Entspannung oder Aktivität?Was Kinder in den Sommerferien wirklich brauchen
- In seiner Kolumne „Aus der Praxis” schreibt Dr. Magnus Heier für den „Kölner Stadt-Anzeiger" wöchentlich über ein wichtiges medizinisches Thema.
- In dieser Folge geht es um die Frage, was für Kinder in den Ferien am besten ist: Sollen sie sich lieber ausruhen von den Strapazen des Schulalltags oder möglichst viel machen und im Kopf herausgefordert werden?
- Eine Studie aus Großbritannien kommt zu einem eindeutigen Ergebnis.
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Kinder in den Schulferien schaffen es oft, die Tage mit erstaunlich wenig Aktivität zu verbringen: viel Schlaf, viel „chillen“, viel nichts. Es ist ein naheliegender Gedanke, dass das unterforderte Gehirn unter dem Nichtstun leidet. Man kann auch vermuten, dass Schüler in dieser Zeit viel vergessen. Dass sie viel von dem verlernen, was sie noch kurz vor den Ferien gelernt hatten. Aber stimmt die Vermutung auch?
Die englische Zeitschrift „Economist“ hatte im letzten Jahr einen langen Artikel veröffentlicht, in dem sie genau diese Befürchtung untermauerte: Dass durch lange Ferien Schulwissen von bis zu einem Monat Unterricht vergessen werde. Allerdings sei der Verlust nicht bei allen Schulkindern gleich. Es hängt davon ab, was die Kinder in den Ferien tun. Werden sie irgendwie herausgefordert? Nehmen sie an Lernprogrammen teil? Machen sie Sprachkurse? Urlaube in Jugendgruppen? Oder verbringen sie die meiste Zeit unbetreut vor dem Fernseher? Die Zeit der Ferien sei, so ein Pädagoge, die am meisten ungleiche Zeit des Jahres.
Ob wirklich ganz konkret Schulwissen verloren geht, ob es gar die messbaren Inhalte von einem Monat Lernen sind, ist umstritten. Es gibt unterschiedlichste Zahlen und Beobachtungen. Die Tatsache aber, dass das Gehirn sechs Wochen (in den USA und in Italien bis zu drei Monate!) freihat, dass es in der Zeit möglicherweise überhaupt nicht herausgefordert wird, ist ein großes Problem. Denn das Gehirn ist nicht fürs Nichtstun gebaut. Es braucht Input. Es ist eine Dauerbaustelle – und ein Organ, das auf gefährliche Weise ökonomisch arbeitet: Was nicht gebraucht wird, wird zerstört. Und das geht sehr schnell. Und bei Kindern vermutlich noch schneller als bei Erwachsenen. Wer sein Gehirn wochenlang schont, zwingt es zum Abbau.
Das heißt für die Ferien: Kinder müssen herausgefordert werden. Ehrgeizige Eltern tun das, indem sie ihre Kinder in irgendwelche Freizeiten schicken, die in Wirklichkeit getarnte Lernprogramme sind. Und eine Herausforderung für den Geist. Andere Eltern tun nichts. Aber Kinder, die sechs Wochen Langeweile haben, bleiben auf der Strecke. Deshalb ist es gut und notwendig, dass immer mehr Ferienaktivitäten angeboten werden, die solche Kinder auffangen und beschäftigen. Aktivitäten, die umsonst sind. Denn in den Ferien aktiv zu sein ist ähnlich wichtig, wie der Schulunterricht selbst.
Hinzu kommt noch eine beunruhigende Beobachtung: Kinder scheinen in den Schulferien mehr Gewicht zuzulegen, als in der Schulzeit. Das kann mehrere Gründe haben: Ist es einfach das gute Essen am Urlaubsort? Unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass fehlende Bewegung, gepaart mit Langeweile, zum übermäßigen Essen verführt. Es ist höchste Zeit, die schönste Zeit des Jahres unter medizinischen und unter neurologischen Gesichtspunkten kritisch zu beobachten. Fakt ist: Das Gehirn braucht – wie der ganze Körper – keine Pause, sondern Herausforderungen! In jedem Alter! Immer!