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Umgang mit Demenz„Die Betroffenen selbst sind unsere besten Lehrmeister“

Lesezeit 8 Minuten
Herd aus neu

Ein Zettel mit dem Hinweis „Herd aus“ an einem Kochherd.

  1. Am Samstag ist Weltalzheimertag. Weltweit sind etwa 46 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen.
  2. Wer einen Menschen mit Demenz begleitet, braucht Geduld und ein fröhliches Naturell.
  3. Im Interview spricht Demenzberater Markus Proske über seine Erfahrung und gibt wichtige Tipps im Umgang mit den Erkrankten.

Herr Proske, Menschen mit Alzheimer oder Demenz verlieren zunächst die Kontrolle über ihr Leben. Und dann über sich selbst. Wie können Sie als Humortherapeut helfen?

Markus Proske: Ich verstehe mich als Begleiter in besonderen Lebenssituationen. Das muss nicht immer zwingend lustig sein. Mir geht es darum, den Menschen dort abzuholen, wo er gerade ist. Demenzkranken den Rücken zu stärken und die Hand zu reichen. Die Betroffenen selbst sind unsere besten Lehrmeister im Umgang mit Demenz.

Was lehren sie uns? Wie geht man als Angehöriger am besten um mit Demenzkranken?

Es kommt vor allem auf die persönliche Haltung an. Wir dürfen erkennen, dass ein Betroffener nichts tut, um uns zu ärgern, sondern weil er oder sie es nicht mehr anders und besser weiß. Viele unterstellen Demenzpatienten einen bösen Willen, aber das ist nicht so. Auch deswegen war es mir so wichtig, den „Demenz-Knigge“ zu schreiben. Viele haben mir nach der Lektüre gesagt: „Erst jetzt habe ich es verstanden.“

Eine Ihrer Kernbotschaften: Die Realität ist für den Dementen immer richtig.

Genau. Wenn er sagt: „Gib mir das Messer“ und dabei auf den Löffel zeigt, gebe ich ihm den Löffel – ohne Belehrung und vorwurfsvollen Unterton. Den brauchen Demenzpatienten genau so wenig wie kleine Kinder.

Für Angehörige wird es leichter, wenn sie den Grund für diese neue Realität verstehen.

Ich erinnere mich an einen Mann, der im Heim plötzlich nur in Unterwäsche bekleidet zum Frühstück kam. Er war nicht zum Anziehen zu bewegen, egal wie die anderen ihn auch bedrängten. Er wurde unflätig, gebrauchte Schimpfworte. Bis eine Fachkraft ihn nach dem Grund für seine spärliche Bekleidung gefragt hat. Da sagte er: „Ich bekomme heute Nachmittag Besuch, habe aber nur ein schönes Hemd. Wenn ich das jetzt schon anziehe, bekleckere ich mich wieder. Also ziehe ich mich erst nachher an.“ Aus seiner Sicht also völlig logisch.

Betroffene tun ja lange Zeit alles, um ihre Leistungsdefizite zu verbergen. Das führt im Alltag häufig zu Schwierigkeiten.

Natürlich. Keiner will sich outen, dass er bestimmte Sachen nicht mehr kann oder versteht. Das geht uns doch genau so, wenn wir in größerer Runde über einen Witz lachen, den wir eigentlich gar nicht verstehen.

Selbstwert ist ein großes Thema, auch für Demenz-Patienten.

Auch Menschen in der tiefsten Demenz fühlen oder wissen über ihren Selbstwert. Sie wollen genau so liebe- und respektvoll behandelt werden wie alle anderen Menschen auch.

Und trotzdem sollte man ihnen nicht alles abnehmen.

Nein, das ist ganz wichtig. Auch alte Menschen brauchen das Gefühl, noch nützlich zu sein. „Hilf mir, es selbst zu tun“, der Leitspruch von Maria Montessori ist eine gute Devise. Wenn man Dinge selber tut, entstehen Gefühle der Selbstwirksamkeit. Geben Sie Ihren Angehörigen Aufgaben, und wenn es nur das Zusammenlegen von Unterhosen ist. Oder das Abtrocknen einer Tasse. Hauptsache, er oder sie tut etwas und spürt, dass er noch gebraucht wird.

