Anti-Weizen-WelleWie ungesund ist Brot wirklich?

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Brot macht dick und dumm – zumindest wenn man amerikanischen Wissenschaftlern Glauben schenkt, die derzeit mit ihren Büchern die Bestseller-Listen stürmen. Der Kardiologe William Davis aus Wisconsin etwa behauptet, Weizen mache süchtig und sei hauptverantwortlich für Adipositas. Sein Kollege David Perlmutter, Neurologe und Ernährungsmediziner (laut Klappentext der einzige mit dieser Doppelqualifikation in den USA), sieht in andauerndem Weizenkonsum sogar den Hauptauslöser für Alzheimer und eine ganze Liste von Krankheitsbildern, von ADHS über Diabetes bis zum Tourette-Syndrom. Sein Buch „Dumm wie Brot“ trägt den bedrohlichen Untertitel „Wie Weizen schleichend Ihr Gehirn zerstört“.
Tatsächlich ist der Weizenverbrauch pro Kopf in Deutschland höher als in den USA. Laut statistischem Bundesamt verzehrten die Bundesbürger 85,4 Kilogramm Weizenprodukte, die US-Amerikaner brachten es auf 79,5 Kilogramm. Die Tendenz ist dort seit 2008 fallend. Für die steigende Brotfeindlichkeit in den USA gibt es jedoch keine medizinisch belastbaren Hinweise.
Vermehrte Krankheitsfälle in südlichen Ländern
„Davis verkündet Halbwahrheiten, die aus dem Kontext genommen werden, um steile Hypothesen zu formulieren, die auf nichts anderes hinauslaufen als die altbekannte Low-Carb-Diät, nur auf Weizen gemünzt“, sagt Detlef Schuppan, Professor für Gastroenterologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, der mit seinem Team zum Thema Weizensensitivität forscht.
Welche Reaktionen Weizen im Körper hervorrufen kann und über den Zusammenhang zwischen dem Klebereiweiß Gluten und den Krankheitsbildern Zöliakie und Glutensensitivität spricht Professor Wolfgang Holtmeier, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, Diabetologie und Innere Medizin am Krankenhaus Porz, im Anti-Diät-Club.
Zeit: Dienstag, 1. Juli, 19 Uhr (Einlass 18.30 Uhr)
Ort: studio dumont, Breite Straße 72, 50667 Köln
Preis: 7,50 Euro, Anti-Diät-Club-Mitglieder zahlen 5 Euro.
Karten gibt es nur an der Abendkasse.
Versicherte der Pronova BKK erhalten 500 Bonuspunkte für den Besuch der Veranstaltung.
Auch an Perlmutters Buch lässt Schuppan kein gutes Haar: Dass eine zu kohlenhydratreiche Ernährung langfristig zu zerebralen Erkrankungen wie Alzheimer führen kann, sei eine Binsenweisheit, und dem Weizen allein die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben sei allemal zu einfach, wenn nicht fahrlässig.
Selbstverständlich gibt es anerkannte Krankheitsbilder, die mit dem Verzehr von Getreideprodukten in Verbindung stehen. Am bekanntesten ist die Zöliakie, die eine Autoimmunreaktion auf das in Weizen und anderen Getreidesorten befindliche Klebereiweiß Gluten ist. „Davon sind in Deutschland gerade mal 0,5 Prozent der Bevölkerung betroffen. In Ländern wie Spanien und Frankreich sind es ein Prozent“, sagt Schuppan, der den höheren Weißbrot- oder Pasta-Anteil an der Ernährung in südlichen Ländern für den höheren Prozentsatz verantwortlich macht. Mit der Zöliakie geht eine Entzündung des Darms einher. Symptome sind häufig Durchfall, Blähungen, Bauschmerzen. Die Diagnose ist per Bluttest und der Analyse einer Gewebeprobe aus der Darmschleimhaut eindeutig möglich. Schuppan selbst hat den Test mit seinem Team im Jahr 1997 entwickelt, dabei werden Antikörper auf das Eiweiß Transglutaminase nachgewiesen.
