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Neuer Erlass in NRWWie sinnvoll sind weniger Hausaufgaben für Schüler?

Lesezeit 5 Minuten

Schüler bekommen immer weniger Hausaufgaben auf. (Symbolbild)

Köln – Wie lange sollen Schüler Hausaufgaben machen? Wie kann man den Stoff sinnvoll festigen und wo beginnt sinnlose Paukerei?

Klarheit soll ein Erlass des Schulministeriums NRW bringen, der am 1. August in Kraft trat und die Empfehlungen des Runden Tischs zum achtjährigen Gymnasium (G8) umsetzte. Demnach dürfen Lehrer Fünft- bis Siebtklässler seither eine Stunde pro Tag mit Hausausaufgaben beschäftigen. Acht- bis Zehnklässler dürfen maximal 75 Minuten pro Tag für Hausaufgaben aufwenden (siehe Kasten). Eltern und Schüler sollen so vom Druck des G-8-Gymnasiums entlastet werden.

Hausaufgaben sind so zu bemessen, dass sie,

bezogen auf den einzelnen Tag, in folgenden

Arbeitszeiten erledigt werden können:

Klassen 1 und 2: 30 Minuten

Klassen 3 und 4: 45 Minuten

Klassen 5 bis 7 : 60 Minuten

Klassen 8 bis 10: 75 Minuten

An Ganztagsschulen treten in der Sekundarstufe I

Lernzeiten an die Stelle von Hausaufgaben. Die

Lernzeiten sind so in das Gesamtkonzept des

Ganztags zu integrieren, dass es in der Regel

keine schriftlichen Aufgaben mehr gibt, die

zu Hause erledigt werden müssen.

Schulen ohne gebundenen Ganztag stellen sicher,

dass Schülerinnen und Schüler an Tagen mit verpflichtendem Nachmittagsunterricht, an Wochenenden sowie an Feiertagen keine Hausaufgaben machen müssen.

Quelle: Bildungsportal des Landes Nordrhein-Westfalen

goo.gl/CBSVtK

Während viele Eltern erleichtert reagieren, stößt die Hausaufgaben-Bremse bei Lehrern auf Irritationen. Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, ist alarmiert. „Schüler arbeiten unterschiedlich schnell. Einige erledigen die Hausaufgaben in einer Stunde, andere brauchen für dieselben Aufgaben zwei bis drei Stunden“, sagt Kraus. Er befürchtet, dass die Absenkung der Hausaufgabenzeit zulasten der schwächeren Schüler gehe, weil gerade diese den Stoff öfter üben müssten.

Wie sie die Vorgaben des Runden Tischs in die Praxis umsetzen, bleibt den Schulen weitgehend selbst überlassen. Laut Erlass sollen die jeweiligen Schulkonferenzen für ihre Schulen ein Konzept erarbeiten, „das insbesondere den Umfang und die Verteilung von Hausaufgaben beinhaltet“. Überall im Land beratschlagen deshalb dieser Tage Hausaufgaben-AGs darüber, wie sich die Regelungen realisieren lassen. Das Werner-Heisenberg-Gymnasium in Leverkusen etwa will Ende September die Schulkonferenz entscheiden lassen. Vorher möchte die Schulleitung sich nicht zum leidigen Thema Hausaufgaben äußern.

Nebenfächer und Hauptfächer

Andere Schulen sind auskunftsfreudiger. So haben etwa die Lehrer und Eltern der Königin-Luisen-Schule in der Kölner Innenstadt bereits ein erstes Thesenpapier erarbeitet: Sie haben berechnet, wie viel Zeit für Hausaufgaben pro Fach und Woche genutzt werden können.

In der siebten Klasse kommen Nebenfächer wie Musik und Chemie auf 17 Minuten, Hauptfächer wie Mathematik und Deutsch auf 34 Minuten. „So gibt es zum ersten Mal einen Richtwert“, sagt Kirsten English, die als Mutter eines Siebtklässlers in der Hausaufgaben-AG sitzt. Lehrer sollen die geschätzte Zeit für Hausaufgaben ins Klassenbuch eintragen, an der sich ihre Kollegen orientieren können. Schüler nutzen Wochenpläne, um ihre Aufgaben abzuarbeiten. „Ich würde mich freuen, wenn Lehrer dies zum Anlass nehmen, über effektivere Lernmethoden nachzudenken“, sagt Kirsten English.

