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Weihnachten bei Mama oder bei Papa?So kommen Sie als Patchworkfamilie gut durch die Feiertage

Lesezeit 5 Minuten
Besonders Kinder leiden unter Streitigkeiten in der Familie an den Feiertagen.

Besonders Kinder leiden unter Streitigkeiten in der Familie an den Feiertagen.

Vor allem in Patchworkfamilien sind viele Kompromisse und Absprachen nötig, um etwas Besinnlichkeit zu erreichen.

Weihnachten ist das Fest der Liebe. Familien kommen zusammen, es wird gelacht und gut gegessen. Alle sind mit ihren Geschenken zufrieden, und es gibt keinen Streit. So sieht es zumindest in Weihnachtsfilmen und Werbespots aus. Doch die Realität ist oft anders. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov streiten 25 Prozent der Befragten immer oder gelegentlich über Weihnachten.

Für die Umfrage wurden 2023 knapp 2000 Personen befragt. Gründe dafür gibt es viele: unrealistische Erwartungen an das Fest, Stress und Hektik in der Vorweihnachtszeit und alte Familienkonflikte, die neu aufbrechen. Menschen, die sich sonst das ganze Jahr aus dem Weg gehen, kommen plötzlich zusammen.

Frühzeitig klare Absprachen treffen

Besonders angespannt ist das Fest bei getrennt lebenden Eltern. „Weihnachten bedeutet für viele Kernfamilien eine stressige Zeit. Bei getrennten Eltern und Patchworkfamilien kommt noch mehr Anspannung hinzu“, sagt Oliver Panzau, der als Coach Patchworkfamilien berät. In den Wochen vor dem Fest erhält er viele Beratungsanfragen. Die Frage, wie wer wo feiert, sorgt oft für Konflikte. Sein Ratschlag lautet deshalb: frühzeitig Klarheit schaffen – am besten schon Monate im Voraus. Wann ist das Kind bei der Mutter, wann beim Vater?

Weihnachten bedeutet für viele Kernfamilien eine stressige Zeit. Bei getrennten Eltern und Patchworkfamilien kommt noch mehr Anspannung hinzu
Oliver Panzau

Diese Regelung sollte verbindlich beschlossen werden und Bestand haben, notfalls auch per Anwalt, Mediation oder Beratungsstelle. Ältere Kinder oder Jugendliche sollten bei dieser Entscheidung einbezogen werden, damit ihre Bedürfnisse Gehör finden. Frühzeitig zu wissen, wer wann wo ist, gibt allen Sicherheit und erspart schmerzvolle und emotional aufgeladene Konflikte. Natürlich darf auch gemeinsam gefeiert werden, wenn die Eltern sich gut genug verstehen und die Stimmung nicht zu angespannt ist. Oft braucht es dafür aber Zeit, Geduld und viel Wohlwollen. Vor allem kurz nach einer Trennung fällt dieser Schritt schwer, weil man sich vielleicht noch verletzt fühlt.

Sehnsucht nach dem abwesenden Elternteil zulassen

„An den Weihnachtsfeiertagen ist die Trennung für die Kinder, aber auch die Eltern besonders spürbar. Sie müssen sich von alten Familienvorstellungen und gemeinsamen Weihnachtsfesten der Vergangenheit verabschieden. Zum Wohl des Kindes sollten deshalb alle zusätzlichen Konflikte vermieden werden“, sagt Panzau. Ein Weihnachten ohne Streit sei wichtiger als ein Weihnachten in der Kernfamilie. Und es braucht in dieser Zeit viel Fingerspitzengefühl und einen sensiblen Blick für die Kinder und ihre Gefühle. Trotz allem Groll gegen den Ex-Partner sollte man ihnen zuhören und zulassen, dass sie Sehnsucht nach dem abwesenden Elternteil haben.

Kinder profitieren ungemein davon, wenn die Eltern ihnen das Gefühl geben, dass sie sich bei beiden Elternteilen wohlfühlen dürfen und sich über mehrere Bescherungen freuen können. Deshalb sollte man unbedingt vermeiden, schlecht über den nicht anwesenden Ex-Partner zu sprechen. Das gilt natürlich auch für die Großeltern oder andere Verwandte. Am Ende verletzt das nur das Kind. Genauso tabu ist das Ausfragen der Kinder oder das Bewerten der Zeit beim anderen Elternteil. Unnötiges Gezerre am Kind an den Feiertagen sollte ebenfalls vermieden werden. Vormittags beim Vater, abends bei der Mutter, Wechsel am zweiten oder dritten Weihnachtsfeiertag – das sorgt bei kleineren Kindern für unnötigen Stress.

