Immer mehr Mütter haben laut Müttergenesungswerk Burn-out-Erscheinungen. Was macht sie krank? Ein Besuch in einer Mutter-Kind-Klinik.
„Warum schaffe ich das nicht?“Erschöpft, überlastet, ständig müde – Warum immer mehr Mütter an Burn-out leiden

Zerrieben im Alltag zwischen Job, Kindern und Haushalt? Im „Haus Daheim“ in Bad Harzburg können gestresste Mütter Ruhe finden. .
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„Ihr müsst nicht immer funktionieren.“ Es ist diese Botschaft, die Maike Kunze* auch anderen, vor allem jüngeren Müttern mitgeben will. 42 Jahre ist sie alt, selbst Mutter zweier Kinder, dazu nahezu Vollzeit im Finanzwesen beschäftigt. Wer sie trifft, erlebt eine wortgewandte, selbstsicher wirkende Frau. Sie habe immer Kinder haben und arbeiten wollen, sagt Kunze. Man würde es ihr sofort abnehmen, dass sie eine perfekte, berufstätige Mutter ist.
Doch der Schein trügt. An diesem Tag sitzt Kunze mit zwei weiteren Frauen im niedersächsischen Bad Harzburg in der Mutter-Kind-Klinik „Haus Daheim“ in einem gemütlichen kleinen Büro, um darüber zu reden, warum moderne Mütter oft so überlastet vom Alltag sind.
Kunze selbst musste mühevoll lernen, sich ihre Überforderung einzugestehen. „Unsere Gesellschaft spiegelt uns immer noch: Wer es nicht schafft, ist ein Loser“, sagt sie. Selbst unter Müttern werde die eigene Überlastung häufig totgeschwiegen.
Krankschreibung mit schlechtem Gewissen
Auch Clara Leibold weiß, wie stark der Druck sein kann, den gesellschaftlichen und den eigenen Ansprüchen zu genügen. Die 38-Jährige, ebenfalls Mutter zweier Kinder, ist in der Computerbranche tätig, einer Männerdomäne: „Ich hatte auf der Arbeit sowieso ständig das Gefühl, dass ich mich mehr als die anderen beweisen muss“, sagt sie. Jede Krankschreibung sei mit schlechtem Gewissen gegenüber dem Arbeitgeber verbunden gewesen, jede Mehrarbeit mit dem Gefühl, der Familie nicht gerecht zu werden.
Irgendwann habe sie sich nur noch müde und erschöpft gefühlt. Zwischendurch schnellte ihr Puls wie aus dem Nichts auf 160 Schläge pro Minute. „Am Ende hat mich sogar schon die bloße Frage überfordert, was ich zum Abendessen kochen soll“, berichtet Leibold. „Warum schaffe ausgerechnet ich das alles nicht mehr?“, fragt sie sich.
Eine Auszeit nimmt sie nicht: aus Angst, als Versagerin zu gelten. „Ich bin nicht freiwillig hierhergekommen“, sagt sie noch jetzt über ihre Kur im „Haus Daheim“ – und Tränen steigen ihr in die Augen. Aber nach einem kompletten Zusammenbruch habe es keine Alternative mehr gegeben.
Perfektionsdruck treibt Mütter an Grenzen
Kunze und Leibold gehören zu einer Generation von Frauen, von der man hoffen könnte, dass es ihr besser geht als der ihrer Mütter und Großmütter. Frauen, die Kinder und Beruf vereinbaren wollen, sind heute nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Kindergartenplätze sind nicht mehr so rar wie ehedem. Zudem sind die Plätze in den meisten Bundesländern inzwischen kostenfrei. Ausnahmen gibt es nur in wenigen Regionen.
So zahlen die Menschen in Sachsen-Anhalt nur für das älteste Kind die Betreuungskosten. Zum 1. Januar 2027 werden auch im letzten verbliebenen Bundesland – dem Saarland – die Elternbeiträge vollständig abgeschafft.
