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Abnehmen im Lockdown„Geduld, eine Bikini-Figur in vier Wochen ist unrealistisch“

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Viele Menschen haben während der Lockdown-Zeiten zugenommen und möchten die Corona-Kilos jetzt wieder los werden. 

Köln – Januar ist Abnehmzeit, klar. Doch dieser Januar ist anders. Wir kommen nicht so richtig in Schwung, haben im vergangenen Corona-Jahr zugelegt und erinnern uns nur noch fern an Sport. Fitnessstudios und Schwimmbäder haben zu, draußen ist es dunkel. In die Business-Klamotten müssen wir auch gerade nicht rein passen. Aber wohl fühlen wir uns trotzdem nicht. Schluss mit der Hängerei!

Christoph Klotter ist Professor für Ernährungspsychologie und Gesundheitsförderung an der Hochschule Fulda und arbeitet auch als Psychologischer Psychotherapeut. Im Interview erklärt er, wie wir uns gerade jetzt zum Abnehmen motivieren können und warum es vor allem wichtig ist, dass wir nett zu uns selbst sind.

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Christoph Klotter ist Psychologischer Psychotherapeut und Professor für Ernährungspsychologie und Gesundheitsförderung an der Hochschule Fulda

Herr Professor Klotter, sich zum Abnehmen zu motivieren, ist immer schwierig. Aber in diesen Zeiten fühlt es sich besonders schwierig an, weil man nicht so richtig in das neue Jahr starten kann. Wir müssen zuhause bleiben, Fitnessstudios und Schwimmbäder sind geschlossen. Wie kann man zu diesem besonderen Jahresstart trotzdem seinen Vorsatz umsetzen, die Corona-Kilos wieder los zu werden?

Christoph Klotter: Zunächst einmal sollten wir anerkennen, dass wir in einer Krisenzeit leben und dass wir uns mit Erwartungen und Zielvorgaben bescheiden halten sollten. Das Robert Koch-Institut hat festgestellt, dass durch Corona das Übergewicht zugenommen hat. Das sollten wir nicht verurteilen, sondern uns stattdessen verzeihen, dass wir psychosozial belastet sind und uns anders ernähren. Wir sollten Verständnis dafür aufbringen, dass wir in einer besonderen Lage sind.

Man müsste also etwas netter mit sich selbst umgehen, weil man nicht der Einzige ist, bei dem die Hosen nicht mehr zugehen?

Exakt. In der Alltagspsychologie denken wir oft, dass sich die Situation ändert, wenn wir uns verurteilen und schlecht mit uns umgehen. Aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil führt das Verzeihen zu einer Veränderung, nicht das Verurteilen. Wir sollten Verständnis für uns haben, wir leben Corona-bedingt in einer sehr schwierigen Zeit. Isolation und Homeoffice machen das Leben in der Regel nicht leichter.

Wenn ich es schaffe, mir die zusätzlichen Kilos zu verzeihen, aber doch gerne alles aus dem Schrank wieder anziehen möchte, in das ich aktuell nicht mehr passe: Wie kriege ich die Kurve?

Stellen Sie realistische Erwartungen an sich. Die Motivationspsychologie sagt eindeutig, dass zu hohe oder zu niedrige Erwartungen eine Veränderung erschweren. Sie müssen selbst justieren, was für Sie zu niedrig und was zu hoch ist. Dazwischen finden Sie die realistische Erwartung

Was muss ich noch tun, um mit dem Abnehmen anzufangen?

Wichtig ist eine Motivationsanalyse und eine Plus-Minus-Liste: Was spricht dafür, was spricht dagegen? Denn es gibt auch Punkte, die gegen das Abnehmen sprechen, zum Beispiel, dass man seine Gewohnheiten ändern muss oder dass man mit seinen Freunden kein Bier mehr trinken kann. Außerdem sollten Sie so konkret wie möglich werden. Nicht sagen: „Ich möchte in 2021 abnehmen“, diese allgemeinen Vorsätze bringen gar nichts. Sie müssen sie konkretisieren. Zum Beispiel so: „Wenn ich wieder ins Büro gehe, dann werde ich mit meinen Kollegen nicht mehr Nachmittags Kuchen essen.“ „Wenn ich zu Oma gehe, mache ich das und das.“ „Im neuen Jahr werde ich diese Lebensmittel zuhause lagern und diese nicht mehr.“ Die Pläne müssen immer konkret und situationsgebunden sein.

