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Väter beklagen„Kinder, Liebe, Beruf – zusammen ist es die Hölle“

Lesezeit 5 Minuten

Zwischen Beruf und Kindern immer unter Strom und dauernd erschöpft: Auch Väter leiden unter dem Vereinabarkeitsproblem.

Jeden Tag versuchen wir Väter und Mütter es von neuem: Berufe, Kinder und Partnerschaft irgendwie unter einen Hut zu bringen. Und wenn alles gut läuft und wir uns richtig anstrengen, dann halten wir alle Bälle sauber in der Luft. Aber eben nur manchmal. Wenn kein Seitenwind kommt: das Kind krank wird, eine kurzfristige Dienstreise ansteht oder sonst etwas Unvorhersehbares passiert. Dann nämlich hört man die Bälle schneller fallen als einem lieb ist. Und wenn wir ehrlich zu uns sind, schrammen wir meistens, immer am Limit, nur kurz an einem neuen Absturz vorbei.

„Es geht einfach nicht zusammen“

„Geht alles gar nicht“ sagen auch die beiden Väter und Zeit-Autoren Marc Brost und Heining Wefing in ihrem neuen gleichnamigen Buch (Rowohlt, 2015). Kinder, Liebe und Karriere sind nicht zu vereinbaren – auch wenn es Politik, Wirtschaft und andere Eltern behaupten. „Es geht einfach nicht zusammen. Wir haben nie genug Zeit für unsere Kinder. Wir haben nie genug Zeit für unsere Partner. Und wir haben nie genug Zeit für unseren Job.“

Auch wenn inzwischen einige Bücher zum Thema Vereinbarkeit geschrieben worden sind, dieses findet einen sehr direkten, emotionalen Zugang zum Thema. Es wird einfach mal gesagt, wie es ist: „Wir sind permanent müde, schlafen schlecht. Wir sind ständig nervös, wie gehetztes Wild. Wenn wir morgens aufwachen, fällt uns sofort ein, was wir alles schaffen müssen. Wenn wir abends ins Bett fallen, wissen wir, dass wir wieder nur die Hälfte von dem erledigt haben, was eigentlich anlag.“ Die meisten Eltern werden beim Lesen dieses Absatzes schon fleißig nicken und dann die Köpfe sinken lassen. Denn, ja, genau so oder so ähnlich ist es oft.

Nicht nur alles eine Frage der Organisation

Die Autoren illustrieren das Vereinbarkeitsproblem an typischen Episoden aus ihrem Alltag und machen ihrem Kummer und Ärger Luft – und das tun sie treffend und ansteckend -, sie beklagen aber nicht nur die Situation, sondern versuchen auch die Ursachen zu ergründen, warum so viele Eltern andauernd überfordert sind und sich ständig selbst ausbeuten. Es ist nämlich nicht einfach nur eine Frage der guten Organisation, das betonen sie ausdrücklich. Stattdessen gebe es einige gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre, die sie für die Situation dieser Generation mit verantwortlich machen.

Noch mehr in kurzer Zeit: Beschleunigte Leben

Das ungelöste Zeit-Problem stehe dabei wie ein Damokles-Schwert über allem. Durch die Globalisierung und die Digitalisierung, den „Tsunami der Informationen“, komme es zu einer unglaublichen Verdichtung von Arbeit und Zeit, zu immer beschleunigteren Leben: „Um allen Anforderungen gerecht zu werden, müssen wir immer mehr in einen Tag pressen, den Alltag in immer kleinere Zeithäppchen zerhacken“.

Es gelte die Devise des „Hypertaskings“, ständig erreichbar und noch effektiver zu sein, immer mehr in kurzer Zeit zu erledigen. Das bedeute oft auch, möglichst vieles gleichzeitig zu machen, was natürlich letzten Endes nicht gehe: Man kann nur dann richtig mit seinem Kind spielen, wenn man nebenher keine Mails liest.

Ökonomischer Druck und eigener Anspruch

Und wer sagt nun, dass es so sein muss? Zum einen werde natürlich von den Arbeitgebern viel erwartet. Und familienfreundliche Arbeitsformen seien nach wie vor in vielen Unternehmen schwierig. Zum anderen sei da der ökonomische Druck, unter dem viele Familien stehen, der sie zwinge, mehr zu arbeiten als sie vielleicht wollen oder können.

