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Biontech, Moderna, AstraZenacaKann man den ersten Corona-Impfstoffen vertrauen?

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Der Impfstoff von Biontech und Pfizer ist eine vielversprechender Kandidat. Er steht kurz vor der Zulassung. Wir erklären, wie er funktioniert – und wie sicher er ist.

Köln – Für viele Mediziner sind Impfstoffe die große Hoffnung im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Ohne sie wäre eine Herdenimmunität in Deutschland nur auf Kosten von Hunderttausenden Todesfällen denkbar. Und die Hoffnung scheint berechtigt: In Großbritannien wird bereits geimpft, in der EU stehen erste Zulassungen bevor und auch in Köln wird ein riesiges Impfzentrum errichtet. Doch nicht jeder wird die Mittel nutzen. Viele Menschen sind besorgt – denn die Mittel wurden ungewöhnlich schnell entwickelt. Außerdem werden Ende des Jahres wohl erstmals RNA-Impfstoffe zugelassen. Wie sicher ist das alles? Wir haben mit Medizinern gesprochen und beantworten die wichtigsten Fragen.

Für welche Impfstoffe wurde bereits eine Zulassung beantragt?

Die Unternehmen Biontech und Pfizer haben am 30. November eine Zulassung für ihren Impfstoff in der EU beantragt. Bis zum 29. Dezember stellt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) eine Entscheidung in Aussicht. Das US-Unternehmen Moderna hat am selben Tag die Zulassung für das eigene Mittel beantragt. Hier hält die EMA eine Entscheidung bis zum 12. Januar für möglich. Für beide Impfstoffe wurden Teile des Zulassungsantrages schon vorab eingereicht – auch deshalb ist mit einer vergleichsweise schnellen Zulassung zu rechnen. Bei beiden Mitteln handelt es sich um RNA-Impfstoffe, beide wirken den Phase-III-Studien zufolge mit 90-prozentiger Sicherheit.

Wie wird die Wirksamkeit berechnet?

In den Phase-III-Studien bekommt die Hälfte der Probanden den Impfstoff, die andere Hälfte ein Placebo. Dann wird beobachtet, wer sich mit dem Coronavirus infiziert. Aus der Verteilung der Infektionen ergibt sich die Wirksamkeit: Sind 90 Prozent der infizierten Studienteilnehmer Teil der Placebo-Gruppe, ist der Impfstoff zu 90 Prozent wirksam. Die bisherigen Ergebnisse sind nicht endgültig, Phase-III-Studien laufen weiterhin. Auch nach einer möglichen Zulassung werden Sicherheit und Wirksamkeit fortlaufend überprüft.

Welche Impfstoffe könnten folgen?

Auf einem guten Weg ist offenbar auch der Kandidat von Astra-Zenaca. Erste Ergebnisse sind vielversprechend: Eine Studie aus Großbritannien ergab eine Wirksamkeit von 90 Prozent. Einer zweiten, größeren Studie aus Brasilien zufolge liegt die Wirksamkeit bei nur 62 Prozent. Zulassungsanträge werden in Kürze erwartet. Die Kommunikation des Unternehmens wird von Experten kritisiert: Zum einen wurden beide Studien zusammengerechnet, sodass sich eine Wirksamkeit von 70 Prozent ergibt. Zum anderen wurde eine Panne bei der Dosierung zu vertuschen versucht. Dennoch gilt das Mittel als vielversprechend. Es handelt sich um einen sogenannten Vektor-Impfstoff.

Wie sicher ist der Kandidat von Astra-Zenaca?

„Die Vektor-Impfstoffe sind schon länger erprobt, insbesondere die Universität Oxford hat früh an diesem Typus gearbeitet“, sagt Professor Michael Hallek. Er leitet den Stab zur Pandemie-Bekämpfung an der Uniklinik Köln. Auch an der Entwicklung des derzeit erprobten Corona-Impfstoffes war die Universität Oxford entscheidend beteiligt. Es gebe „hier schon Erfahrungen im Einsatz gegen andere Coronaviren. Für diese Art des Impfstoffes wissen wir, dass Langzeit-Nebenwirkungen eher selten vorkommen.“ Auch die aktuellen Studiendaten belegen, dass unerwartete oder schwere Nebenwirkungen unwahrscheinlich sind.

Wie steht es bei den RNA-Impfstoffen um die Sicherheit?

Alle Studiendaten sprechen für eine hohe Sicherheit. Auch gelten RNA-Impfstoffe grundsätzlich als besonders risikoarm, da sie keine Virusbestandteile enthalten. Bislang wurden allerdings noch keine RNA-Impfstoffe zugelassen. „Zehntausende Menschen wurden pro Studie geimpft – und schwere oder unerwartete Nebenwirkungen wurden nicht festgestellt. Das sind klare Hinweise auf eine sehr gute Verträglichkeit“, sagt Michael Hallek. Allerdings fehlen Daten zu möglichen Langzeitwirkungen. Wie wahrscheinlich diese sind, könne man „nicht sicher sagen.“ Dennoch seien die Mittel „sehr vielversprechend“, so Hallek: „Wir müssen derzeit abwägen zwischen einem minimalen, theoretischen Risiko auf Langzeitfolgen und der Verhinderung von Todesfällen und schweren Erkrankungen durch gezielte Impfungen. Diese Abwägung fällt für mich klar in Richtung Impfstoff aus.“

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Professor Florian Klein, Leiter der Virologie an der Kölner Uniklinik, sieht das ähnlich: „Das ist ein neues Verfahren, über das wir selbstverständlich weniger wissen als über Impfstoff-Ansätze, die wir seit Jahrzehnten kennen.“ Die Erlaubnis aus Großbritannien ist „das erste Mal, dass ein solcher Impfstoff eine Zulassung erhalten hat.“ Das Risiko auf schwere Nebenwirkungen sei im Vergleich zu der Wahrscheinlichkeit, über eine Infektion schwer zu erkranken, dennoch minimal.