Logo Gesundheit abnehmen

Der Jahreswechsel ist ein guter Zeitpunkt, sich bewusst um die eigene Gesundheit zu kümmern. Mit unserer neuen Serie „Gesund durchs Jahr“ wollen wir Sie dabei begleiten. Wöchentlich gibt es dazu ein Gesundheitsthema, mit monatlich wechselnden Schwerpunkten. Los geht es im Januar mit der Frage, die nach den genussreichen Tagen viele umtreibt: Wie schaffe ich es jetzt – im Lockdown – abzunehmen und fit zu bleiben? 

Was raten Sie Menschen, die einfach nicht wissen, wie sie es anstellen sollen?

Ich würde empfehlen, dass Sie sich mal ein Wochenende lang mit dem Partner oder einem Freund zusammensetzen und das Essen durchdenken. Wie gehe ich einkaufen? Gestresst nach Feierabend mit langer Schlange? Wie geht das entspannter? Was kaufe ich ein? Mit wem kaufe ich ein? Wie koche ich und mit wem? Planen Sie, damit das Essen ein schöner Akt wird. Nicht neben dem Smartphone oder Notebook irgendwas reinschlingen, sondern das Essen mit Ruhe und Entspannung verbinden.

Wie schafft man es, dass man sich dabei auch noch gesünder ernährt?

Das eine gesunde Essen gibt es nicht mehr. Die neuere Forschung hat ergeben, dass die Menschen vollkommen unterschiedlich verstoffwechseln. Jeder muss selbst herausfinden, was ihm gut tut und was nicht.

Tipps für mehr Bewegung im Alltag

Wie können wir uns mehr bewegen?

Christine Joisten

Professorin Christine Joisten

Prof. Christine Joisten, Leiterin der Abteilung III Bewegungs- und Gesundheitsförderung am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule in Köln, beantwortet die wichtigsten Fragen zu Bewegung im Alltag.

Ein fester Plan

Fitness-Studios und Schwimmbäder sind zu, Vereine bieten auch keinen Sport an. Wie schafft man es, sich trotzdem zu bewegen? Man muss es sich ganz fest vornehmen. Gerade jetzt im Lockdown ist Struktur enorm wichtig. Planen Sie vor. Stellen Sie sich am Abend vorher schon Schuhe, Mütze und Handschuhe zum Joggen raus, machen Sie sich nicht vom Wetter abhängig. Gehen Sie laufen oder machen Sie einen anderen Sport. Wenn das ein fester Termin ist, ist die Hürde auch ein Stück weit kleiner. Stellen Sie diesen Termin nicht infrage.

Zehn-Minuten-Schritte

Wie schafft man es, sich die Ziele nicht zu hoch zu setzen, daran zu scheitern und so direkt wieder die Motivation zu verlieren? Denken Sie in Zehn-Minuten-Schritten. Ihr erstes Ziel ist es, zehn Minuten am Stück durchzuhalten. Wenn das noch zu schwierig ist, versuchen Sie es erstmal vier oder fünf Minuten am Stück und tasten sich immer weiter an die Zehn heran. Wenn das gut klappt, planen Sie nach dem gleichen Muster auf 20 Minuten hin. So können Sie sich langsam und in Ihrem Tempo immer weiter steigern. Wenn Sie große Probleme mit Bewegung haben, könnten Sie zum Beispiel spazieren gehen und zwischendurch immer mal wieder schnell gehen. Konkret heißt das, nicht im normalen Tempo gehen, was 1000 Schritte in zehn Minuten wären, sondern versuchen, 1000 Schritten in sechs Minuten zu gehen.

Es muss nicht Joggen sein.

Was kann man noch machen außer Joggen? Draußen kann man noch viel mehr machen, wenn man Joggen nicht mag. Sie können Rad fahren, Inline skaten, Longboard fahren oder Yoga im Licht machen. Für drinnen gibt es sehr viele Videos mit Sportübungen. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention hat zahlreiche Links für verschiedenste Zielgruppen zusammengestellt, von Yoga bis Hanteltraining ist alles dabei. Das tut Menschen gut, die sich nicht alleine zum Sport aufraffen können und Anleitung brauchen. Zu diesen Terminen können Sie sich auch digital mit jemandem verabreden, dann ist die Hürde noch größer, abzusagen.

