Unfreiwillig kinderlos„Ich hatte das Gefühl, ohne Baby nicht vollständig zu sein“
- Dieser Text stammt aus unserem Archiv.
- Viele Frauen, die unfreiwillig kinderlos bleiben, stellen sich selbst und ihr Leben in Frage. Sie müssen lernen, Abschied zu nehmen. So erging es auch Jutta Geisler – hier erzählt sie ihre Geschichte.
- Und Kinderwunschexpertin Ilka Sterebogen erklärt, was Betroffenen helfen kann, wie sie neue Perspektiven finden – und am Ende wieder glücklich werden können.
Köln – Erst heiraten, dann Kinder bekommen – für Jutta Geisler war immer klar gewesen, dass sie den klassischen Weg gehen würde. Es waren die 70er Jahre, sie war gerade einmal Anfang 20, hatte ihre Ausbildung beendet und zog mit ihrer Jugendliebe zusammen. Dann warteten sie auf das erste Kind. Doch das kam nicht.
Zwei Jahre hatte sie bereits erfolglos versucht, schwanger zu werden, als Jutta immer unruhiger wurde. „Ich habe mich gefragt, was mit mir los ist“, erinnert sie sich. „Es gab sehr viele traurige Momente. Jedes Mal, wenn ich meine Regel bekam, habe ich geweint.“ Gefühlt habe jeder in ihrem Umfeld Kinder bekommen können, außer ihr. „Es war wirklich schrecklich für mich, wenn ich einen Kinderwagen gesehen habe.“ Obwohl ihr der Beruf viel Spaß machte und sie dort immer erfolgreicher wurde, warf sie der unerfüllte Kinderwunsch immer wieder zurück. „Ich habe mich als Frau in Frage gestellt und hatte das Gefühl, ohne Kind nicht vollständig zu sein“.
Frauen fühlen sich als Versagerin, weil sie kein Kind bekommen können
Dass Frauen sich in dieser Situation unzulänglich fühlen, sei häufig der Fall, sagt Ilka Sterebogen. Die Heilpraktikerin und Kinderwunschexpertin betreut regelmäßig Frauen und Paare, die sich ein Kind ersehnen, aber vor großen Hürden stehen. „Die Frauen erleben so viel Trauer, Wut und Unverständnis, weil das, was das Einfachste auf der Welt sein sollte, nicht klappt“. Manche hätten sogar das Gefühl, sie erfüllten ihren Lebenssinn nicht: „Eine Frau sagte einmal den erschütternden Satz zu mir: Wo ist denn ohne Kind überhaupt meine Daseinsberechtigung auf dieser Welt?“
Was es für die Frauen noch schlimmer macht, mit der Situation umzugehen, ist oft die Erwartungshaltung des Umfelds. Auch Jutta Geisler spürte ganz deutlich den Druck von außen. Jedes Mal hätten Freunde und Familie danach gefragt, wann es denn „endlich“ soweit sei mit dem Baby. Und je länger es dauerte, desto mehr sei sie auch als Person schief angeschaut worden. „Das war phasenweise echt traumatisch. Im engeren Umfeld sagte einmal ein Bekannte zu mir: ‚Pah, ohne Kind bist du ja nichts wert!‘“
Jede Frage, wann endlich ein Baby kommt, ist ein Stich ins Herz
Vielen Menschen sei einfach nicht bewusst, dass es Paare gebe, bei denen es nicht sofort klappt, sagt Sterebogen. „Sie verstehen nicht, was ihre vermeintlich harmlose Frage nach Nachwuchs bei diesen Menschen anrichten kann. Jedes Mal ist es wieder eine Spitze, die ins Herz trifft.“ Und es bringe die Frau zudem in Erklärungsnot. „Denn wie es ihr wirklich geht, wieviel Schmerz sie empfindet, das will sie natürlich nicht einfach so offenbaren – schon gar nicht den Fremden, Bekannten oder Kollegen, von denen die indiskrete Frage ja häufig kommt.“
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Für Jutta Geisler rückte der Kinderwunsch zunächst weit in den Hintergrund. Sie trennte sich von ihrem Mann, und verliebte sich in einen anderen, der aber von Anfang an klar machte, dass er in diese Welt keine Kinder setzen wolle. „Das habe ich zuerst nicht als so schlimm empfunden“, erzählt sie, „wir waren beide in den Zwanzigern, ich dachte, das kann sich alles noch ändern“. Die Zeit als Paar und auch ihr Job, in dem sie immer mehr Verantwortung bekam, hätten sie in dieser Zeit sehr erfüllt.
