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Greta Silver, 72„Junge sollten ihr Leben leben, wir Alten passen auf uns selbst auf“

Lesezeit 7 Minuten
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Greta Silver ist Youtuberin, Model und Autorin.

  1. Greta Silver hat sich mit Mitte 60 beruflich nochmal völlig neu erfunden. Heute ist sie erfolgreiche Youtuberin, Model und Autorin.
  2. Dass das Alter so vielen Menschen Angst macht, amüsiert die 72-jährige.
  3. Im Interview erzählt sie, wie sie gelernt hat, die Furcht vor dem Alter zu verlieren und die Neugier beibehält, Neues zu entdecken.

KölnFrau Silver, Sie haben mit Mitte 60 beruflich nochmal durchgestartet. Sie sind Model, Autorin, Youtuberin, haben einen eigenen Podcast und halten Vorträge darüber, dass Altwerden nicht automatisch den Rückzug aus dem aktiven Leben bedeutet. Haben Sie den Eindruck, dass wir das Alter grundlegend missverstehen?

Greta Silver: Ja. Aber das habe ich ja auch selbst getan. Als ich 17 war, dachte ich, mit 35 ist der Schmelz dahin. Dann würde ich Familie und einen Beruf haben und alles läuft bis zum Lebensende in denselben Bahnen. Dann bin ich selbst 35 geworden und das war gar nicht so schlimm. Ich habe immer darauf gewartet, dass diese allgemeine Vorstellung vom Alter wahr wird. Wurde sie aber auch mit 60 nicht. Plötzlich war mir klar: Die Zeit zwischen 60 und 90 ist genauso lang wie zwischen 30 und 60. Da geht noch was. Das war wie eine Erlösung. Ich amüsiere mich darüber, dass diese simple Rechnung keiner im Kopf hat.

Was fehlt denn Ihrer Meinung nach, um diese Zeit anders auskosten zu können?

Silver: Uns ist das Selbstbewusstsein verloren gegangen. Viele klappen das Buch zu. Wenn sie einen Rollator brauchen, heißt es, jetzt bin ich alt und kann nichts mehr machen. Ich meine, Helmut Schmidt saß im Rollstuhl, was aber kaum einer wahrgenommen hat, weil er so aktiv war. Wir alle, alle Alten, haben so viel Lebens-Know-How, haben Krisen durchlebt und daraus gelernt. Darauf können wir stolz sein. Das Letzte, was wir tun müssen, ist, uns des Alters zu schämen.

Sind Sie schon mal wegen Ihrer eklatant vitalen Art angeeckt?

Silver: Weil ich andere alt aussehen lasse?

Ja, vielleicht.

Silver: Ein junger Mann fragte mich mal, was ich Alte bei Youtube mache. Dir zeigen, was man im Alter noch so machen kann, habe ich geantwortet. Ansonsten weiß ich natürlich, dass man über mich spricht. Nach dem Motto: Was die macht, wäre mir viel zu anstrengend. Ist doch fein. Muss ja nicht jeder einen Youtube-Kanal eröffnen. Ich möchte ja nur verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, Mut machen und Kraft geben.

Woher nehmen Sie denn die Energie?

Silver: Wissen Sie, ich habe losgelassen, verziehen, bin mit mir im Reinen. Ich habe Frieden geschlossen mit allen traurigen und schwierigen Dingen, die mir widerfahren sind. Sie haben mich zu der Person gemacht, die ich bin. Das so zu sehen, braucht Zeit. Darüber wird man älter. Aber es führt eben zu keinem bemitleidenswerten Zustand. Aus dieser Gelassenheit kann man eine Menge Energie ziehen. Aber was machen wir? Wir halten uns oft an Albernheiten fest, gucken auf graue Haare oder Falten. Wir schauen fast mitleidig auf Frauen: Jetzt wird die 60, und das war doch mal so ein tolle Frau.

Sie haben nie Probleme gehabt, zu Ihrem Alter zu stehen?

Silver: Ich habe in der Tat früher herumgeeiert, um nicht das Wort „Alter“ zu erwähnen. Jetzt begreife ich das Alter als Gütezeichen und posaune laut heraus, dass ich 72 Jahre alt bin. Ich erfahre viel Resonanz und Dankbarkeit. Viele sind froh, dass sie nicht in Sack und Asche rumlaufen müssen, sondern auch weiterhin die Welt erobern dürfen.

Das klingt nach großen Plänen.

Silver: Ich bin ja selber so fasziniert von meiner Entwicklung. Ich war ja eine ganz normale, gesellschaftlich angepasste Frau und Mutter. Nicht unglücklich, aber dachte, so ist das Leben. Ich hatte ja keine Ahnung. Dass ich einmal Bücher schreiben würde, hätte ich mir nie träumen lassen. So weiß ich auch jetzt nicht, was vielleicht mit 80 ist. An meinen Geburtstagen stehe ich am Fenster und denke, das nächste Jahr wird noch toller.

