EntbindungWenn die Geburt zum Trauma wird
Es sind berührende Worte einer jungen Mutter: „Ich hatte keine Angst und bin die Geburt locker angegangen. Aber ich komme einfach nicht über diesen Tag hinweg. Ich weiß nicht, wie ich jemals wieder ein Kind bekommen soll“, schreibt sie in einem Internetforum. Die junge Frau hat offenbar ein Geburtstrauma.
Jährlich etwa 100.000 Frauen betroffen
„Ein Geburtstrauma ist kein Massenphänomen“, sagt Jörg Angresius vom Berufsverband der Frauenärzte in München. „Aber für die betroffenen Frauen ist es sehr quälend.“ Nach Angaben des Vereins Schatten & Licht in Welden bei Augsburg sind in Deutschland jährlich etwa 100.000 Frauen von sogenannten peripartalen psychischen Erkrankungen betroffen, also solchen verknüpft mit der Geburt.
Viele Frauen fühlen sich innerlich wie erstarrt, emotional taub, und sind gleichzeitig schnell gereizt und reagieren aggressiv oder verängstigt. Manche leiden unter Alpträumen, fühlen sich überfordert. „Viele Symptome ähneln einer Wochenbett-Depression“, erklärt Astrid Saragosa, Leiterin des Trauma-Instituts in Weilheim nahe München.
Erfahrung der Geburt hinterlässt Spuren
Doch hier ist es die Erfahrung der Geburt, die Spuren hinterlässt. Und das muss nicht nur der Fall sein, wenn während der Geburt Gefahr für Kind oder Mutter bestand. Bedrohlich können sich für eine Frau auch vermeintlich harmlose Situationen anfühlen. „Dies kann zum Beispiel passieren, wenn Hebammen oder Ärzte sich eine geraume Weile nicht kümmern und die Frau mit ihren Schmerzen und Gedanken allein ist“, erklärt Viresha Bloemeke vom Deutschen Hebammenverband in Hamburg. In der werdenden Mutter kann sich eine diffuse Angst ausbreiten - sie fühlt sich hilflos, sorgt sich. Der automatische - unbewusste - Reflex auf etwas Bedrohliches ist: Flüchte! Das geht in dieser Situation aber nicht, es läuft das Notfallprogramm: Funktionieren. Dabei werden Gefühle verdrängt, nur Erinnerungsfetzen bleiben.
Das Nervensystem bekommt keine Entwarnung, auch nach der Geburt nicht: jederzeit wach, um auf Gefahr zu reagieren. Erst einige Zeit später kommen die diffusen Gefühle hoch. Sie können sich auch andocken an andere Situationen, die nicht verarbeitet wurden. So kann sich beispielsweise eine Frau alleingelassen fühlen wie einst als Kind.
Traumatherapeuten können helfen
Die Frauen merken, dass etwas mit ihnen nach der Geburt nicht stimmt, sagt Bloemeke. Die Reaktionen von außen wie „Ist doch alles gut gegangen“ oder „Das sind die Hormone“ signalisieren: Stell dich nicht so an! „Viele Frauen ziehen sich zurück“, erklärt Saragosa. Denn auch sie selbst nehmen die Belastung zum Teil nicht ernst oder schämen sich, mit der „natürlichsten Sache der Welt“ nicht klarzukommen.
Dabei ist Tapfersein nicht angebracht. Betroffene sollten ihre nachsorgende Hebamme ansprechen. Traumatherapeutin Astrid Saragosa bietet ihre Nachsorgegespräche auch per Skype an. Der Verein Schatten & Licht berät Frauen ebenfalls nach der Geburt, zum Beispiel über Selbsthilfegruppen. Genauso können Schwangerenberatungsstellen weiterhelfen.
Wie kann eine Traumatherapeutin helfen? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.
„Oft ist schon ein ruhiges Gespräch hilfreich, in dem die Frau das Geburtserlebnis noch einmal durchgeht“, erklärt Angresius. Die Erinnerung kann schmerzhaft sein. Zumal sich viele Frauen schuldig fühlen, weil in ihnen das Gefühl herrscht, sie hätten etwas tun müssen, sich wehren oder besser vorbereiten auf die Geburt. Oder sie geben Ärzten die Schuld, weil sie sich nicht gut betreut fühlten.
Geburtsprotokoll anfordern
„Ich gehe mit den Betroffenen Schritt für Schritt jeden Moment der Geburt durch, wobei sie nach innen schaut und ausspricht, was sie gefühlt und erlebt hat“, erklärt Saragosa. Bloemeke rät Betroffenen, das Geburtsprotokoll anzufordern, darauf haben sie ein Recht. Anhand dessen kann die Frau mit der nachsorgenden Hebamme oder einem Psychologen nachvollziehen, warum wann was geschah.
Bloemeke empfiehlt der betroffenen Frau, einen Brief zu schreiben an den Arzt oder das Krankenhaus und darin zu erläutern, was sie kritisiert an dem Ablauf der Geburt, am Verhalten der Betreuenden. Aber sie kann auch Verständnis zeigen oder empfehlen, was sie sich für eine nächste Geburt wünschen würde. „Ob sie den Brief dann abschickt oder als Schiffchen auf einen Fluss setzt, bleibt ihr überlassen“, sagt Bloemeke.
Der Betroffenen Auszeit gönnen
Es geht bei Gespräch oder Brief nur um eins: Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden - aber die Betroffene bekommt Klarheit über das Erlebte und kann ihre Gefühle sortieren. Und es ist das Signal an das Nervensystem: Alles ist gut, keine Gefahr mehr.
Auch der Partner, die Eltern oder Freunde sind gefragt. Sie sollten der Betroffenen zuhören, nicht werten. Und Unterstützung anbieten. „Sie können das Kind betreuen, für die Familie kochen oder Wäsche waschen“, empfiehlt Angresius. Und wenn es nur mal eine Stunde für sich ist - die Betroffene sollte sich Auszeiten gönnen, in denen sie nicht funktionieren muss und durchatmen kann. Auch so spürt sie nach und nach: Alles ist gut. (dpa)