Sie raten auch dazu, die subjektive Realität von Dementen ernst zu nehmen. Wenn sie zum Beispiel sagen: „Da ist ein Einbrecher unter meinem Bett“, nicht zu diskutieren, sondern zuzustimmen und den Einbrecher zu verjagen.

Wir denken immer, es gäbe nur die eine Wahrheit und die wollen wir gewahrt wissen. Doch Menschen mit Demenz haben ihre eigene Realität. Es nutzt nichts, zu erklären dass da niemand ist. Effektiver ist es, den imaginären Fremden mit einem Besenstiel zu verscheuchen und generell bei Problemen herauszufinden: Warum verhält dieser Mensch sich plötzlich so, was könnte der Grund dafür sein? Es gab da einen Herrn im Pflegeheim, der plötzlich immer seinen Kaffee aus einer Untertasse getrunken hat.

Markus Proske

Markus Proske arbeitet seit 17 Jahren als Demenzberater und Humortherapeut in verschiedenen Altenheimen und Pflegeeinrichtungen.

Das war natürlich für die anderen kein schöner Anblick. Auf Nachfrage kam heraus, dass er früher als Landwirt gearbeitet hatte und es auf dem Hof damals üblich gewesen sei, den Kaffee mit eingeweichtem Brot aus einer Suppenschüssel zu trinken. Menschen mit Demenz legen oft Verhaltensweisen an den Tag, die sie aus ihrer Kindheit oder Jugend gut kennen.

Viele dieser Situationen sind für Angehörige sehr schwierig. Besonders traurig wird es, wenn die Demenzpatienten sie irgendwann nicht mehr erkennen.

Mir erzählte eine Enkelin, dass ihre Oma nach einem längeren Gespräch zu ihr sagte: „Junge Frau, Sie sind ja sehr nett aber Sie sollten mich schon siezen!“ Das ist natürlich im ersten Moment hart. Doch dann hat sie ihre Oma gesiezt und es war gut. Immer wieder zu beteuern: „Oma, du kennst mich doch“, hilft in diesem Fall nicht weiter.

Mit dem Beginn der Demenz beginnt auch für die Angehörigen ein neues Leben. Wie können wir uns selbst und den Betroffenen das erleichtern?

Betroffene können sich verbal oft nicht mehr genügend austauschen, umso wichtiger werden in der Kommunikation positive non-verbale Signale. Lächeln Sie, zeigen Sie Gelassenheit, lassen Sie Ihr Gegenüber spüren, dass Sie beide alles im Griff haben.Möglichst viel gemeinsam lachen und singen hilft. Kurz: Fröhlich sein, nicht schimpfen.

Bildlich gesprochen heißt das in Ihrem Buch: „Menschen mit Demenz brauchen einen Bernhardiner, keinen Pinscher.“

Richtig, sie brauchen eine gutmütige fröhliche Begleitung mit positiver Einstellung. Wichtig ist, den Betroffenen mehr Zeit zu geben, zum Beispiel fürs Essen und fürs Umziehen. Viel mehr Zeit. Wir sind oft viel zu schnell. Menschen mit Demenz verarbeiten Informationen deutlich langsamer. Wir dürfen ihnen zuhören und in Ruhe auf eine Antwort warten.

Was sie zum Mittagessen gegessen haben, ist meist sofort vergessen. Doch Demente kennen noch die Texte von fast allen deutschen Volksliedern und Schlagern perfekt auswendig. Wie kommt das?

Genau deswegen ist Musik eine der wichtigsten Therapieformen, die wir haben. Nichts wirkt so langanhaltend und ist verknüpft mit so vielen positiven Erinnerungen an früher. Außerdem stiftet das Singen die Möglichkeit, in Gemeinsamkeit mit anderen etwas zu tun. Gemeinschaft zu erleben und Teil einer Gruppe zu sein. Unsere Sprache wird linksseitig abgespeichert im Gehirn. Manche Betroffene, deren Bereich dort gestört ist, verlieren ihre Sprache. Musik dagegen wird in vielfältigen Hirnregionen abgespeichert. Deswegen bleibt die Musik bis zur Stufe der höchsten Demenz erhalten.

