Die Jungen sind faul, die Alten sind „alte weiße Männer“ – zwischen kaum einer Generation knallt es so oft wie zwischen den Babyboomern und der Gen Z. Generationenforscher Rüdiger Maas erklärt, woran das liegt.
Generationenforscher im Interview„Warum die Gen Z die Boomer in den Wahnsinn treibt“
Jung und Alt sind sich oft nicht einig. Sollten wir mehr arbeiten oder weniger? Sollten wir gendern oder nicht? Sollten wir zur Therapie gehen oder nicht? Oft stehen die Positionen scheinbar unvereinbar gegenüber. Warum ist das so? Und stimmen die Vorurteile eigentlich oder nicht? Was braucht es, damit die Generationen wieder zusammenkommen?
Darüber haben wir mit Rüdiger Maas gesprochen. Er ist Psychologe, Gründer des Instituts für Generationenforschung in Augsburg und selbst Teil der Generation X, also von denen, die zwischen 1965 und 1980 geboren wurden.
Herr Maas, kürzlich postete ein indischer Unternehmer und Arbeitgeber eine Urlaubsanfrage. Darin stand „Ich werde am 8. November Urlaub machen. Bye“. Er schrieb dazu „So kriegt mein Gen-Z-Team seinen Urlaub genehmigt“. Ist die Gen Z so unverschämt, wie viele denken?
Der Unternehmer disqualifiziert sich hier auf mehreren Ebenen. Warum postet er so was? Wenn er das selbst problematisch findet, sollte er das direkt mit seinem Angestellten klären. Außerdem genehmigt er den Urlaub und zeigt damit, dass es möglich ist, so mit ihm zu sprechen. Er trägt die Verantwortung, das vergessen wir zu oft. Das ist der Mitarbeiter, den er eingestellt hat. Das ist die Arbeitsumgebung, in der der Unternehmer zulässt, dass der Mitarbeiter sich so verhält. Erwachsene haben weiterhin eine Vorbildrolle und dieser Post zeigt, dass viele ihr nicht nachkommen. Da erwarte ich mehr. Schließlich ermöglichen die Älteren das.
Ist die Gen Z denn fauler als andere Generationen, wie es oft behauptet wird?
Da müssten wir erst mal klären: Wer ist denn fleißig?
Die Babyboomer behaupten das von sich.
Als die Boomer im Alter der Gen Z waren, waren sie fleißiger. Sie mussten vor 40 Jahren auch viel mehr bewegen, um etwas zu bekommen. Aber jetzt gehen die meisten 28 Monate vor ihrem eigentlichen Ruhestand in Rente. Wir sind alle ungefähr gleich faul geworden – da nehmen sich die Jungen nicht aus. Sie sind vielmehr ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.
Ein Beispiel: Sie mussten früher immer Treppe laufen im Hochhaus, aber jetzt gibt es einen Aufzug. Und die Älteren sagen nun: „Die Jungen sind aber ganz schön faul, ich bin früher immer Treppe gelaufen.“ Gut, da gab es ja auch keine andere Möglichkeit. Solche Vorwürfe zeigen, wie unreflektiert die Älteren gerade sind. In einer fleißigen Gesellschaft hätten die Faulen gar keinen Platz. Die würden keinen Arbeitsplatz bekommen, keinen Schulabschluss. Dass das möglich ist, zeigt, dass wir uns gesamtgesellschaftlich so entwickelt haben.
In Ihrem Buch „Konflikt der Generationen“ schreiben Sie, dass der Bruch bei Babyboomern und Gen Z besonders extrem ist. Ist es nicht normal, dass die Älteren immer über die Jüngeren schimpfen?
Ja, aber machen wir das heute wirklich noch, oder bewundern wir nicht den Nachwuchs so sehr, dass wir neue Perspektiven auf uns Ältere miteinpreisen müssen? Zudem verlässt mit den Babyboomern die größte Generation den Arbeitsmarkt, die kleinste Generation kommt. Es war ganz schwer für die Boomer, einen tollen Arbeitsplatz zu bekommen. Da haben sich auf eine Stelle 100 Leute beworben, die Konkurrenz war hoch. Heute bewerben sich fünf Unternehmen bei jungen Leuten – da dreht sich das Verhältnis natürlich um. Dass das jemanden nervt, der völlig anders in die Arbeitswelt eingetaucht ist, ist nachvollziehbar.
