Niemals vergleichen!Was Eltern tun können, wenn sich die Kinder ständig streiten
- Es nervt so sehr! Wenn sich die Kinder ständig in die Haare kriegen und wegen jeder Kleinigkeit das größte Gebrüll losbricht, würden Eltern am liebsten schreiend davon laufen.
- Was steckt hinter häufigen Streitereien unter Geschwistern? Und was können wir tun, damit die Beziehung gelingt?
Frau Schmidt, was uns Eltern häufig an unseren Kindern nervt, ist der dauernde Streit unter ihnen. Warum streiten Geschwister so viel?
Geschwister streiten immer um Ressourcen, nach Studien oft sogar sechsmal in einer Stunde. Früher ging es ihnen um Nahrung und Wärme, heute um Aufmerksamkeit, denn die ist nicht weniger wichtig. Studien belegen, dass Erstgeborne oft einen leicht höheren IQ als ihre Geschwister haben, was auch daran liegt, dass sie lange Zeit die komplette Aufmerksamkeit ihrer Eltern bekommen haben. Aus dem Kampf um Aufmerksamkeit entsteht Rivalität: Ich will zuerst den Kuchen, ich will unbedingt vorne sitzen.
Zur Person
Nicola Schmidt ist Autorin mehrerer Elternratgeber, Wissenschaftsjournalistin, zweifache Mutter und Gründerin des artgerecht-Projekts.
Das ist für Eltern ganz schön anstrengend.
Ich weiß. Denn hinzu kommt: Geschwister sind Menschen, die sich gegenseitig nicht ausgesucht haben. Wenn es vom Temperament unter den Kindern nicht passt, kommt es noch schneller und häufiger zu Streit.
Was ist die Lösung? Wie kann es friedlicher zugehen in Familien?
Eltern dürfen die Perspektive auf ihre Kinder ändern. Also nicht denken: „Ihr seid so anstrengend!“ sondern: „Ihr müsst noch viel lernen.“ Jeder Kinder-Streit ist eigentlich nur eine Frage: „Kannst du uns helfen, klar zu kommen? Kannst du uns bitte Konfliktfähigkeit bei bringen? Mama und Papa, wie geht das?“ Dieser Perspektivwechsel hilft schon sehr viel, damit Eltern gelassener damit umgehen können.
Was machen Eltern denn häufig falsch im Umgang mit Geschwistern?
Die wichtigste Grundregel: niemals vergleichen. Das tut Kindern nicht gut, jedes Kind ist anders und hat andere Stärken und Schwächen. Und möglichst nicht ausrasten. Immer in Kontakt mit den Kindern bleiben. Die beste Einstellung ist: Da sind zwei kleine Wesen, die mich brauchen.
Dass viele Eltern das Erziehen heute so anstrengend finden, liegt Ihrer Meinung auch daran, dass Kinder heute nicht mehr kindgerecht aufwachsen. Wie meinen Sie das genau?
Es heißt ja, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Dieses Dorf haben wir heute nicht mehr. Ich veranstalte mit Familien regelmäßig Sommercamps. Dann sind da 26 Erwachsene, die sich gemeinsam um alle Kinder kümmern. Wenn ein Kind am Tisch Stress macht, können 25 Eltern in Ruhe weiter essen, das entlastet die Familien enorm. Die normale Familie heute wohnt in einer Drei-Zimmer-Wohnung, alleine, ohne Hilfe. Und natürlich ist es dann sehr anstrengend, immer den Schiedsrichter zu spielen. Wir sind nicht dafür gemacht, alle zehn Minuten Streit zu schlichten. Eigentlich sind wir darauf angewiesen, von unseren Clanmitgliedern unterstützt zu werden. Ältere Kinder und Jugendlichen machen das in der Regel auch sehr gern und können das sehr gut.
Sie schreiben, dass sich in Familien jedes Kind eine eigene Nische sucht. Und eine wichtige Aufgabe der Eltern sei, Kinder immer wieder aus dieser Nische zu befreien.