„Ich musste mich zwischen dem Mann und einem Kind entscheiden“
Buchtipp
In ihrem Buch „Herzensmütter“ (Ariston Verlag, 2020) lässt Ilka Sterebogen betroffene Frauen ihre Geschichte erzählen und zeigt, welche Wege möglich sind, um vom Kinderwunsch Abschied zu nehmen, das Leben neu ausrichten und am Ende ohne Kind glücklich zu werden. „Der Begriff Herzensmütter soll eine Anerkennung der Frauen sein, die sich ein Kind gewünscht haben und diese intensiven Gefühle des Hoffen und Bangen im Herzen tragen, die aber nie erlebt haben, ein Kind im Arm zu halten.“
Doch nach zwei drei Jahren schwappte der Wunsch nach einem eigenen Kind wieder an die Oberfläche. Ihr Partner aber blieb bei seinem Entschluss. Und sie wusste, dass sie ihn nicht umstimmen konnte. „Ich musste mich nun zwischen dem Mann und einem Kind entscheiden“, erzählt Geisler. „Ich habe mich dann für ihn entschieden – und das war mit extrem vielen Schmerzen verbunden.“
Der Prozess des Abschiednehmens habe vier bis fünf Jahre gedauert und sei auch körperlich nicht spurlos an ihr vorübergegangen. „Ich kriegte in dieser Zeit oft Hautkrankheiten und habe mich schließlich an eine Homöopathin gewandt“, erzählt Geisler, „sie hat mir klar gemacht, dass die Symptome in Zusammenhang stehen mit meiner Traurigkeit, mit dem Abschiednehmen. Ich musste ja ständig dagegen ankämpfen, kein Baby zu haben.“
Viele hoffen weiter, bis die Menopause kommt
Sich vom Wunsch nach einem Kind zu verabschieden, sei ein echter Trauerprozess, sagt Ilka Sterebogen. Man könne ihn nicht einfach abstellen oder mit dem Verstand wegdiskutieren wie etwa den Wunsch nach einer Traumreise. „Die Frau sollte diesen Prozess an- und die Emotionen ernst nehmen und sich dabei die Hilfe suchen, die sie braucht“. Das könne zum Beispiel eine Gruppe oder einem Forum mit Gleichgesinnten sein, Gespräche mit den engsten Vertrauten oder aber auch therapeutische Unterstützung.
Wann Paare entscheiden, dass sie es nicht mehr weiter probieren wollen, und wie lange das Abschiednehmen dann dauert, sei sehr individuell. „Ich denke, der Abschiedsprozess wird für viele erst durch einen äußeren Faktor beschlossen“, sagt Sterebogen, „wenn es eine Diagnose gibt, also einer von beiden unfruchtbar ist, oder wenn schließlich die Menopause beginnt“. Solange ein Zyklus da sei, gebe es ja meist noch die minimalste Chance auf ein Wunder. „Das macht das Abschiednehmen so schwer.“
Nach dem Abschied richten die Frauen ihr Leben neu aus
Das heiße aber nicht, dass die Frauen ewig lange leiden würden, sagt Sterebogen, sondern sie entwickelten in diesem Prozess neue Perspektiven und Wege, die sie erfüllten. Manche sattelten im Beruf um, würden zum Beispiel nochmal ein Studium anfangen oder die Karriereleiter erklimmen. Andere wagten einen Wohnortswechsel, lenkten ihre Liebe auf ein Haustier um oder unterstützten als Patin ein anderes Kind. „Wichtig ist, dass das, was sie tun, wirklich aus dem Herzen kommt“, sagt Sterebogen. Es gehe nicht darum, den Kinderwunsch zu ersetzen, sondern etwas zu finden, das einen auch mit Freude erfülle, für das man auch brenne. „Ich denke, es ist für jede Frau letztendlich möglich, Abschied vom Kinderwunsch zu nehmen und wieder glücklich zu werden“, sagt Sterebogen.
Sich selbst neu (er)finden, auch ohne eigenes Kind
So war es auch bei Jutta Geisler. „Die Trauer war nicht von heute auf morgen weg“, erzählt sie, „aber es hat mir sehr geholfen, mich intensiv um mich zu kümmern und zu schauen: Was macht mir Spaß? Was macht mich eigentlich aus?“ Dabei habe sie gelernt, ganz anders auf die Welt zu schauen und sich selbst neu kennenzulernen. Sie habe auch Vertrauen in ihre eigene Stärke gewonnen. „Ich fand mich einfach mal vollständig, ohne diesen Druck, ein Kind haben zu müssen.“
Nachdem sie längst mit dem Kinderwunsch abgeschlossen hatte, kam – wie es eben manchmal so spielt – doch noch ein Kind in Jutta Geislers Leben: Sie begann eine Beziehung mit einem Mann, der eine siebenjährige Tochter hatte. „So bin ich doch noch Beutemutter geworden“, erzählt sie, „und ich bin so froh, dass ich meine Beutetochter habe.“