Alters-Forscher erklärtWas jeder tun kann, um langsamer zu altern und fit zu bleiben
- Genetiker David Sinclair gilt als einer der weltweit berühmtesten Forscher über das Altern.
- Er hat eine Vision: Menschen können auch im hohen Alter noch fit und gesund sein.
- Wie das gehen soll, und was man im Alltag tun kann, um langsamer zu altern, erklärt er im Interview. Eine bestimmte Ernährung spielt dabei ebenso eine Rolle wie etwa die Raumtemperatur.
Professor Sinclair, Sie gelten als einer der weltweit berühmtesten Forscher über das Altern. Was tun denn Sie persönlich für Ihre Gesundheit, was tun Sie um weiter fit und produktiv zu bleiben? Und um also weniger schnell zu altern?
Ich versuche, weniger häufig zu essen. Ich nehme ein oder zwei Mahlzeiten am Tag zu mir, nicht drei. Meistens überschlage ich aufgrund meines vollen Terminkalenders das Mittagessen. Und ich esse mehr Gemüse und vermeide es, andere Säugetiere zu verzehren. Zucker, Brot und Nudeln meide ich soweit wie möglich. Desserts habe ich schon lange aufgegeben. Es sind Dinge, die ich für mich mache, sie müssen nicht zwangsläufig auch für Sie gut sein.
Und Sport?
Ich verbringe am Wochenende drei Stunden in einem Fitness-Studio mit meinem Sohn: Gewichte heben, joggen, Sauna steht auch auf dem Programm. Jeden Tag versuche ich, so viele Stufen wie möglich zu steigen. Zudem schlafe ich in kalten Räumen. So versuche ich, meine Risiko-Gene zu deaktivieren, woran wir gerade forschen.
Also Frieren, hungern, körperliche Arbeit hilft – reicht denn nicht das berühmte Glas Rotwein aus, um langsamer zu altern?
Wohl eher nicht. Man würde mehr als 100 Glas Wein benötigen, um einen entsprechenden Effekt zu erzielen. Pro Tag. Dennoch trinke auch ich Rotwein, der viele gesundheitsfördernde Moleküle besitzt. Aber er hilft nicht dabei, langsamer zu altern.
Also sollten Menschen mehr Avocados und Broccoli essen?
Gemüse hilft immer. Ich habe nicht an Avocados und Broccoli geforscht, aber pflanzliche Nahrungsmittel sind erwiesener Maßen besser für ein gesundes Leben als der Verzehr von Fleisch.
Und was ist der Schlüssel für ein langes Leben?
Es ist eine lange Liste, über die ich im Buch geschrieben habe. Die einfachste Sache von allen ist – und vor allem kostet sie nichts: Essen Sie nicht so oft, nehmen Sie weniger Kalorien zu sich!
Sie haben mit Molekülen wie NMN und NMA+ geforscht. Was haben sie für eine Bedeutung?
Das sind Moleküle, die wir in der körpereigenen Abwehr aktivieren gegen Krankheiten und gegen das Altern. Es gibt bestimmte Gene in uns, die Risiko-Gene sind. Diese Moleküle beeinflussen diese Gene. Man kann das dadurch steuern, in dem man zum Beispiel hungrig ist. Und sie schützen gegen das Altern. Ich forsche an diesen Molekülen, würde aber nicht sagen, dass dies schon bei Menschen funktionieren würde. Den Beweis habe ich noch nicht erbracht.
Sie erklären, dass wir uns an einem Moment der Revolution in Bezug auf das Altern befinden. Das Problem scheint zu sein, dass die Menschen im Alter von 120 Jahren nicht besonders fit sein könnten. Was können wir also tun, um auch dann eine gute Konstitution zu haben?
Das Ziel meiner Forschung ist nicht einfach ,dass die Menschen älter werden, sondern sie gesünder zu machen. Wir versuchen etwa zu verhindern, dass sie Krebs und andere Krankheiten bekommen. Es geht um eine verlängerte vitale Lebenszeit. Denn ob wir die Lebensdauer verlängern können spielt keine Rolle, wenn wir nicht im gleichen Maße auch die Dauer der Gesundheit verlängern.