Einjährige in die Krippe zu geben – vor noch nicht allzu langer Zeit ein Garant für das Etikett „Rabenmutter“ – ist gesellschaftlich akzeptiert. Als Konsequenz der vermeintlich leichter gewordenen Vereinbarkeit von Kind und Beruf ist heute aber offenbar eine Perfektion gefordert, die vor allem Mütter über ihre Belastungsgrenzen treibt.
Zahl überlasteter Mütter steigt
Das registriert vor allem eine Einrichtung, die sich seit 75 Jahren um erschöpfte Mütter kümmert: das Müttergenesungswerk (MGW). Rund 50.000 Mütter (und rund 71.000 Kinder) haben 2023 eine Kur in einer der mehr als 70 Kliniken im Verbund des MGW gemacht. Die Zahl steigt: Vor der Pandemie 2019 waren es noch nur 47.000 Mütter und 70.000 Kinder.
Auch der Anteil der Väter, die eine der stationären medizinischen Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen des MGW in Anspruch nehmen, nimmt stetig zu – ist aber gegenüber dem der Mütter immer noch sehr gering: 3000 Väter waren es 2023, 2100 im Jahr 2019.
Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinsituts Forsa im Frühjahr 2024 zeigt: Viele Eltern empfinden ein hohes Stresslevel. Fast 70 Prozent fühlen sich demnach infolge hoher Belastungen mitunter erschöpft oder ausgebrannt, etwa 40 Prozent waren in stressigen Situationen schon einmal niedergedrückt oder depressiv. 2019 lagen die Anteile mit 55 beziehungsweise 22 Prozent noch deutlich darunter, wie es weiter hieß.
Zu den Stressfaktoren zählten neben der Erziehung und der Betreuung der Kinder vor allem gesellschaftliche Themen wie die politische Lage, der Klimawandel oder auch finanzielle Sorgen.
Lange Wartezeiten bei Kuren
Bedrückend ist: Die Nachfrage nach medizinischer Versorgung ist nach Angaben von Geschäftsführerin Rebekka Rupprecht mittlerweile so groß, dass das Müttergenesungswerk an Kapazitätsgrenzen stößt. Eine Folge sind Wartezeiten auf einen Kurplatz von bis zu mehr als einem Jahr. „Das ist sehr ungut, wenn die Frauen warten müssen“, sagt Rupprecht: „Sie kommen ja nicht in die Kurmaßnahme, um Urlaub zu machen, sondern weil sie behandlungsbedürftige, gesundheitliche Probleme haben, die sich in der Wartezeit noch verschärfen.“
Dabei ist die Liste der Indikationen überlasteter Frauen lang. Erschöpfungszustände bis zum Burn-out, Angst-, Schlaf- oder Essstörungen, depressive Episoden, ständige Kopf- oder Rückenschmerzen nennt Rupprecht beispielsweise. Umso bedrückender sei es, dass die Notwendigkeit, endlich grundlegend etwas gegen die Überlastung von Frauen zu tun, in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch nicht angekommen sei. „Die Erschöpfung der Mütter wird immer noch viel zu häufig lediglich als eine Art Grundrauschen wahrgenommen“, sagt Rupprecht: „Mütter halten immer noch lautlos sehr viel aus, damit alles am Laufen bleibt.“
Müttergenesungswerk mit Demo in Berlin
Damit sich das ändert, hat das Müttergenesungswerk mit dem Evangelischen Fachverband für Frauengesundheit, dem Arbeitskreis Frauengesundheit und der Initiative #MütterMachtPolitik die Kampagne „100.000 Mütter“ ins Leben gerufen. Großes Finale war eine Demo in Berlin am 10. Mai, dem Tag vor dem Muttertag, für die rund 50 Verbände und Initiativen geworben hatten. „Frauen sind so massiv erschöpft und werden trotzdem weiter ausgebeutet“, klagt Antje Krause, eine der Initiatorinnen.
