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In Sachen LiebeWas Eltern tun können, wenn ihre Kinder nach der Schule nichts machen

Lesezeit 4 Minuten
Eine junge Erwachsene sitzt auf ihrem Bett und schaut auf ihr Smartphone.

Der Schulabschluss ist geschafft, und jetzt? Wenn Kinder planlos wirken, ist das für Eltern beunruhigend.

Wenn Kinder nach ihrem Schulabschluss keinen Plan für ihre Zukunft haben, kann das auf Eltern schnell beunruhigend wirken.

Meine Tochter hat im vorigen Jahr die Schule abgeschlossen. Seitdem sitzt sie zu Hause, trifft sich mit Freunden, macht aber keine Anstalten, etwas Neues anzufangen. Wenn ich sie darauf anspreche, wird sie sofort ärgerlich und sagt, sie kümmere sich darum, ich solle sie in Ruhe lassen. Davon, dass sie sich kümmert, merke ich aber nichts. Ich weiß nicht, wie ich dafür sorgen kann, dass sie endlich einen Plan hat. (Lore, 54 Jahre)

Vielleicht ist es erstmal hilfreich, sich in die Lage Ihrer Tochter (und vieler anderer Jugendlicher) hineinzuversetzen: Sie haben ganz viel geleistet. Alles in der Vergangenheit drehte sich um den Schulabschluss. Sie haben gepaukt und gefiebert und Druck ausgehalten. Es gab nur ein Ziel: den Schulabschluss. Bei manchen gab es keinen Raum, über das Leben danach nachzudenken.

Elisabeth Raffauf

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Und jetzt sind sie superstolz, supererschöpft, erleichtert, glücklich und vielleicht auch ausgebrannt. Viele haben das Bedürfnis nach Pause, wollen gar nichts machen und sich vor allem nicht sofort wieder auf irgendeine Art von Schulbank setzen.

Bis hierhin gab es einen fest getakteten Fahrplan, wie der Tag laufen wird. Jetzt sind alle Strukturen weggefallen: Ein völlig freier Tag wartet nicht nur morgen und übermorgen, sondern auch noch danach, wenn man keinen Plan hat. Dazu kommt: Es gibt 1001 Möglichkeiten, was man machen könnte. Genauer gesagt: 21.000 Studiengänge, mehr als 300 Ausbildungsberufe, unzählige Praktika im In- und Ausland. Puuhh!

Nicht jede Entscheidung muss die richtige sein

Wenn man Jugendliche und junge Erwachsene fragt, was für sie das Schwierige ist, antworten sehr viele, sie hätten das Gefühl, alles, was sie jetzt tun, müsse das Richtige sein. Sie dürften auf keinen Fall etwas Falsches entscheiden, denn das wäre dann zugleich vorentscheidend für ihr ganzes Leben.

Dazu kommt, dass manche Jugendliche unsicher sind, ob sie gut von zu Hause weggehen, ihre Eltern „alleinlassen“ können. Manche Eltern schicken unbewusst Doppelbotschaften an ihre Kinder, die lauten: „Du musst jetzt etwas machen, wir unterstützen dich dabei, und gleichzeitig möchten wir nicht, dass du gehst.“ Das spüren die Kinder, selbst wenn die Eltern es nicht explizit aussprechen. Eltern und jetzt erwachsene Kinder leben in einer widersprüchlichen Situation: Einerseits sind die Kinder erwachsen und können allein entscheiden, andererseits brauchen sie noch Unterstützung von den Eltern. Es ist verständlich, dass Sie – wie viele Eltern – ungeduldig werden und vielleicht auch Angst haben, Ihr Kind könnte womöglich nicht gut in sein neues Leben starten. Hilfreich in dieser Situation könnte mehreres sein:

Sagen Sie ihrer Tochter, dass Sie ihr einerseits keinen Druck machen möchten, dass es für Sie aber nicht geht, das Thema auszusparen. Besprechen Sie mit Ihrer Tochter, wie und wann Sie über das Thema reden. Sagen Sie ihr auch, dass sie nicht sofort das Richtige finden muss. Ein Praktikum, durch das sie erfährt, was sie nicht gerne macht, ist auch eine Erfahrung. Wichtig ist nur: Nichts machen, geht nicht.

Die Kinder ermutigen

Ermutigen Sie Ihre Tochter. Sagen Sie ihr, dass Sie an sie glauben und dass sie ihren Weg finden wird. Wenn es schwierig ist, zu entscheiden, gibt es vielleicht auch Verwandte und Freunde, mit denen Ihre Tochter darüber sprechen könnte, was sie gern macht, und die mit ihr vielleicht auch ein Ziel formulieren könnten. Und natürlich gibt es auch Berufsberatungen. Ich persönlich halte viel von einem sozialen Jahr. Hier können die jungen Erwachsenen ihre Perspektive erweitern. Sie sehen, wie es anderen Menschen geht, die es vielleicht im Leben nicht so gut getroffen haben, und sie erfahren, dass sie etwas Sinnvolles machen können.

Fragen Sie Ihre Tochter auch, was für sie so schwierig daran ist, den nächsten Schritt zu gehen. Sprechen Sie ruhig über Ihren Zwiespalt, wenn Sie einen bei sich spüren. Es ist ganz normal, dass Eltern Abschiedsschmerz empfinden, wenn die Kinder aus dem Haus gehen. Deshalb ist es hilfreich, den Kindern zu versichern, dass man sich darum kümmern wird. Manche Eltern wollen unbedingt, dass die Kinder „endlich gehen“. Auch das kann für Kinder ein Hemmnis sein zu gehen. Sie brauchen das Gefühl, das der Bindungsforscher John Bowlby in einem Satz treffend formuliert hat: „Gipfelstürmer brauchen ein Basislager.“ Mit anderen Worten: „Geh in die Welt, probier dich aus! Gleichzeitig hast du hier immer einen Platz, wenn es da draußen zu stürmisch wird, wenn du uns brauchst.“


Leserfragen

Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung: die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner, die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald, Sexualberaterin Gitta Arntzen sowie der Urologe Volker Wittkamp. Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.