Das klingt nach einer einfachen Entscheidung. Aber Sie haben offenbar auch das Glück, mit dem richtigen Gemüt und guter Gesundheit ausgestattet zu sein.

Silver: Ja. Es ist beides. Alles andere wäre ja überheblich. Man kann natürlich etwas für seine Gesundheit tun, kann Sport treiben, sich gut ernähren, Stress vermeiden. Und man kann auf Krankheiten unterschiedlich reagieren. Nehme ich gegen Magenschmerzen Tabletten oder frage ich mich, ob das nicht auch mit meinem seelischen Zustand zusammenhängt. Dann muss ich etwas ändern und in die Eigenverantwortung gehen. Das ist in der Tat anstrengend, aber lohnend. Ich habe übrigens auch viel aus Begegnungen mit tatsächlich sehr kranken Menschen gelernt. Sich gegen Unabänderliches zu stemmen, kann viel schmerzhafter sein, als es anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Ich schaue immer auf das, was geht.

Was in jede Lebensphase passt.

Silver: Ja. Ich sage ja nicht, dass Alter das tollste ist. Jetzt ist immer die Zeit etwas zu machen. Ich möchte nicht später einer ungenutzten Zeit nachtrauern. Manche Menschen warten auf die Rente, weil sie dann anfangen wollen zu leben. Eine schlimme Verschwendung von Lebenszeit.

Man hat doch auch die Freiheit, nichts mehr machen zu wollen.

Silver: Natürlich! Wenn man damit zufrieden ist, ja. Wenn man aber darüber jammert, dass man die Bilder der Enkel nicht sieht, weil man WhatsApp nicht versteht – sollte man was dagegen tun. Zu jedem Hobby gehört immer irgendwas. Zum Stricken braucht man Wolle und Nadeln. Wenn ich mit Enkeln kommunizieren will, dann brauche ich ein Endgerät. Es geht nicht darum, mitzuhalten, sondern um Dinge, die mich teilhaben lassen. Wenn es einem selbst gut geht, kann man die Welt aus den Angeln heben. Aber wir sind verpflichtet, uns selbst darum zu kümmern.

Wie egoistisch darf man da als Mutter und Großmutter sein?

Silver: Was meiner Meinung nach nicht mehr funktioniert, ist dieser Generationenvertrag. Berufstätige Eltern können nicht einfach über die Großeltern zum Babysitten verfügen. Auch die Alten sollen nicht automatisch Hilfe durch ihre Kinder einfordern. Verpflichtungen mit Mauligkeit zu machen oder mit schlechtem Gewissen anzunehmen, finde ich unmöglich. Das hat mir meine Mutter schon abgewöhnt. Nur weil ich für dich als Mutter da war, musst du dich nicht später um mich kümmern. Ich fühlte mich deshalb immer frei. Ich bin natürlich zu ihr gefahren und war für sie da. Aber mit Herzen.

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Greta Silver: Alt genug, um mich jung zu fühlen. Rowohlt Verlag, 16 Euro.

Wie reagieren Ihre Kinder darauf?

Silver: Meine Erfahrung ist, dass Kinder erleichtert sind, dass sie sich nicht um ihre Eltern kümmern müssen, weil die noch ihr eigenes Leben haben.

In der Corona-Krise treten die Alten vor allem als Risikogruppe in Erscheinung. Hat Sie das verletzlicher gemacht?

Silver: Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich finde es zauberhaft, dass die junge Generation alles auf sich nimmt, um uns Alte zu beschützen. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, es reicht doch, wenn wir auf uns selbst aufpassen. Lebt Ihr doch bitte euer Leben. Das Ganze hat mich noch dankbarer gemacht.

In Japan wird einmal im Jahr der Tag der Altenehrung gefeiert. Würde Ihnen das gefallen?

Silver: Alles was hilft, damit man anders übers Alter denkt, nehme ich mit Kusshand an! Nehmen wir den Jungen die Angst vorm Altern.

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Wie gehen Sie mit der Endlichkeit um?

Silver: Als Christo damals den Reichstag verhüllte, saß ich davor und dachte: Wow. Millionen Jahre vorher hat es das nicht gegeben und Millionen Jahre nachher wird es das nicht geben und ich darf das jetzt sehen. Und so empfinde ich im Alter jeden Tag. Gäbe es keine Endlichkeit, wäre der Augenblick nicht so kostbar.

Haben Sie keine Angst?

Silver: Ich bin einmal nachts von einem Knall aufgewacht und dachte, das war es jetzt. Einbrecher, Messer, es ist vorbei. Am nächsten Tag stellte ich fest: Auf dem Balkon war ein Brett umgefallen. Mehr nicht. Und da war mir klar. Es waren nur Gedanken in meinem Kopf, die mich fertig gemacht haben. Es gibt ein tolles Zitat von Mark Twain.

Nämlich?

Silver: „Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt, aber zum Glück ist das meiste davon nie passiert.“ Ich muss nicht alles denken, was sich in meinem Kopf breit machen will. Ich kann Dinge da rausschmeißen. Ich nenne das Gedankendisziplin. Und das ist für mich Freiheit.