„Wir wollen auf fehlende Unterstützungsangebote aufmerksam machen“, sagt Krause. Die ungleiche Verteilung unbezahlter Care-Arbeit solle sichtbar gemacht werden, dazu gesellschaftliche Erwartungen, die oft in gesundheitlichen Problemen mündeten. Die 61-Jährige weiß, wovon sie spricht. Sie leitet das Bad Harzburger „Haus Daheim“. Erschöpfte Mütter habe es immer gegeben, sagt sie. Aber die Gründe hätten sich gewandelt. Vor allem der Anspruch, für die Kinder alles zu geben, sei deutlich gestiegen. Früher hätten zumindest ostdeutsche Frauen keine Schwierigkeiten gehabt, ihre Kinder abzugeben. „Dieser Unterschied“, sagt Krause trocken, „hat sich nivelliert“.
Für Lernerfolg der Kinder sind Mütter zuständig
Alle erwarteten zudem das beste Bildungsangebot für die Kinder. Die Verantwortung für den Lernerfolg aber würde den Müttern übertragen – häufig auch von den Schulen. Dazu türmten sich nach dem Job die Arbeiten im Haushalt: einkaufen, kochen, aufräumen, waschen. „Wenn der Tag rum ist, bin ich fix und fertig – und das nicht von meiner Arbeit. Die ist Erholung, Selbstverwirklichung für mich“, sagt Kunze. „Wir glauben, dass wir Wertschätzung bekommen, wenn wir uns verausgaben“, sagt Krause: „Das ist die Falle, in die wir tappen.“
Wie stark sich Mütter heutzutage verausgaben, oft sogar ohne es zu bemerken, wird an diesem Tag in Bad Harzburg überdeutlich. Carola Thomas, ebenfalls Mutter zweier Kinder, hat einen Vollzeitjob als Sozialarbeiterin, nebenbei bildet sie sich weiter und ist dazu freiberuflich tätig. Im Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass sie zudem an Multipler Sklerose leidet, einer Krankheit, von der man weiß, dass ein hoher Stresslevel schädlich ist. Leibold ist „nebenbei“ in der Kirche und im Sportverein der Kinder aktiv. Kunze kümmert sich auch um einen an Demenz erkrankten Angehörigen – und das, obwohl sie selbst zeitweise mit Depressionen kämpft.
„Ich wollte immer alles“, sagt Thomas: „Karriere und Kinder.“ Drei Wochen verbringt sie – wie alle Kurteilnehmerinnen – im „Haus Daheim“. Regelmäßige Gruppengespräche gibt es unter anderem, dazu Einzeltherapie, Sport, Krankengymnastik, Erziehungsberatung und Gemeinschaftsangebote für Mütter und Kinder. Die Klinik bietet eine Kinderbetreuung von 8.30 bis 15.30 Uhr an. Fernsehen gibt es nicht, auch das Nutzen des hauseigenen WLAN ist begrenzt. „Die Frauen sollen in eine Art Stille kommen, in einen Zustand der Langeweile, in dem im Kopf Raum für Neues entsteht“, sagt Krause.
Die Mütter profitierten zudem davon, sich auszutauschen, zu merken, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind. „Wir müssen nicht perfekt sein“ – Sätze wie diesen nimmt Maike Kunze aus der Kur mit. Carola Thomas will mit ihrer Weiterbildung pausieren, um mehr Zeit für die Kinder zu haben. Clara Leibold will aus demselben Grund ihre Arbeitszeit reduzieren. „Das wird problematisch, wenn es an die Rente geht“, sagt Antje Krause. Ihr Fazit ist: Am Ende muss es eine gleichberechtigtere Verteilung der Care-Arbeit geben.
Auf der Demonstration in Berlin war sie selbstverständlich zu finden.
*Die Namen aller Mütter sind aus Personenschutzgründen geändert
Dieser Artikel erschien zunächst in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).