Elternwerkstatt
Geschwisterkinder – Team statt Rivalen
Dienstag, 28. Mai, 19 Uhrstudio dumont, Breite Str. 72, Köln
Was Eltern tun können, damit aus Geschwistern ein Team wird, darüber referiert die Buchautorin Nicola Schmidt, Wissenschaftsjournalistin und Mutter.
Moderation: Wolfgang Oelsner, Pädagoge und Kinder-/Jugendlichenpsychotherapeut, Prof. Dr. Christoph Wewetzer, Leiter der Städt. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Köln-Holweide
Der Eintritt ist frei
Dieses Einsortieren in Schubladen passiert schnell. Auch ich sage öfter mal zu meinem Sohn: „Na komm Großer, das kriegst du schon hin.“ Das ist zunächst nicht dramatisch, aber es lohnt sich, achtsam zu sein. Manche Nischen sind für uns Eltern sehr komfortabel: „Du bist doch die Vernünftige, lass deinen Bruder doch mal.“ Mal ist das auch okay, aber nicht ständig. Denn dann haben Kinder Aufgaben fürs Leben. Und es ist sehr schwer für sie, da herauszukommen. Besser ist es dem Kind zu zeigen: „Du als Große darfst auch mal unvernünftig sein.“ Und bitte dem Nesthäkchen nicht ständig suggerieren: „Du kannst es noch nicht.“ Sondern: „Du packst das.“ Wenn ich keine alternative Rolle anbiete, wird das Kind in seinem Muster bleiben. Denn Kinder kooperieren immer, egal was sie tun.
Sie kooperieren, auch wenn sie streiten?
Wenn wir Kinder untereinander ständig vergleichen, kooperieren sie durch Streit. Denn sie erfahren: Es wird von uns erwartet, zu zeigen, wer der Bessere ist. Wenn wir den Kindern häufig sagen, dass sie anstrengend sind, dann verhalten sie sich auch so. Weil es ja unbewusst von ihnen erwartet wird. So können Eltern negative Kooperation in ihren Kindern erzeugen, natürlich ohne es zu wollen.
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Es müsste dann aber auch anders herum gehen, also positiv.
Genau. Ich kann zum Beispiel sagen: „Ihr habt jetzt eine halbe Stunde Hausaufgaben gemacht ohne euch zu streiten, ihr beide seid heute wirklich ein tolles Team.“ Generell stoßen uns unsere Kinder auf unsere eigenen Themen. Wenn ich selbst nicht klar bin, streiten sie oft so lange, bis ich eine klare Ansage mache. Deswegen rate ich Eltern immer: Gebt euren Kindern Antworten auf die Fragen, die sie euch stellen.
Sie selbst sind Einzelkind. Ist es besser, mit oder ohne Geschwister aufzuwachsen?
Jedes Familienmodell hat Stärken und Schwächen. Geschwister haben den Vorteil, dass sie lebenslang soziale Interaktion üben können. Ich als Einzelkind musste dafür Kurse belegen, zum Beispiel um Verhandlungstaktiken zu lernen. Andererseits haben Einzelkinder den vielen Stress nicht, den Geschwisterkinder haben. Sie müssen nicht teilen, haben aber auch niemanden, an dem sie sich festhalten können. Unsere Aufgabe als Eltern ist, herauszufinden, was jedes unserer Kinder braucht. Beim Einzelkind kann das ein Sommercamp sein, gemeinsam mit vielen anderen Kindern. Ein Geschwisterkind braucht vielleicht ab und zu einen Elternteil nur für sich alleine.
Viele Eltern fragen sich, was der perfekte Altersabstand zwischen Kindern ist. Studien sagen drei Jahre sind. Wieso?
In Deutschland besteht ja noch dieser Mythos: je näher aneinander, desto besser. Dafür gibt es wissenschaftlich keinen Beleg. Tatsächlich hat sich der Körper einer Mutter erst 24 Monate nach der Geburt wieder komplett erholt. Wenn der Altersabstand abermehr als sechs Jahre beträgt, wachsen die Kinder aus soziologischer Sicht wie zwei Einzelkinder auf.