Wo prallen die Gegensätze noch aufeinander?
Wir haben keine Eltern im klassischen Sinne mehr. Wir nehmen die Jüngeren ernster, als das früher der Fall war. Boomer-Eltern fangen an, ihre Kinder zu bewundern, finden toll, was die machen, wollen mit ihnen befreundet sein. Udo Lindenberg (78) rappt mit Gen-Z-Star Apache 207, und alle lieben es. Aber wollte Udo Lindenberg dies auch haben, als er im Alter von Apache 207 war? Wir nehmen die Jüngeren so ernst, dass sich die Perspektive auf uns Ältere geändert hat. Und wir haben, drittens, die erste komplett digitale Generation. 99,7 Prozent der Generation Z haben ein Smartphone, sie sind bis zu zwölf Stunden online und 95 bis 97 Prozent folgen Influencern. Diese neuen Themen bespielen die Jungen sehr stark und entmachten dabei die Älteren.
Wie meinen Sie das?
Weil die Jüngeren die Werte der Älteren nicht mehr teilen. Angenommen, Sie sind Boomer und Ihr größter Traum neben Eigenheim und Familie war ein Porsche. Jetzt haben Sie den endlich und die Gen Z sagt Ihnen, dass sie Autofahren immer blöd fand. In dem Moment sind Sie komplett entmachtet. Die eigenen Erfahrungswerte interessieren nicht mehr, keiner sieht, was Sie alles getan haben. Stattdessen heißt es, man sei nur dahin gekommen, weil man ein privilegierter alter, weißer Mann ist. Und die Alten fragen sich: Wie will ich denn jetzt jemand Junges begeistern, außer mit meinem Status?
Und was meinen Sie damit, dass wir keine Eltern im klassischen Sinne mehr haben?
Als die Boomer jung waren, haben sie gegen ihre Eltern, die Nachkriegsgeneration, aufbegehrt. Daraus ist die 68er-Bewegung entstanden. Die heutigen Eltern nehmen ihren Kindern alles ab, gehen mit zur Demo und finden toll, was sie machen. Es gibt keine Reibung mehr – und deswegen verändert sich auch nichts. Ein Beispiel: Fridays for Future. Man hätte das ja auch eskalieren können und den Protest auf einen Montag oder Dienstag ausweiten. Aber das ist nicht passiert. Alle waren sich einig, es gab nichts, wogegen rebelliert werden musste. Den 68ern verdanken wir, dass man Kinder heute nicht mehr schlagen darf. Fridays for Future hat eigentlich nichts bewegt, außer dass wir alle darüber reden.
Thomas Gottschalk hadert sehr offen mit der jungen Generation. Hat einer wie er es schwerer als früher?
Ja. Weil diese Generation viel darauf gibt, was die Jüngeren sagen, und weil sich die Welt deutlich schneller verändert. Die Erfahrungshorizonte driften schneller auseinander und für Ältere ist es schwer, Schritt zu halten und sich anzupassen. Einer wie Gottschalk müsste sich viel stärker anpassen, um in die Zeit zu passen. Gleichzeitig darf er sich aber auch nicht zu sehr anpassen, um seine Fans nicht zu verlieren. Das ist eine schwierige Gratwanderung, die Älteren schwerer fällt als Jüngeren. Aber zu Gottschalk muss man auch sagen: Es war auch früher falsch, Frauen so anzufassen, wie er es getan hat. Wo war da die Kritik? Es reicht nicht, Gottschalk heute blöd zu finden, man muss auch hinterfragen, warum man ihn nicht schon früher kritisiert hat.
Wie werden die Kinder der Generation Z aufwachsen?