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Durch weniger Hausaufgaben freuen sich viele Kinder noch mehr auf den Weg nach Hause nach der Schule.

Ob das von der AG erarbeitete Konzept im Kollegium ankommt, ist zumindest fraglich. Reinhold Goss, Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft Köln, ist skeptisch. „Die Regelung verursacht einen enormen Verwaltungsaufwand“, sagt er. Als Elternvertreter sehe er, wie viele Schulen mit der Regelung überfordert seien. Das Problem: Durch den Erlass müssten sich Lehrer täglich untereinander absprechen. Das koste Zeit, die im Schulalltag ohnehin knapp sei. Außerdem fehle es an Praxisbeispielen, an denen man sich orientieren könnte. „Überall herrscht große Unzufriedenheit“, sagt Goss. Den Erlass sieht er nicht als Hilfe für Schüler, das G-8-Gymnasium zu bewältigen, sondern als „Rumschrauben am Syndrom“. „Das Ideal wäre, Pauschalaufgaben abzuschaffen und Schüler individuell zu fördern“, sagt Goss. „Aber das ist illusorisch. Da fehlen die Lehrer, die Räume, die Angebote. Es fehlt an allem.“

Kein Erfolg für Hausaufgaben-Bremse?

Auch Timo Kleiner, Mitglied der Bezirksschülervertretung Köln, bezweifelt den Erfolg der Hausaufgaben-Bremse. Das Problem seien nicht die Hausaufgaben, sagt der 16-jährige Schüler. „Das Problem ist, dass der Stoff in noch weniger Zeit gepresst wird. Wir sitzen jetzt manchmal drei Stunden an Hausaufgaben, auch an langen Nachmittagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regel daran etwas ändert.“ Anni Schulz, Direktorin des Kölner Schiller-Gymnasiums, widerspricht. Sie hat die Hausaufgabenregelung in ihrer Schule schon vor dem Erlass umgesetzt – erfolgreich, wie sie sagt.

Natürlich habe es einige Zeit gebraucht, bis die Absprache der Lehrer untereinander funktionierte. Die Lehrer organisieren sich am Schiller-Gymnasium in Wochenplänen, in denen die Hausaufgaben verteilt werden. Wenn es zu viele sind, sagt der Klassenvertreter Bescheid. Natürlich gebe es hin und wieder Probleme, sagt Schulz, doch das seien Einzelfälle.

Andere Lehrer befürchten indes, die neue Regelung könne zulasten der Nebenfächer gehen. Bei weniger Hausaufgaben komme nicht darum herum, den Lehrplan zu kürzen, glaubt Harald Junge, Direktor des Humboldt-Gymnasiums in Köln. Dann könne es eben auch sein, das bestimmte Themen in den Nebenfächern nicht mehr behandelt werden.

Die „Stoppuhr-Mentalität“

Und was sagt das Schulministerium zu dem Wirbel, den sein Erlass ausgelöst hat? „Eine Bewertung bereits nach viereinhalb Schulwochen vorzunehmen, erscheint als verfrüht“, erklärt ein Sprecher. Kritik von Lehrern sei bislang nicht im Ministerium angekommen – mit Ausnahme einer Wortmeldung, die kürzlich in der Zeitung „Die Welt“ zitiert wurde.

Ein Lehrer hatte sich in einer Mail an den NRW-Philologenverband gefragt, wie er „mit 18,75 Minuten Hausaufgabenzeit pro Woche“ in seinem Fach noch die Vorbereitung auf Klassenarbeiten leisten könne. Mit der Beschwerde konfrontiert, sagt das Schulministerium: „Zu den Hausaufgaben zählen nicht mündliche Aufgaben wie die Lektüre von Texten oder das Lernen von Vokabeln.“ Im Übrigen sei dem Ministerium weitere Kritik nicht zu Ohren gekommen.

Peter Silbernagel hat nicht nur diese eine Mail eines wütenden Lehrers erreicht. Der Vorsitzende des Philologen-Verbands NRW sieht sich „zwischen den Stühlen“. Einerseits hat sein Verband die Hausaufgaben-Regelung mitbeschlossen. Andererseits lehne er eine „Stoppuhr-Mentalität“ ab und rate zum „Augenmaß“, sagt Silbernagel. Lehrern, die nun mit Zeitkonten hantieren müssen, und Schüler, deren Lernstoff zusammengepresst wird, kann das leicht als frommer Wunsch erscheinen.