Terror in ParisDas rührende Buch des Witwers, der seine Frau im Bataclan verlor
Er hat seine große Liebe verloren, aber nicht seine Würde. Antoine Leiris, 34, hatte gerade den einjährigen Sohn Melvil zu Bett gebracht und las in einem Buch, als seine Frau Hélène erschossen wurde. Er wusste es noch nicht, als sein Handy durch eine SMS eines Freundes aufblinkte: „Seid ihr in Sicherheit?“. Hélène hatte sich auf den Abend bei den „Eagles of Death Metal“ gefreut, war mit einem Freund auf dem Konzert. Der Freund wurde von einer Kugel am Gesäß getroffen. Er überlebte.
Antoine sitzt zwei Tage nach dem 13. November 2015, der Terrornacht von Paris, in der neben seiner Frau 129 weitere Menschen durch islamistische Attentäter ihr Leben verloren, vor seinem Computer und findet – ganz langsam – zu Worten zurück. Sie müssen raus, er schreibt, er tippt, er drückt auf „posten“. „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ nennt er die Sätze, die er bei Facebook veröffentlicht. Der Beitrag wird über 230.000 Mal geteilt. Medien aus der ganzen Welt drucken seinen Text.
„Freitag Abend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht.“
Nun hat der Journalist das gleichnamige Buch dazu geschrieben: „Meinen Hass bekommt ihr nicht“. Entstanden ist eine der bezauberndsten Liebeserklärungen, die in jüngster Zeit zu Papier gebracht wurden. Bezaubernd und traurig, mitreißend und zerstörend. So gefühlvoll, dass der Leser nicht umhin kommt, sein eigenes Leben aus anderen, neuen Augen zu betrachten. Was bleibt, ist Dankbarkeit. Für die Liebe. Für die zarten, wohl gewählten Worte dieses Autors und Witwers, die nie platt sind und sich aus dem Buch in die eigene Welt schrauben, in die Gedanken, die zu tanzen beginnen. In den Körper, der durch die Last einer schweren, warmen Decke namens Tragik fast erdrückt wird.
Sie war die Liebe seines Lebens
Antoine hat Hélène geliebt. Und sie ihn. Er hat sie besucht, als sie endlich identifiziert war und wollte allein mit ihr sein. Nur er und sie. Und sie und er. Wie früher. Wie immer, bis jetzt. Er musste Abschied nehmen und wollte es nicht. Es tat ihm gut, sie zu sehen.
Wie soll er es seinem Sohn sagen?
Für Hélènes Beerdigung wählt Antoine den Rock aus, den sie an dem Abend trug, als sie sich kennenlernten, weiß mit Tüll. Er hätte an diesem Abend nicht geglaubt, dass SIE ihn mögen könnte. „Wie es zu Beginn großer Liebesgeschichten immer ist“, schreibt er, „dachte ich, dass sie jemanden wie mich nicht würde haben wollen. Ich fand sie zu schön, zu pariserisch, zu was-auch-immer für mich, der ich nichts war.“ Der Abend endete mit einem Kuss. Zwölf Jahre her.
„Ich habe sie überall gesucht…“ – „…“ – „Sind da noch Leute?“ – „Monsieur, Sie müssen sich auf das Schlimmste gefasst machen.“ Attentat im Bataclan. „Antoine, es tut mir so leid…“
Wie soll er es seinem Sohn sagen? Der Kleine kann bislang nur drei Wörter sagen: „Mama“, „Papa“ und „Schnuller“. Antoine spielt ihm die Lieder vor, die Hélène ihm immer vorgespielt hat. Er drückt ihn an sich. Sein Herzschlag soll ihn beruhigen. Er zeigt ihr auf dem Handy ein Foto von Mama, der Kleine zeigt darauf. Sie weinen beide, als er ihm – so gut es möglich ist – erklärt, dass Hélène viel lieber bei ihnen wäre, es aber nicht mehr kann.
Melvil ist erst 17 Monate alt, als seine Mama ein Konzert besucht, das Konzert – und nicht wieder kommt. Nie hatte sie sich vor diesem Freitag mehr als einen Abend von ihrem Kind wegbewegt. Nun wartet der Kleine. Aber Mama kommt nicht. Papa schneidet ihm jetzt die Fingernägel, zählt mit ihm Parkverbots-Schilder, bringt ihn in die Krippe. Papa ist es auch, der auf der Beerdigung einen Brief in seinem Namen vorliest:
„Mama, ich schreibe dir, um dir zu sagen, dass ich dich liebe. Du fehlst mir. […] Papa hat gesagt, wir werden schon zurechtkommen, und wenn es nicht klappt, werden wir an dich denken, weil du dann da sein wirst, bei uns. […] Er hat mir auch gesagt dass Kinder unter drei Jahren noch kein Erinnerungsvermögen haben, aber dass die siebzehn Monate mit dir aus mir den Mann machen werden, der ich sein werde.“
Kein Hass für die Täter
Der Tod wartete an diesem Abend auf sie, das ist Antoines feste Überzeugung. Er verzeiht nichts und vergisst nichts. „Aber wir werden uns kein Leben gegen diese Menschen aufbauen“, schreibt er. „Es hätte auch ein Verkehrsrowdy sein können, der zu spät gebremst hätte, ein Tumor, der ein bisschen bösartiger gewesen wäre, als die anderen, oder eine Atombombe – entscheidend ist, dass sie nicht mehr da ist. Die Waffen, die Kugeln, die Gewalt, all das ist nur Kulisse für die Szene, die sich eigentlich abspielt: ihr Fehlen.“
Und das bleibt. Es gibt kein Happy End in diesem Drama. Aber es gibt diesen Mann, diesen Sohn, dieses Buch – und diese Mutter und Frau. Die bleiben wird. Für immer.
Das Buch: Antoine Leiris: „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, blanvalet