Die Kinder sind es – auch jetzt schon – gewohnt, dass ihre Bedürfnisse immer sofort befriedigt werden. Wie schnell ist die schnellste Rakete der Welt? Wenn die Eltern es nicht wissen, fragen sie eben Google oder ChatGPT. Die Kinder werden also wesentlich ungeduldiger. Langeweile ist ein Gefühl, das sie nicht mehr kennen. Zudem wachsen sie wesentlich behüteter auf und sind deswegen weniger selbstständig. Vor 100 Jahren durfte ein Kind noch zehn Kilometer alleine laufen, mittlerweile tracken viele Eltern ihr Kind. Generell liegt der Fokus der Eltern auf den Kindern, sie sind sehr eng verbunden. Wir gehen auch davon aus, dass die Gen-Z-Eltern auch ihre Enkel erziehen werden. Insgesamt wird es weniger Kinder geben. Wenn die Generation Alpha Kinder hat, wird jeder dritte oder vierte Mensch über 65 Jahre alt sein. Sie werden zudem den Klimawandel noch viel stärker erleben und dafür der Gen Z die Schuld geben.
Welchen Einfluss wird die digitale Welt haben?
Sie ist omnipräsent. Wir werden dadurch in immer kürzeren Abständen Disruptionen erleben, also tiefgreifende, gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Die Generation Alpha wird zu 65 Prozent Jobs haben, die es heute noch nicht gibt. KI wird einen großen Einfluss haben. Wir werden noch viel weniger wissen, was echt ist und was nicht.
Sollten junge Menschen nicht besonders gut wissen, was echt ist und was nicht?
Genau das Gegenteil ist der Fall. Junge Menschen haben eine schlechte Digitalkompetenz, weil sie damit aufwachsen. Sie hinterfragen das nicht, sondern arbeiten damit intuitiv, weil es immer ihre Umgebung war. Man interpretiert diese Kompetenz einfach in sie rein. Älteren erkläre ich das immer so: Als du jung warst, den ganzen Tag Fernsehen geschaut hast, kamen deine Eltern nicht auf die Idee, dir technische Kompetenz zu unterstellen. Ältere haben dagegen heute oft eine bessere Digitalkompetenz, eben weil sie nicht damit aufgewachsen sind. Sie können Fake News und manipulierte Bilder oft besser erkennen.
Ist das etwas, das die Gen Z von den Babyboomern lernen könnte?
Eine der wichtigsten Eigenschaften für die Zukunft wird sein, kritisch zu denken. Zudem wurden wir nicht mit einem Tablet geboren, wir sind analoge Wesen. Wir brauchen zum Beispiel eine hohe Resilienz gegen Cybermobbing oder ein gutes Selbstbewusstsein, wenn wir weniger Likes bekommen. Das sind Eigenschaften, die man in der analogen Welt erlangt, zum Beispiel durch Erziehung und Vorleben. Und alles, was man in der analogen Welt braucht, kann man von Älteren lernen.
Was können Boomer von der Gen Z lernen?
Demokratie heißt ja nicht nur Mehrheit, sondern Schutz der Minderheit. Von den jüngeren Generationen kann man lernen, offener zu sein und mehr Menschen gedanklich zu berücksichtigen. Dass der Status und die Herkunft weniger wichtig sind. Das ist auch eine der zentralen Eigenschaften für die Zukunft: Ambiguitätstoleranz, also Unterschiedlichkeiten anzunehmen.
Wie können Ältere und Jüngere künftig besser miteinander auskommen?
Muss man das denn? Es ist doch super, wenn Junge Alte blöd finden. Wenn wir alles toll finden, was die Jungen machen, nehmen wir denen auch ganz viel weg. Das sehen wir an sozialen Medien: erst Facebook, dann Instagram und inzwischen auch Tiktok. Die Alten laufen den Jungen hinterher und die ziehen weiter. Ein 17-Jähriger muss Gottschalk nicht zeitgemäß finden und Gottschalk muss Tiktok nicht verstehen. Es ist auch gar nicht so förderlich, wenn wir uns immer alle einig sind. Wir sollten fair und respektvoll miteinander umgehen. Das heißt aber nicht, dass man alles gutheißen muss.