Bluttests zur zweifelsfreien Aufklärung
Daneben gibt es Allergien gegen bestimmte Nahrungsmittel, auch gegen Getreide, die durch entsprechende Tests oder Ausschlussernährung nachweisbar sind. Weniger eindeutig ist die Diagnose bei der dritten Gruppe, die derzeit oft unter dem Sammelbegriff Glutensensitivität diskutiert wird. Patienten klagen über ähnliche Symptome wie bei einer Zöliakie, aber auch über Beschwerden, die nicht primär mit dem Darm in Verbindung gebracht werden können. Vorsichtshalber verzichten viele Betroffene auf Getreideprodukte. Gehen die Beschwerden weg, war wohl das Gluten schuld.
Detlef Schuppans Forschungen deuten jedoch daraufhin, dass andere Bestandteile im Weizen die Ursache für die Beschwerden sein können. Es handelt sich hierbei um das Weizenprotein Amylase-Trypsin-Inhibitor (ATI) von dem jeder deutsche Brotesser durchschnittlich täglich 1,5 bis 2 Gramm zu sich nimmt. Durch Züchtungen, die den Weizen resistenter gegen Schädlingsbefall machen sollen, habe sich unter anderem der ATI-Gehalt des Getreides in den vergangenen Jahren erhöht. „Dieses Eiweiß, das wir durch unsere Forschungen an der Harvard Medical School als Auslöser entdeckt haben, kann die Immunabwehr stimulieren und so für eine Reihe von Beschwerden verantwortlich sein, etwa entzündliche Erkrankungen im Darm, aber auch außerhalb des Darms, wie etwa Rheuma oder entzündliche Nervenerkrankungen.“
Bisher helfe bei einer vermuteten Weizensensitivität nur eine Ausschluss-Diät. Fazit des Forschers: Nicht jeder, der Bauchschmerzen hat, hat ein Problem mit glutenhaltigen Getreiden, aber Patienten mit unerklärlichen entzündlichen Erkrankungen könnten an einer Weizenunverträglichkeit leiden, die auf bestimmte Inhaltsstoffe wie ATIs zurückzuführen sind, insbesondere wenn sich die Beschwerden unter glutenfreier Ernährung bessern. „Wir arbeiten an der Entwicklung von Bluttests, die die Ursache der Beschwerden, zweifelsfrei klären“, so Schuppan.
Vorsicht beim Kauf von Aufbackbrot
Prophylaktisch auf Brot zu verzichten, wie es die Amerikaner Davis und Perlmutter empfehlen, ist aus wissenschaftlicher Sicht wenig sinnvoll. Zumal Brot in Deutschland immer noch das Grundnahrungsmittel Nummer eins ist. Der Deutsche liebt sein Abendbrot, der Bayer hält seine Brotzeit hoch – und das mit Recht.
„Brot ist immer noch unsere Hauptquelle für Ballaststoffe und B-Vitamine. Wer ganz auf Brot verzichtet, müsste am Tag mindestens ein Kilo Gemüse essen, um den Mangel auszugleichen“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Gerta van Oost aus Dormagen. Andererseits hat sie auch Patienten, bei denen die Vorliebe für Weißbrot eine Ursache für Übergewicht ist. Hier gelte es dann die Ernährung umzustellen. „Es ist natürlich auch immer eine Frage des richtigen Maßes. Doch das haben viele Menschen verloren. Das hat aber mit dem Gluten nichts zu tun.“
Wer dem Gluten dennoch, nicht über den Weg traut, sollte sich von Discount-Bäckereien und Aufbackbrot fernhalten. Denn hier werde Gluten in hohem Maße zugesetzt, um den Backerfolg zu garantieren. „Man muss aufpassen, was man kauft“, rät Karen Nespethal, Ernährungsberaterin aus Köln. Am besten geeignet sei gutes Vollkornbrot mit Hafer, Gerste oder Dinkel. Wer tatsächlich Probleme mit dem Gluten habe, könne es auch mit Haferflocken versuchen, denn Hafer enthalte wenig Gluten. Von Perlmutters Brot-Ersatz-Diät, die hauptsächlich aus viel Rindfleisch besteht, kann Nespethal nur warnen: „Dass der Verzehr von viel rotem Fleisch das Darmkrebsrisiko erhöht, haben zahlreiche Studien belegt.“