Worin unterscheidet sich dann ihre Forschung von anderen Medizinern?
Sie unterscheidet sich da gar nicht so sehr. Was ich unternehme ist, an den Ursachen von diesen Krankheiten zu forschen, und nicht nur die Symptome zu behandeln. Meine Hoffnung ist es, dass die Menschen, wenn sie sich in ihren 80er oder 90er Jahren befinden, deutlich gesünder und fitter in diesem Alter sind. Um das zu realisieren, versuche ich herauszufinden: Warum altern wir? Und wie kann man es verhindern, dass wir diese Krankheiten im Altern bekommen, welche die meisten Menschen auf dieser Welt töten? Wenn wir die Gründe hierfür erkennen, können wir auch die Krankheiten besiegen, unter denen so viele Menschen in der Welt leiden.
Welche Ursachen des Alterns gibt es denn?
Es gibt insgesamt acht oder neun Zeichen für das Älterwerden, wie etwa Erschöpfung der Stammzellen, Instabilität des Genoms, was durch DNA-Schäden verursacht wird, Abnutzung der Telomere, also der Enden von Chromosomen. Wenn man sich um diese Alterszeichen kümmert, kann man die Alterung verlangsamen und Krankheiten verhindern. Das ist die Grundlage für ein gesünderes und längeres Leben. Verlangsamen wir diese Prozesse, stehen uns einige zusätzliche Jahre des Wohlbefindens vorher.
Sie schreiben, dass es vor allem eine Ursache gibt.
Was ich im Buch sagen wollte, ist, dass eine Sache im Körper schiefläuft: Und das ist einfach ein Informationsverlust. Der Alterung liegt ein Überlebenszirkel zugrunde, womit sich die Zellen schützen. Er ist zugleich das Problem, weil dadurch Informationen verloren gehen, die die Zellen jung halten. Und dies kann all diese Sachen, die ich gerade beschrieben habe, verursachen. Ich meine damit nicht allein den Verlust von Informationen der DNA, denn diese Lebensmoleküle sind unfassbar robust. Ich meine den Verlust von analoger Information. Es geht um Merkmale, die erblich sind, jedoch nicht auf genetischem Weg weitergegeben werden.
Wenn Sie schreiben, dass es eine direkte Verbindung zwischen Kalorienreduzierung und der Deaktivierung der Gene gibt, können Sie das etwas näher erläutern?
Gene, die Krankheiten und Altern bekämpfen, werden durch bestimmte Mechanismen aktiviert. Wir haben herausgefunden, dass eine Diät eben hier eine entscheidende Rolle spielt wie auch Bewegung. Es sind bestimmte Informationen, die in unserer DNA stecken und durch Sport und reduzierte Kalorienzufuhr in Gang gesetzt werden können, um die Zellabwehr zu stärken.
Sie forschen hierfür an Mäusen. Lässt sich das überhaupt übertragen? Mäuse und Menschen funktionieren doch viel verschiedener als sich das die Forscher wünschen.
Mäuse und Menschen haben die gleichen Risikogene in ihrem Körper. Deshalb ist es so profund, dass wir einen Überlebensmechanismus gefunden haben, der uns gegen das Altern schützt. Es gibt natürlich unterschiedliche Effekte zwischen den Arten. Manches, das wir bei Menschen finden, kann andere Folgen bei anderen Lebewesen haben. Aber die Gene sind gleich, deshalb können wir durch die Forschung an Tieren viel lernen, was uns etwas über die Menschen erklärt. Die fundamentalen Ursachen des Alterns sind überall gleich – ob im Menschen, in der Maus oder in der Hefezelle. Deshalb lässt sich herausfinden, was funktioniert.
Wie lange ist denn der Weg von den Forschungen an Tieren bis zum Medikament, das vor dem Altern schützt?
