschiedenen Vätern. Ohne die Unterstützung ihrer Mutter hätte sie das gar nicht geschafft. Sie hilft ihr beim Wickeln, Kochen, Füttern und zischt für sie die lästernden Frauen auf dem Spielplatz an.
Nicole ist nur eine von zwölf Frauen, die von ihrer Mutter erzählen. Es geht um die Frage, die alle Töchter früher oder später umtreibt: Wie prägt die eigene Mutter unser Leben? War sie liebevoll und zugewandt in unserer Kindheit? Steht sie noch immer unterstützend und geduldig neben uns? Hat sie Verständnis, wenn uns niemand versteht, wenn wir unseren Partner verlassen, den Job wechseln oder wie Nicole ein siebtes Kind vom dritten Mann bekommen?
Autorin Silia Wiebe schreibt in ihrem Buch von ganz verschiedenen Müttern
Die Mütter in Silia Wiebes Buch sind völlig verschieden. Genau wie die erzählenden Töchter. Manche sind nicht so selbstlos, hilfsbereit und fürsorglich, wie man sich die perfekte Mutter vorstellt. Einige sind mit eigenen Themen überfordert, hadern mit ihrer lieblosen Kindheit oder ihren erwachsenen Kindern.
Das zeigt sich im Buch besonders an der Geschichte von Ulrike, die sich mit über 40 entscheidet, in die Nähe ihrer Eltern zu ziehen, um sie zu pflegen – und die dann 22 Jahre lang für ihre Mutter da ist, die sie mit aberwitzigen Anforderungen fast ins Burnout stürzt. Auch, weil sie einfach nie Danke sagt.
Pflege der eigenen Mutter endet fast im Burnout
Als die Mutter mit 100 Jahren stirbt, sagt Ulrike: „Ich bin einmal falsch abgebogen. So wie ich gestrickt bin, hätte ich niemals zurück nach Hause ziehen dürfen; ich kann mich viel zu schlecht abgrenzen und war zu naiv, um die Wahrheit über meine Mutter und mich zu erkennen und mich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.“
Töchter sehnen sich nach Anerkennung von der Mutter. Egal in welchem Alter. „Ulrikes Geschichte zeigt deutlich, dass es auch immer um die Frage geht, wieviel Zuwendung und Anerkennung Erwachsene noch von ihren Müttern brauchen und wie es gelingen kann, sich unabhängig zu machen von mütterlicher Kritik“, erklärt Wiebe.
Autorin Stefanie Stahl zeigt, wie sich frühe Mutterbindung auswirkt
Stefanie Stahl, bekannt geworden durch ihren Bestseller „Das Kind in dir muss Heimat finden“ erklärt im letzten Buch-Kapitel, wie sich unsere frühe Mutterbindung auf unseren Alltag, unsere Liebesbeziehungen und unsere Einstellung zu uns selbst auswirkt.
Sie gibt Tipps, wie man mit ausbleibenden Entschuldigungen, Übergriffigkeit oder dem Desinteresse der Mutter klarkommen kann. Auch Erwachsene wie Ulrike warten auf ein „Sorry“ oder „Danke“ der Mutter – und hoffen manchmal vergebens.
Erwachsenwerden: Töchter müssen sich von Müttern abgrenzen
Stefanie Stahl erklärt, dass es wichtig ist, sich allmählich von der Mutter innerlich abzusetzen und sich klar zu machen, dass man als Erwachsener keine Einheit mehr ist mit seiner Mutter: „Sie hat gekränkt, aber jetzt ist es vorbei. Ich, die Tochter, bin groß und kann gehen“, sagt sie. „Es geht beim Erwachsenwerden ja auch darum zu erkennen, dass der Schmerz über die Kränkung ein Gefühl aus der Kindheit ist und kein Gefühl aus der Gegenwart. Wer das unterscheiden kann ist schon sehr weit.“
Aber warum ist es überhaupt so schwer, eine Entschuldigung über die Lippen zu bringen? Weil, wie Stefanie Stahl erklärt, sich die Mütter zuvor eingestehen müssten, dass sie Fehler gemacht haben. „Viele Mütter wehren diese Schuldgefühle innerlich ab, sie können es nicht aushalten, dass sie ihren Kindern zu viel zugemutet haben“, meint sie. „Wie soll man sagen „Es tut mir leid“ sagen, wenn man sich noch gar nicht eingestanden hat, dass man tatsächlich schwerwiegende Fehler gemacht hat?“
Strenge Erziehung für Geigen-Wunderkind
In manchen Fällen führen auch schmerzliche Erlebnisse zur endlichen Versöhnung zwischen Mutter und Kind. Das zeigt besonders die Geschichte von Suleika, einem Geigen-Wunderkind, das sich lange fragte, ob seine Mama es wohl auch ohne ihr talentiertes Geigenspiel lieben würde. Die Kindheit besteht aus strengem Üben.
Als sich Suleikas Mutter und ihr Geigenlehrer verlieben, geht es irgendwann auch beim Abendessen darum, ob sie „unsauber“ gespielt hat oder sie „ihr Talent verschleudert“. Die Folge: Suleika rebelliert, schwänzt, verflucht die Geige. Geht ins Internat. Bricht die Schule ab.
Schicksalsschlag bringt Mutter und Tochter wieder zusammen
Mutter und Tochter hätten nach all den konfliktreichen Jahren in einer dieser hoffnungslos vertrackten Beziehungen enden können, die irgendwann zum endgültigen Kontaktabbruch führen. Doch es kommt anders. Als am Tag ihres 20. Geburtstags ihre erste große Liebe tödlich verunglückt, ist ihre Mama plötzlich für sie da.
In dieser Ausnahmesituation zeigt sich für Suleika, worauf es ankommt, was Familie wirklich bedeutet. Ihre Mutter kann ihre bedingungslose Liebe endlich offen zeigen – und die Tochter kann sie annehmen. Suleika hat ihre schwierige Kindheit aufgearbeitet, sie trägt der Mutter nichts nach. Sie spürt nun so deutlich wie nie, dass ihre Mama nur das Beste für sie wollte.
Zum Weiterlesen: Silia Wiebe: „Unsere Mütter – wie Töchter sie lieben und mit ihnen kämpfen“, Klett-Cotta-Verlag, IBSN: 978-3-608-96332-8, 20 Euro.