Aber da sei auch der eigene hohe Anspruch vieler Väter und Mütter an sich selbst. Viele könnten ihren Perfektionismus nur schwer ablegen. Schließlich sei man darauf getrimmt, noch bessere Eltern und noch produktivere Arbeiter zu sein. Und stehe dabei ständig unter Beobachtung. Ein Spagat, der für Mütter schon lange gelte, „in dieser Spannung stehen wir Väter jetzt auch.“

Und das ist eigentlich eine der nur scheinbar simplen Haupt-Botschaften des Buches: Dass es eben inzwischen Frauen UND Männer sind, die unter dem Vereinbarkeitsproblem leiden und es lösen müssen. Ihr Buch soll auch ausdrücklich kein „Männerbuch“ sein, sagen Brost und Wefing: „es ist einfach die Vätersicht auf Probleme, die Frauen genauso betreffen.“

Eine Generation ohne Rollenvorbilder - und kaputten Ehen. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

„Generation Vater“ ohne Rollenvorbilder

Wichtig ist den Autoren zu betonen, dass sie „die Generation Vater“ sind. Wie wertvoll ihnen die Zeit mit den Kindern ist. Und dass sie sich unterscheiden von ihren eigenen Vätern, die Geld verdienten und kaum da waren. „Auch Männer können sich überfordert fühlen von Familie und Beruf. Auch Männer sind traurig, wenn sie ihre Kinder kaum sehen. Auch Männer nehmen wahr, dass da etwas gründlich schiefläuft in vielen Familien.“ Die Liebeserklärung an ihre Kinder fällt dann auch ungemein emotionaler aus, als man es von manchen Frauenbüchern zum Thema kennt.

Als „erste Generation, die wirklich Gleichberechtigung“ lebe, würden sie aber auch vor ganz neuen Problemen stehen. Was die Geschlechterrollen betrifft, könne man sich gerade bei früheren Generationen nicht viel abschauen. Echte Rollenvorbilder fehlten, Frauen wie Männer müssten ihren individuellen Lebensweg heute selbst suchen „Wir sind, wenn man so will, Pioniere. Auf einer Entdeckungsreise durch ein großartiges, unerforschtes Land“.

Kaputte Rücken und kaputte Ehen

Müde abgeschlagene Pioniere auf jeden Fall. Das Buch skizziert auch die möglichen Folgen der dauernden Selbstüberforderung: „Stress, scheiternde Karrieren, Burnout-Syndrome, verhaltensauffällige Kinder, kaputte Rücken, kaputte Ehen“. Gerade wie sich Partnerschaften unter der Dauerbelastung dramatisch verändern, wird hier nachdrücklich beschrieben. Irgendwann fehlten die Momente der Zweisamkeit und der Gelassenheit. Partner entfremdeten sich langsam, es gebe Streit, man rede nur noch übers Kind: „Aus Turteltäubchen werden Tarifparteien.“

Reformen dringend gesucht

Immer wieder formulieren Brost und Wefing in ihrem Buch auch Ideen zur Verbesserung. Unternehmen könnten in Betriebskindergärten investieren, flexiblere Karrieremodelle planen und mehr Druck auf die Politik machen. Und diese müsse mutiger denken und handeln, das Lohngefälle zwischen Mann und Frau endlich angehen und Gelder sinnvoller in eine gerechtere Familienpolitik investieren, in die Qualität der Kita-Plätze zum Beispiel oder eine Grundsicherung für Kinder.

Vor allem aber sollten Eltern sich entspannen und nicht dauernd ein schlechtes Gewissen haben, dass sie die Erwartungen nicht erfüllen können. Die gesellschaftlichen Veränderungen seien so fundamental, dass man vieles nur durch größere Reformen ändern könnte. „Vielleicht könnte uns dabei helfen, wenn wir uns klarmachen, dass es nicht an uns liegt.“

Buchtipp:

Marc Brost/Heinrich Wefing: Geht alles gar nicht - Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können. Rowohlt, 2015