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Mutter von ADHS-Jungen erzähltWie es sich anfühlt, wenn niemand das eigene Kind mag

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Es schmerzte sie, dass ihr Kind das Einzige sein sollte, das nicht zum Geburtstag eingeladen war. (Symbolbild)

Köln – Es gibt sie, diese Kinder, die sich vordrängeln, schubsen, beißen oder mit Sand werfen, die als Kita-Schreck gelten. Solche, wegen denen andere Kinder nicht mehr zum Spielplatz oder in den Kindergarten wollen, die wilder, lauter, anstrengender sind als andere.

Auch Annes Sohn ist so einer. Er wurde von anderen Eltern schon „Arschlochkind“ genannt. Wie fühlt es sich an, wenn das eigene Kind aneckt, wenn es sich auffällig verhält, wenn es einen Negativ-Stempel von Außenstehenden bekommt?

„So ein Kind kann einsam machen“, erzählt Anne, die noch zwei weitere Kinder hat und in ihrem Blog „Große Köpfe“ über ihr Familienleben schreibt. Erst neulich sei eine langjährige Freundschaft daran zerbrochen. „Unser Sohn ist ihr und ihren Kindern offenbar zu anstrengend geworden.“

„Ich habe größere Müttergruppen gemieden, fühlte mich einsam“

Im Kindergartenalter malt er Wände an, brüllt wie ein Äffchen, schubst auch schon mal. „Allen war er zu doll und zu viel“, erinnert sich die Mutter. Wenn andere Mütter die Augen über ihn verdrehen, stellt sie sich hinter ihn. Wenn er zu Hause wütend schnaubt, hält sie ihn fest.

„Irgendwann habe ich größere Müttergruppen gemieden, ich fühlte mich einsam“, erzählt Anne. Manchmal verzweifelt sie fast. An anderen Tagen ist sie trotzig. Verdammt nochmal, seht ihr denn nicht, wie kreativ und liebevoll er auch sein kann?

Die Eltern besuchen mit ihm Ergotherapien, zeigen ihm immer wieder seine Grenzen, trösten ihn, wenn er erklärt, dass seine Ideen von brennenden Toastern „direkt aus seinem Herzen“ kommen. Erst als er zur Schule geht, überlegen Ärzte, ob eine Autismus-Spektrum-Störung Auslöser für sein Handeln sein könnte. Plötzlich stand auch ADHS im Raum.

Ihr Kind sei unsozial ohne Empathie

Sein Verhalten ist heute nicht mehr körperlich übergriffig. Eher drängt er sich in den Vordergrund, redet „wie ein Wasserfall“. Bei Spielen will er der Bestimmer sein. Wenn Gäste kommen, verschließt er sein Zimmer, weil niemand an seine Spielsachen soll. Unsozial sei er, ohne Empathie, das hat Anne schon öfter zu hören bekommen. „Dabei hat er ein Herz aus Gold“, sagt Anne.

Kann mein Kind nicht anders handeln? Oder will es nicht anders handeln? „Das ist die erste Frage, die sich Eltern stellen sollten, wenn ihr Kind sich auffällig verhält“, rät Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge („Meine kleine Erziehungstrickkiste“) Kinder handelten in der Regel nicht bösartig. Wenn ein Junge oder ein Mädchen nicht anders könne – und schließlich dafür gemaßregelt oder gar bestraft werde, könne damit das ungewünschte Verhalten sogar noch bestärkt werden.

„Eltern brauchen die Solidarität der anderen”

Das Kind empfindet sich als Sündenbock und zieht sich entweder in sich zurück oder reagiert mit Trotz: Wenn ihr mich so seht, dann könnt ihr mich so haben! „Die Eltern brauchen die Solidarität der anderen“, sagt Rogge. Keine Vorwürfe, dass das Kind „verzogen“ sei, sondern Nachfragen zum richtigen Umgang. „Alle Beteiligten sollten ihr Möglichstes geben, damit das Kind nicht zum Außenseiter wird, dass es sich angenommen fühlt.“

Kinder bräuchten konstruktive Begleitung, ein klares Aufzeigen der Grenzen, eine direkte und persönliche Ansprache. „Einigen Kinder hilft auch Körperkontakt zum Verstehen des Gesagten, eine freundliche körperliche Berührung bei authentischer Mimik und Gestik“, so Rogge. Nein, jetzt sind erst die anderen mit Rutschen dran und dann darfst du.

Annes Sohn kommt mit einem Schulbegleiter besser klar

Bei einigen Kindern ist es nur eine Phase, in der sie auffällig werden, bei anderen hält sie jahrelang an, wächst sich erst allmählich aus oder erfordert mehr Hilfen im Alltag. Annes Sohn hat jetzt einen Schulbegleiter und kommt seither viel besser klar. Der Umzug aufs Land hat ihn ebenfalls entschleunigt.

Wenn andere Eltern heute trotzdem noch die Augen verdrehen, dann nimmt sich Anne ein Herz und erzählt ihnen, dass ihr Sohn manchmal einfach nicht anders kann. Ein intensives Kind, kein böses. Eines, das traurig ist, wenn sich ehemals gute Freunde abwenden.