„Es spricht nichts dagegen, am 28.12. mit dem Kind Weihnachten nachzufeiern. Mit doppelter Bescherung versteht sich“, sagt auch Psychologin und Patchworkexpertin Katharina Grünewald. Die jährlich wechselnde Aufteilung Weihnachten bei einem, Silvester beim anderen Elternteil sei deshalb eine sehr häufige Lösung. Natürlich kann Weihnachten ohne Kind auch für die Erwachsenen schmerzhaft sein. Deshalb ergibt es Sinn, zu Weihnachten mit der eigenen Familie oder bei Freunden zu feiern und nicht allein zu bleiben.

Noch planungsintensiver werden die Feiertage, wenn neue Partnerinnen oder Partner „im Spiel“ sind. Gerade bei „frischen“ Konstellationen rät Grünewald zu Zurückhaltung. „Man sollte hier sensibel vorgehen. Eine neue Partnerin oder ein neuer Partner bringt nicht selten neue Konflikte zwischen den Eltern mit sich. Außerdem sollte man die Kinder mit der neuen Familienkonstellation nicht überfordern – schon gar nicht zu Weihnachten“, sagt sie. Separate Weihnachtsfeste sind deshalb erst mal die bessere Option. Wenn die Beziehung schon länger besteht und sich Bonuseltern und Kinder gut verstehen, spricht wenig gegen ein gemeinsames Weihnachten. Auch hier sollten ältere Kinder oder Jugendliche in die Entscheidung einbezogen werden, ob sie bereit sind, Weihnachten mit einer neuen Partnerin oder einem neuen Partner zu feiern.

Besser getrennt, als mit Zwang zusammen zu feiern

Eine größere Herausforderung ist es, wenn in einer Patchworkfamilie beide Partner Kinder haben. Dann braucht es noch mehr Abstimmung und Kompromisse – und frühzeitige Entscheidungen. „Mit den neuen Partnern wächst das Familiensystem um Bonuseltern, Verwandte und Geschwister. Sie wollen an den Feiertagen eingebunden und berücksichtigt werden. Der Planungsaufwand vervielfacht sich, und am Ende ist es ein großes Puzzle aus Bedürfnissen“, sagt Patchworkfamilien-Coach Panzau. Dazu kommen noch unterschiedliche Prägungen und Vorstellungen über das Weihnachtsfest.

Die Liste der organisatorischen Fragen wird schnell lang: Wann sind welche Kinder wo? Wo wird gefeiert? Was wird gegessen? Darf die neue Partnerin oder der neue Partner dem Kind auch ein Geschenk überreichen? Tauchen die Ex-Partner auf? Und was ist mit den neuen Großeltern oder anderen Verwandten? Damit das Weihnachtsfest nicht zum Stressfaktor für die Kinder und Eltern wird, ergibt es im Zweifel Sinn, auch als Patchworkfamilie weiterhin getrennt oder besser gesagt nacheinander und mehrfach Weihnachten zu feiern – statt mit Zwang alle zusammenzubringen und damit neue Konflikte und noch mehr Stress zu erzeugen. Verstehen sich die neuen Geschwister und Bonuseltern, spricht natürlich nichts gegen ein großes, gemeinsames Fest.

Für alle Patchwork- und Trennungseltern, denen nach den ganzen Absprachen der Kopf raucht, hat Grünewald noch eine gute Nachricht, weniger Absprache braucht es bei der Frage der Geschenke und der individuellen Gestaltung der Feier für das Kind. „Neben den ganzen Herausforderungen, die eine Trennung mit sich bringt, ist eine doppelte oder sogar dreifache Feier und Bescherung ein großer Vorteil für die Kinder.“ Hier sollten die Eltern nicht unnötig geizen – auch wenn das die Traurigkeit über einen Heiligabend ohne Mama oder Papa nicht gänzlich trösten kann.