AboAbonnieren

In Sachen LiebeMein Bruder kommt mit meiner Trennung nicht klar, was tun?

Lesezeit 4 Minuten
Mann und Frau sitzen auf dem Sofa

Die große Schwester hat sich freiwillig getrennt, ihr kleiner Bruder ist darüber traurig. Wie soll man damit umgehen?

Die große Schwester muss nicht immer die Starke sein und den Bruder trösten, meint Psychologin Katharina Grünewald

„Mein Freund und ich haben uns nach zehn Jahren getrennt. Es geht uns gut damit, wir bleiben freundschaftlich verbunden. Leider kommt mein jüngerer Bruder (25) überhaupt nicht mit meiner Trennung klar. Er sagt, er könne es einfach nicht fassen, und gibt mir ständig seine Trauer zu verstehen. Meistens tröste ich ihn, wie ich es als ältere Schwester immer getan habe. Dabei will ich eigentlich nur meine neue Freiheit genießen. Wie schaffe ich es, mich ohne schlechtes Gewissen abzugrenzen?“ (Barbara, 28)

Zunächst einmal: Glückwunsch! Längst nicht allen Paaren gelingt, was Sie berichten: sich zu trennen und eine Liebesbeziehung in ein freundschaftliches Verhältnis umzuwandeln. Sie können nun der Änderung Ihrer Alltagsgewohnheiten, vielleicht Ihrer Wohnsituation und Freizeitgestaltung umso neugieriger entgegengehen. Und offenbar spüren Sie in erster Linie die Erleichterung und die Lust auf neue Freiheit. Dazu haben Sie alles Recht der Welt.

Aber gleichzeitig fragen Sie, ob Sie die damit verbundenen Gefühle offen zeigen und ausleben dürfen, wenn wichtige Menschen – wie Ihr Bruder – anders fühlen. Sehr wahrscheinlich hat Ihr Bruder grundlegend andere Erfahrungen gemacht als Sie. Vielleicht hat er eine eigene, schmerzliche Trennung noch nicht überwunden. Vielleicht fühlt er sich auch an belastende Erlebnisse in der Kindheit erinnert. Sollten Ihre Eltern sich getrennt haben, wäre das eine mögliche Erklärung für seine Reaktion.

Die Gefühle Ihres Bruders sind ebenso richtig wie Ihre. Und für ihn ebenso wichtig. Traurigkeit und Schmerz, Wut und Angst gehören ebenso zu einer Trennung wie die Erleichterung, die Sie damit verbinden. Es ist ein ganzes Spektrum von Gefühlen, die gleichzeitig, nacheinander und auch in unterschiedlicher Intensität auftreten können. Das ist sehr individuell.

Sie fühlen sich verantwortlich für Ihren Bruder

Wie Sie durch Ihr schlechtes Gewissen spüren, ist die Gleichzeitigkeit von Traurigkeit und Erleichterung aber nicht gut unter einen Hut zu bringen. Nach Ihrer Schilderung fühlen Sie sich verantwortlich für Ihren Bruder, und Sie spüren: Er braucht Raum für seine Trauer.

Das trifft auch zu. Diesen Raum braucht Ihr Bruder tatsächlich. Und Sie als „große, starke Schwester“ waren ihm wahrscheinlich in der Vergangenheit oftmals behilflich, diesen Raum zu schaffen, ihn liebevoll und empathisch zu begleiten. Ihr schlechtes Gewissen funktioniert nun wie ein Gummiband, das Sie in Ihre alte Rolle zurückholen soll.

Zum einen können Sie allerdings nur diesen Raum für andere öffnen und offen halten, wenn Sie selbst genügend Fürsorge und Liebe zunächst für sich selbst aufbringen und sich selbst Raum für Ihre Bedürfnisse und Gefühle schaffen. Nur wenn Sie Stabilität und Energie in sich spüren, können Sie auch ein starker Halt für andere sein.

Jeder ist für sein Gefühlsleben selbst verantwortlich

Zum anderen sind Sie beide erwachsen und für Ihr Gefühlsleben selbst verantwortlich. Für ihren Bruder bleiben Sie immer seine Schwester. Aber Sie sind nicht auf ewig der Rolle „der Starken“ verpflichtet. Es ist wichtig, dass Ihr Bruder sich selbst um seine Trauer kümmert oder sich gegebenenfalls bei anderen Menschen Hilfe holt.

Ich verstehe sehr gut, dass Sie die Verbundenheit mit Ihrem Bruder nicht gefährden wollen. Das befürchten Sie aber, wenn Sie sich nun von ihm abgrenzen würden. Manchmal hilft es, den Fokus anders zu setzen: Haben Sie nicht die Grenze im Blick und damit den drohenden Verlust der Verbundenheit. Häufig hören sich Abgrenzung und eine damit verbundene Abwertung so an: „Bei dir ist es so, aber bei mir ist es anders…“

Selbstbehauptung heißt aber: Sie bleiben bei sich und erzählen Ihrem Bruder, wie es Ihnen geht. Vielleicht bestätigen Sie kurz sein Gefühl und leiten dann über zu Ihrem. „Ja, ich verstehe, dass du dich so fühlst – und ich fühle mich gerade anders …“. So können beide Empfindungen gleichberechtigt nebeneinander stehen bleiben. Ihr Bruder kann nun wählen, ob er mit Ihnen fühlt oder bei sich bleibt. Sie haben aber klar und deutlich Ihren Raum markiert.

Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung. Die Psychotherapeuten Désirée Beumers, Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner sowie die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald sind versiert in der Beratung rund um Liebe, Beziehung und Partnerschaft. Der Urologe Volker Wittkamp kennt sich mit allem aus, was Liebe mit unserem Körper macht – und umgekehrt. Schreiben Sie uns, was Sie in der Liebe bewegt! Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.