Für Betroffene gibt es inzwischen ja immer mehr Angebote. Doch eine ältere Dame aus meinem Umfeld weigert sich, dort hinzugehen. Weil „Demenzzentrum“ über der Tür steht.

Das kann ich nachvollziehen. Wer möchte dort schon hingehen? Die Verantwortlichen täten gut daran, ihrem Zentrum einen anderen Namen zu geben. Deswegen rate ich Ärzten auch dazu, ihren Patienten zu sagen: „Wir machen jetzt eine allgemeine Untersuchung“ und nicht „Demenz-Test“. Das ist auch gar keine Lüge, denn bei der Untersuchung sollte erst einmal die Möglichkeit einer sekundären Demenz ausgeschlossen werden, die aufgrund von Organerkrankungen entsteht.

Sehr schwierig wird es, wenn Demenz-Patienten ihr Umfeld beschuldigen, dass ihnen Geld geklaut worden sei. Der Klassiker.

Das nennen wir herausforderndes Verhalten – einerseits, weil sich der Betroffene herausfordernd verhält, andererseits weil dieses Verhalten unser Wissen im Umgang mit ihm fordert. Herausforderndes Verhalten entsteht meist nicht aus der Person selber, sondern weil wir im Umgang oder in der Umgebungsgestaltung Fehler machen.

Was meinen Sie damit genau?

Wir haben uns nicht so verhalten, wie es Demenz-gerecht wäre. Es ist zum Beispiel wichtig, darauf zu achten, dass keine Reizüberflutung stattfindet, etwa durch Radio oder Fernsehen, weil die Betroffenen diese Reize oft nicht mehr genügend filtern können. Wir brauchen Pflegeeinrichtungen, die passend gebaut und gestaltet sind und über gut ausgebildetes Personal verfügen. Nicht nur die Pfleger, auch die Angehörigen brauchen Wissen.

Es gibt unzählige wissenschaftliche Publikationen über das Thema Alzheimer, aber nicht viele für den konkreten Umgang mit Demenzkranken. Wieso?

Die Wissenschaftler sind Theoretiker und nur wenige Fachleute kommen aus der Praxis. Ich möchte mein Wissen weiter geben, denn Pflegende suchen Informationen.

Die Krankheit wirkt für Angehörige erschreckend und geradezu unheimlich. Zu Recht?

Demenz und Alzheimer sind per se schlimm, ja. Diese Krankheiten werden aber noch viel schlimmer gemacht durch Nichtwissen und falschen Umgang mit den Betroffenen. Für den Patienten ist es meist nur im Anfangsstadium wirklich tragisch, da können sie noch begreifen, dass sie krank sind. Später verlieren sie die Orientierung zur eigenen Person, dann ist es für sie in ihrem eigenen Erleben sicher nicht mehr so schlimm.

Dennoch macht die Krankheit vielen Angst.

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich sehr stark über kognitive Leistungsfähigkeiten orientiert. Wenn sich genau diese verabschieden, macht das Angst. Vor allem vor Separation. Niemand will ausgeschlossen sein. In meinem Alltag erlebe ich viele Patienten, die trotz Demenz ein schönes Leben führen und in Würde alt werden. Wenn sich die Patienten in einem adäquaten Umfeld bewegen, verliert die Krankheit ihren Schrecken.

Und wenn der oder die Betroffene seine Schlüssel immer wieder in den Kühlschrank legt, raten Sie: Nicht schimpfen, sondern dort ein separates Fach einrichten.

Das ist ganz typisch, dass irgendwann der Schlüssel im Kühlschrank landet – oder die Hausschuhe. Menschen mit Demenz wissen, dass der Kühlschrank wichtig ist, hier werden die Lebensmittel aufbewahrt. Außerdem hat dieser Schrank Licht – wie praktisch für Menschen mit Sehschwäche! Wenn das immer wieder vorkommt: Was spricht dagegen, einen gebrauchten kleinen Kühlschrank anzuschaffen, in dem Oma oder Opa ihre wichtigen Sachen deponieren können?