10.000 Schritte am Tag

Wie viel Bewegung sollten wir mindestens am Tag haben?10.000 Schritte, also ungefähr 100 Minuten im Alltag oder 30 Minuten moderat an mindestens fünf Tagen in der Woche. Alternativ können Sie sich auch an mindestens drei Tagen 25 Minuten intensiv bewegen. Diese Bewegung können Sie gut in den Alltag integrieren, indem Sie mehr zu Fuß gehen, die Treppe benutzen oder im Garten arbeiten.

Übungen mit Alltagsgegenständen

Welche Übungen kann man mit Alltagsgegenständen machen?Halbe-Liter-Wasserflaschen können Sie benutzen wie Hanteln. Auch Therabänder eignen sich gut für Kraftübungen im Alltag. Und natürlich auch das eigenen Körpergewicht. Liegestütze, Kniebeugen und Sit-ups können Sie überall machen. Auch dafür machen Sie sich am besten einen Plan. Hier finden Sie einige Anregungen.

Wie findet man heraus, welche Nahrungsmittel einem gut tun, wenn man das Gefühl für sich selbst verloren hat oder sich zu lange an Ernährungsvorgaben von außen gehalten hat?

Durch Ausprobieren. Schreiben Sie zwei Wochen lang auf, was Sie essen, wie Sie sich danach fühlen und wann Sie wieder Hunger bekommen. So erhalten Sie Ernährungsprotokolle in Verbindung mit Ihrer Stimmungslage und finden heraus, was Ihnen gut tut.

Heißt das im Umkehrschluss, dass kein Lebensmittel ausgeschlossen oder verboten ist?

Ganz genau. Die bösen Lebensmittel gibt es nicht. Kaufen Sie aber nicht wahllos Schokolade, sondern Pralinen, die Ihnen besonders gut schmecken. So wird Quantität durch Qualität ersetzt.

Wie wichtig sind Vorgaben, wann und wie oft gegessen werden darf?

Finden Sie für sich selbst heraus, wie viele Mahlzeiten Sie pro Tag brauchen. Essen Sie aber nichts nebenbei und unter Stress. Verbinden Sie Essen mit Pausen.

Das sind gute Tipps, aber es lässt sich ja leider nicht verleugnen, dass man trotzdem anders und weniger essen muss, wenn man abnehmen möchte.

Wenn Sie Ihr Essverhalten ändern wollten, sollten Sie herausfinden, worauf Sie am ehesten verzichten können, beispielsweise auf Kuchen am Nachmittag. Setzen Sie nicht da an, wo es für Sie am schwierigsten ist zu verzichten, sondern da, wo es am einfachsten ist. So vermeiden Sie, einen Ausnahmezustand zu etablieren. Die Magerquark-Diät ist nach vier Wochen vorbei und dann kehren Sie zum Alten zurück. Entscheidend ist aber, einen langfristigen und gangbaren Weg zu entwickeln.

Es geht also vor allem um Bewusstmachung?

Ganz genau. Das ist ein bewusstes Gegensteuern. Ich muss Gewohnheiten reflektieren und vielleicht auch daraus aussteigen. Wichtig ist dabei, viel Geduld zu haben. Eine Bikini-Figur in vier Wochen ist unrealistisch. Ich muss mit mir Geduld haben und nicht in vier Wochen, sondern in vier Monaten oder Jahren planen. Eine Verhaltensänderung findet erst innerhalb von zwei bis drei Jahren statt. In dieser Zeit brauchen Sie eine verlässliche Begleitung, die Sie anrufen können, wenn Sie Schwierigkeiten haben, Ihr Ziel weiter zu verfolgen. Das muss kein Ernährungsberater sein, sondern kann jemand aus dem Umfeld sein.

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Dann sollten Sie nach alternativen Belohnungen suchen. Wir sind beherrscht vom limbischen System, das pausenlos und bedingungslos nach Belohnung verlangt und unser Denken beeinflusst. Wenn ich glaube, dass ich schlechte Essgewohnheiten habe, muss ich mich alternativ belohnen. Statt zum Beispiel nach einer Anspannung Schokolade zu essen oder einen Wein aufzumachen, könnten Sie sich auch aufs Bett legen und schöne Musik hören oder spazieren gehen. Überlegen Sie, wie sich alternativ belohnen können.

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