Folgt einer Corona-Infektion besonders häufig eine Immunschwäche? Die Kölner Infektiologin Clara Lehmann klärt auf.
Covid-19-FolgenMacht Corona die Menschen anfälliger für Infekte, Frau Lehmann?
Frau Lehmann, in den letzten Monaten lief eine heftige Erkältungswelle durch Deutschland. Da kam die Diskussion auf, ob Corona die Menschen anfälliger für Infekte gemacht hat. Wie sehen Sie das?
Clara Lehmann: So pauschal kann man das nicht sagen. Wir haben unser Immunsystem in den letzten Jahren kaum trainiert, weil wir uns durch die Distanz und die Masken weniger oft mit Erregern angesteckt haben. Aber durch die SARS-CoV-2 Infektionen haben wir jetzt nicht alle eine Immunschwäche entwickelt.
Genau diese Diskussion hat unter anderem Gesundheitsminister Lauterbach befeuert: Er sagte, die Beobachtungen des Immunsystems von Menschen, die sich mehrfach mit Corona infizierten, seien bedenklich. Studien hätten deutlich gezeigt, dass sie häufiger eine Immunschwäche entwickelten, deren Dauer wir nicht kennen. Teilen Sie seine Bedenken?
Nein, so würde ich das nicht formulieren. Genau wie bei anderen Viruserkrankungen wie Influenza oder Ebola oder einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus kann es eine Weile dauern, bis sich das Immunsystem nach einer Covid-Infektion erholt. Wir kennen schon postvirale Syndrome, bei denen wir eine Veränderung des Immunsystems beobachten. Nur hat man es bisher nicht so häufig beobachtet, weil weniger Menschen von einem solchen Infekt betroffen waren. Jetzt haben sich innerhalb kurzer Zeit ganz viele Menschen mit SARS-CoV-2 angesteckt – deshalb beobachten wir auch bei mehr Patienten eine Veränderung des Immunsystems durch Immunaktivierung. Diese Veränderung führt aber nicht direkt zu einer Immunschwäche. Ein Teil der Patienten erholt sich komplett, bei anderen sehen wir auch nach langer Zeit noch Veränderungen.
Wie verändert sich das Immunsystem nach einer Corona-Infektion?
Bestimmte Zellen, die für die Immunantwort zuständig sind, sind bei manchen Patienten noch länger besonders aktiviert. Eine Aktivierung ist erst einmal etwas Gutes, aber nicht, wenn sie zu lange andauert. Sie können sich das so vorstellen: Wenn Sie Ihr Auto dauerhaft im sechsten Gang fahren, geht der Motor schneller kaputt. Der Motor ist in diesem Beispiel das Immunsystem.
Was für Unterschiede gibt es zwischen Long Covid und anderen post-viralen Syndromen?
Das Wissen über das Krankheitsbild von post-viralen Syndromen ist leider noch unzureichend. Genau wie Covid-19 kann auch eine Influenza zum Beispiel das chronische Fatigue-Syndrom auslösen. Bislang haben wir noch nicht spezifische Veränderungen der Immunantwort identifiziert, die nur nach SARS-CoV-2 auftreten.
Christian Drosten hat letztens in einem Interview gesagt: Immunologische Befunde suggerieren, dass die Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Corona-Infektion viel weiter fortgeschritten ist, als zu erwarten war. „Man kann sich nun zugespitzt fragen, ob ein ungeimpftes Kind nach Infektion vielleicht mit 30 das Immunsystem eines 80-Jährigen haben wird“, sagte er. Wie sehen Sie das?
Das ist jetzt etwas überspitzt dargestellt, aber es geht in dieselbe Richtung wie mein Beispiel mit dem Motor. Was man auf jeden Fall sagen kann: Bei einem Teil der Betroffenen – Kinder wie Erwachsene – führt die Covid-19-Infektion zu einer erhöhten Immunaktivierung. Wir wissen aber nicht, wie lange das andauern wird und wir wissen auch nicht, wie weit das Immunsystem dann vorgealtert ist.
Eigentlich sagt man ja: Hin und wieder krank werden stärkt das Immunsystem…
Das stimmt. Es ist wichtig, dass unser Immunsystem trainiert wird, sich mit unterschiedlichen Erregern auseinandersetzt und eine schnelle Immunantwort entwickelt. Wenn man kleine Kinder in die Kita bringt, sind sie deshalb immer im ersten Jahr krank. Auch eine Corona-Infektion kann das Immunsystem trainieren.
Laut den Daten der Krankenversicherungen entwickeln Menschen nach einer überstandenen Infektion häufiger eine Autoimmunerkrankung. Das Risiko steigt bei einem schweren Verlauf. Wie hoch ist das Risiko bei Corona?
Das weiß man noch nicht genau. Ein Teil der Long-Covid-Patienten entwickeln Autoantikörper, andere Patienten jedoch nicht. Deshalb müssen wir die Krankheit besser verstehen, wir müssen Therapieansätze finden und klinische Studien durchführen. Dafür brauchen wir aber Zeit, damit wir diese Arbeit auch qualitativ gut und wertvoll machen.
Können Sie erklären, wie eine Infektion zu einer Autoimmunerkrankung führen kann? Sie finden ja immer so schöne Beispiele.
Man kann sich das Immunsystem wie ein Orchester vorstellen. Alle spielen zusammen, der Dirigent hat alles im Griff. Dann kommt eine Infektion und der Dirigent gibt das Signal: Ihr müsst reagieren, ihr müsst lauter werden. Es kann sein, dass sich dabei eine Geige verstimmt, das harmonische Miteinanderspielen ist gestört, der Dirigent hat die Kontrolle verloren und das alles wieder rückgängig zu machen ist schwierig. Im Orchester müssen ja alle gut aufeinander abgestimmt sein.