Wie genau funktionieren RNA-Impfstoffe?

Die Entwicklung von RNA-Impfstoffen ist hochkomplex – und relativ neu. Herkömmliche Impfstoffe enthalten geringe Mengen eines Erregers. Kommt der Körper mit ihnen in Berührung, produziert er Antikörper, ohne dabei zu erkranken. RNA-Impfstoffe hingegen lösen die Bildung der Antikörper nicht über einen Erreger aus. Sie bestehen aus Erbgut, das den Bauplan für die Proteine des Virus enthält (siehe Grafik).

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Diese Proteine sind die reine Hülle des Coronavirus, seine äußere Verkleidung auf mikrobiologischer Ebene. Diese Hülle wird nach der Impfung vom Körper selbst produziert. Der Körper erkennt in den selbst produzierten Protein-Hüllen fremde Coronaviren – und bildet Antikörper, obwohl das gefährliche Erbgut des Virus in den Hüllen nicht enthalten ist.

Können RNA-Impfstoffe das menschliche Erbgut verändern?

Nein. Menschliche Gene bestehen aus doppelsträngiger DNA, in die sich die einzelsträngige Viren-RNA des Impfstoffes nicht einbauen lässt. Dafür wären Enzyme nötig, die in menschlichen Körperzellen nicht vorkommen. Zudem kommen Boten-Nukleinsäuren, aus denen RNA-Impfstoffe bestehen, auch auf natürliche Weise in menschlichen Körperzellen vor. Sie sind ein normales Zwischenprodukt der menschlichen Zelle.

Besteht für Allergiker ein besonderes Risiko?

Zwei Personen, die am 8. Dezember in Großbritannien geimpft wurden, haben starke allergische Reaktionen gezeigt. Die Zulassungsbehörde in Großbritannien, die das Vakzin von Biontech/Pfizer in einer Notzulassung bewilligte, hat das am Mittwoch bekannt gegeben. Dass es zu allergischen Reaktionen kommen kann, war schon durch die Studien bekannt und wurde als erwartbare Nebenwirkungen gelistet. Nun wurde Menschen mit „signifikanten Allergien" auch offiziell von einer schnellen Impfung abgeraten.

Wann werden die ersten Corona-Impfungen in Deutschland durchgeführt?

Im besten Fall Ende Dezember. Darauf hofft Gesundheitsminister Jens Spahn. Eine EU-Zulassung, an der auch das deutsche Paul-Ehrlich-Institut beteiligt ist, würde aller Voraussicht nach den Startschuss bedeuten. In den Ländern und Kommunen bereiten sich die Behörden bereits auf die Durchführung der Impfungen vor. Auch die Stadt Köln plant bereits den logistischen Aufbau der Impfzentren.

Wie viele Menschen müssten sich impfen lassen, damit die Pandemie vorbei ist?

Experten gehen von 60 bis 70 Prozent aus. Das Virus wäre damit zwar nicht ausgerottet, aber die sogenannte Herdenimmunität wäre erreicht – die exponentielle Ausbreitung wäre also auch ohne Schutzmaßnahmen nicht mehr möglich.

Wie hoch ist die Impfbereitschaft in Deutschland?

Aktuellen Umfragen zufolge würde sich gut die Hälfte der Deutschen gegen das Coronavirus impfen lassen. Etwa ein Fünftel möchte sich nicht impfen lassen, rund 30 Prozent sind noch unentschlossen. „Nur wenige Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind wirkliche Impfgegner. Hier werden Fakten und eindeutige Daten nicht akzeptiert“, sagt Florian Klein. Daneben gebe es „aber einen etwas größeren Teil an Personen, die Impfungen gegenüber skeptisch oder verunsichert sind – für diese Menschen müssen wir gute und transparente Aufklärungsarbeit leisten.“

Wann ist die Herdenimmunität erreicht, falls sich genug Menschen impfen lassen möchten?

Erste Modellrechnungen gehen davon aus, dass im Dezember 2021 eine Herdenimmunität erreicht sein könnte. Sicher kann der Zeitpunkt nicht prognostiziert werden. Die Anzahl der täglichen Impfungen hängt nicht nur von der Impfbereitschaft, sondern auch von Produktion und Logistik ab. „Mit Prognosen muss man sehr vorsichtig sein“, sagt Michael Hallek, „doch durch eine Kombination aus Sommer, Impfstoff und umsichtigem Verhalten können wir es schaffen, in Deutschland in einem Jahr weniger als 1000 Neuinfektionen pro Tag zu haben.“ So könne das Virus langsam ausgetrocknet werden.