Es gibt zurzeit zehn Unternehmen, die sich damit beschäftigen, das Altern zu verlangsamen und zugleich Krankheiten zu bekämpfen. Ich hoffe, dass eines davon in den nächsten fünf Jahren damit erfolgreich sein wird. Ich weiß natürlich nicht, welches von ihnen. Es könnte meine Arbeit sein, die es ist, oder die eines anderen. In meiner Forschung werden im nächsten Jahr drei Sachen in die Testphase gehen. Wenn es funktionieren sollte, wir also Beweise dafür haben, dass es sicher für Menschen ist, können wir die erforderlichen Studien am Menschen vornehmen.
Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass Altern eine Krankheit ist?
Mehr als 50 Prozent sind davon betroffen. Es hat genau die Charakteristiken, die für Krankheiten gelten. Es schränkt Funktionen ein, mindert die Lebensqualität und es tritt mit einem bestimmten Krankheitsbild in Erscheinung. Damit sind alle Kriterien für das erfüllt, was wir Krankheit nennen. Im Vergleich zum Altern spielt kaum etwas anderes eine Rolle. Die Definition von Krankheit ist aber daran gebunden, dass weniger als 50 Prozent davon betroffen sind. Doch nur, weil mehr als 50 Prozent Menschen davon betroffen sind, kann man es doch nicht einfach ignorieren. Und das Altern erzeugt mehr Leid als andere Krankheiten. Deshalb müssen wir uns doch noch mehr darauf fokussieren und das Altern für eine Krankheit halten. Die Weltgesundheitsorganisation hat es bereits so beschrieben. Und ich glaube, dass man es behandeln kann, sogar noch zu unseren Lebzeiten. Es wird einen grundlegenden Wandel unseres Wissens über die Gesundheit der Menschen nach sich ziehen. Für alle Menschen ist das Altern ein Risikofaktor.
Was bringt es, wenn man das Altern als Krankheit anerkennt?
Dann würden Ärzte in die Lage versetzt, Medikamente zu verschreiben, die das Altern verlangsamen. Bislang verschreiben Ärzte für das Altern keine Medizin wie im Falle von Krebs oder anderen schweren Erkrankungen, weil das Altern eben nicht als Krankheit anerkannt wird. Die Anerkennung als Krankheit würde einen immensen Einfluss auf die Welt haben, wenn diese Definition verändert würde.
Aber es gibt bislang keine Regierung auf der Welt, die daran denken würde.
Sie ziehen es definitiv in Betracht, es gibt starke Diskussionen vor allem hier in den Vereinigten Staaten darüber, das Altern als medizinische Erkrankung anzusehen. Aber es stimmt, dass es bislang noch niemand getan hat.
Wo steht denn Ihre Forschung zurzeit?
Die Altersforschung ist heute in einer ähnlichen Phase wie die Krebsforschung zu Beginn der 1960er Jahre. Das bedeutet, dass wir wissen, wie die Alterung aussieht, was ihre Ursachen sind und wie man sie eingrenzen kann. Und es sieht gut aus. Sie zu bekämpfen ist einfacher als die Heilung von Krebs.
Wenn wir älter und älter werden, leben auch mehr Menschen auf dem Planeten. Wie soll das gehen in Zeiten des Klimawandels? Ist es also möglich, dass viele Menschen im Alter von 120 und mehr auf dem Planeten leben können?
Ja, das ist möglich. Denn die Population insgesamt wird nicht wachsen. Denn die Geburtenraten sinken ja, schauen Sie Ihr Land an. Sie ist jetzt vor allem wegen der Migranten angewachsen. Länder wie Deutschland und Japan brauchen mehr Menschen. Außerdem machen sich die Menschen zu viele Sorgen um die Größe der Weltbevölkerung und übersehen dabei, dass vor allem der Konsum doppelt so stark für den Druck auf Ressourcen und Ökosysteme verantwortlich ist wie das Bevölkerungswachstum. Die Herausforderung ist nicht, was wir mit all den Menschen anfangen sollen, sondern die Menschen gesünder zu machen und so die Gesundheitskosten auf der ganzen Welt zu reduzieren. Das sind zehn Billionen Dollar.