Neun Dinge, die Eltern nicht tun sollten
■ Halten Sie sich aus Konflikten ganz raus oder stürmen Sie beim leisesten Geräusch das Kinderzimmer – am besten abwechselnd.
■ Verändern Sie Familienregeln willkürlich, situationsunabhängig.
■ Vergleichen Sie die Kinder bei jeder Gelegenheit miteinander und fordern Sie Reife: „Du bist doch schon groß!“
■ Verhängen Sie häufig Strafen wie Hausarrest und Fernsehverbot, das fördert Wut und Rachegefühle am zuverlässigsten.
■ Fragen Sie stets „Wer war das?“ und entscheiden Sie dann völlig willkürlich, welches Kind Recht hat oder eine Strafe bekommt.
■ Stellen Sie Regelbrecher vor allen anderen zur Rede und beginnen Sie jeden Satz mit “Du„, gefolgt von negativen Zuschreibungen.
■ Verwenden Sie die Wörter „immer“, „nie“ und „schon wieder“ so oft Sie können.
■ Sorgen Sie mit Ihrer Autorität dafür, dass die Kinder Ihrer Lösung des Streits schnell zustimmen, auch wenn keines zufrieden ist.
■ Spielen Sie auf keinen Fall mit einem Kind allein.
Die neun Tipps sind entnommen dem neuen Buch:
Nicola Schmidt:
„Geschwister als Team – Ideen für eine starke Familie“, Kösel-Verlag, 240 Seiten, 18 Euro.
Worauf kommt es also an, wenn Eltern sich nicht über den richtigen Zeitpunkt sicher sind?
Wenn Eltern sich fragen, ob die Zeit schon reif ist, können sie sich fragen: Kann unser erstes Kind seine Bedürfnisse schon lange genug aufschieben? Das kann bei manchen Kindern mit zweieinhalb Jahren so weit sein, bei anderen erst mit vier.
Kinder sind unterschiedlich. Deswegen ist es auch nicht gut, alle gleich zu behandeln. Oder?
Das stimmt, weil verschiedene Kinder auch verschiedene Bedürfnisse haben. Ich habe ein vierjähriges Mädchen und einen siebenjährigen Jungen – und beide wollen nicht dasselbe Lego. Aber: Jedes Bedürfnis ist gleich wichtig. Deswegen sollten Eltern genau auf ihr Kind schauen und sich fragen: „Was braucht dieses Kind?“
Schön ist es ja, wenn sich Geschwister über die Kindheit hinaus gut verstehen.
Oft gibt es Phasen im Erwachsenenalter, in denen Geschwistern nicht viel miteinander zu tun haben. Aber es lohnt sich, als Eltern von Anfang die Beziehung der Kinder untereinander zu stärken. Denn dann können diese später die Ernte davon einfahren. Studenten etwa sind weniger anfällig für Lebenskrisen, wenn sie eine gute Beziehung zu ihren Geschwistern haben, das zeigen Studien. Und alte Menschen, die ihren Bruder oder ihre Schwester um sich haben, sind eindeutig weniger krank.
Das gibt doch Hoffnung.
Ich finde auch, dass es ein schöner Gedanke ist, dass meine Kinder sich noch haben werden, wenn ihr Vater und ich nicht mehr auf dieser Welt sein werden. Deswegen lohnt es sich, in den ersten Jahren in die Beziehung der Kinder untereinander zu investieren. Später profitieren sie umso mehr davon.
Wie gelingt das konkret, dieses Investieren?
Eltern sollten ihren Kindern immer wieder Teamprojekte anbieten. Das muss kein selbstgebautes Baumhaus sein. Ich meine banale Dinge, die Geschwister gemeinsam machen können. Zum Beispiel: „Wenn ihr jetzt zusammen die Küche aufräumt, können wir danach alle noch einen Film gucken.“ Danach klatschen sich beide ab und erleben: Gemeinsam ist man schneller und stärker. Und wir können als Eltern diese Erfahrung spiegeln und sagen: „Hey, ihr beide seid echt ein super Team.“