Viel Geld also!
Mit diesem Geld können wir dann ganz andere Ziele verfolgen. Eine bessere Bildung etwa, die Mittel gegen die Erderwärmung einsetzen. Ich wüsste nicht, wo man so viel Geld sonst herholen könnte, um dem Planeten zu helfen, anstatt ihn weiter zu vermüllen. Deshalb will ich das Altern in Angriff nehmen.
Was wird schneller besiegt werden: Krebs oder das Altern?
Krebs ist wahrscheinlicher. Aber: das Altern zu bekämpfen und zu verlangsamen ist viel einfacher. Einfach weil wir recht gut verstehen, was es verursacht. Wenn wir so viel Geld in die Altersforschung stecken würden wie in die Krebsforschung, würden wir das Altern viel schneller als den Krebs bekämpfen können. Würden wir den Krebs besiegen oder Herzkrankheiten, würde das die Lebenserwartung vielleicht im ersten Fall um zwei Jahre, im zweiten um weniger als zwei Jahre verlängern. Doch das Altern erhöht das Krebsrisiko um das Tausendfache im Zeitraum von 20 bis 70 Jahre. Deshalb müssen wir das Altern angehen.
In welchem Land leben eigentlich die gesündesten Menschen. In Japan? Da werden die Menschen doch besonders alt.
Japan ist sehr interessant. Andere Länder in der Welt sind die USA, Australien, Israel und Großbritannien sowie Singapur.
Stehen wir am Beginn einer großen biotechnologischen Revolution, nicht nur was das Altern angeht?
Absolut ja. Wir leben bereits in dieser neuen Ära. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Biologie sein. Alles andere wird wie eine Fußnote wirken im Vergleich zu dem, was die Biologie am Ende des Jahrhunderts alles erreicht haben wird.
Werden die Menschen immer noch so sein wie jetzt in ihrer Konstitution? Die künstliche Intelligenz könnte uns in die Quere kommen.
Die künstliche Intelligenz hilft uns dabei, Entscheidungen zu treffen. Wir wissen zurzeit mehr über die Armaturenleiste unserer Autos als was in unserem Körper vorgeht, aber das wird sich schnell ändern. Wir werden genau wissen, wie unser Blutdruck ist, wie unser Herz funktioniert usw. Das alles wird kommen. Ich weiß, was in meinem Körper vor sich geht. Aber in Zukunft werden das auch die meisten anderen Menschen wissen. Die Vorstellung, dass man nur einmal im Jahr für einen Check-up zum Arzt geht, wird wie aus dem Mittelalter wirken.
Was denken Sie über die Transhumanisten, die ja einen neuen Menschen schaffen wollen, eine Art Übermensch?
Es ist interessant, was sie diskutieren. Aber ich konzentriere mich auf Medizin und versuche nicht, zu spekulativ zu sein. Ich blicke auf die nächsten zehn Jahre und nicht darauf, was in 100 Jahren ist. Und: Nein, ich bin kein Transhumanist. Ich bin nur ein Wissenschaftler.
Ist der Mensch, der 150 Jahre und älter wird, bereits geboren?
Ich sage nicht, dass jeder 150 Jahre alt werden kann. Dennoch gibt es die Möglichkeit, dass dieser Mensch bereits existiert. Mir geht es darum, dass die Menschen unter 100 gut leben, gesund leben.
Das Gespräch führte Michael Hesse
Zur Person
David Andrew Sinclair ist ein australischer Biologe und Professor für Genetik, der sich auf die Erforschung von Alterungsprozessen spezialisiert hat. Er ist seit 2005 Direktor der Paul-F.-Glenn-Laboratorien zur Aufklärung der biologischen Mechanismen des Alterns an der Harvard Medical School (HMS). Im Oktober erschien im DuMont Buchverlag sein Buch „Das Ende des Altern“.
Zum Buch: David A. Sinclair, Matthew D. LaPlante, et al: „Das Ende des Alterns: Die revolutionäre Medizin von morgen“,512 S., DuMont Buchverlag, 26 Euro.