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Fibromyalgie - Bericht einer BetroffenenWie eine Kölnerin mit ihrer Schmerzstörung umgeht

Lesezeit 6 Minuten

Kerstin Kümmel will sich von der Krankheit nicht alles verbieten lassen.

Momentan ist es der Rücken. „Der tut schon seit September weh“, sagt Kerstin Kümmel. Außerdem die Schulter, das Kiefergelenk und der rechte Fuß. Letzte Woche war es das linke Daumengelenk, das permanent gepocht hat. Und nächste Woche? „Mal schauen“, sagt die 51-Jährige. Und grinst. Dass die Kölnerin über ihre Schmerzen noch lächeln kann, ist ein kleines Wunder. „Irgendwie ist es schon so, dass mein ganzes Leben auf Schmerzvermeidung ausgerichtet ist“, gibt Kümmel zu. Es sei manchmal „extrem anstrengend“, dabei nicht ständig schlecht gelaunt oder depressiv zu werden.

Depression ist eine häufige Folge von Fibromyalgie – der chronischen Krankheit, unter der Kerstin Kümmel seit 2008 leidet. Von außen ist die Krankheit nicht zu erkennen. Auch Ärzte haben mitunter Probleme mit der Diagnose, sagt Dr. Johannes Löser, kommissarischer Leiter des Schmerzzentrums Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik Köln. „Denn Fibromyalgie ist eine Erkrankung, bei der wir das organische Korrelat nicht kennen.“ Sprich: Weder im Blutbild noch beim Röntgen zeigen sich Auffälligkeiten. Dabei ist die Störung keineswegs selten: Rund eine Million Menschen sind in Deutschland betroffen.

Chronische Erkrankungen schränken den Alltag oft ein. In einer Serie porträtieren wir Menschen, die sich von ihrer Krankheit nicht die Lust am Leben nehmen lassen. Schreiben Sie uns: magazin@ksta.de

Sicher ist, dass bei Fibromyalgie bestimmte Schmerzverarbeitungsmechanismen im Gehirn nicht so funktionieren wie bei Gesunden, erklärt Löser. „Auch bei der Schmerzhemmung gibt es Defizite.“ Patienten berichten, dass ihnen oft schon der leichteste Druck wehtut. Ihr Körper sendet Warnsignale von Stellen, an denen gar keine Gefahr droht. Und wenn eine Anstrengung vorbei ist, funkt ihr Körper noch in Ruhe SOS. „Umso anstrengender ein Tag ist, desto mehr Schmerzen habe ich“, sagt Kümmel.

An den Tag, als ihre Gelenke und Muskeln – Fibromyalgie steht für „Faser-Muskel-Schmerz“ – zum ersten Mal wehtun, kann sie sich nicht mehr genau erinnern. „Irgendwann 2008 muss das gewesen sein“, sagt Kümmel. Eines Tages habe sie sich gefühlt, als hätte sie starken Muskelkater am ganzen Körper. „Ich dachte, ich hätte mich einfach überanstrengt.“ Tatsächlich lassen die Schmerzen bald wieder nach.

Zweifel an sich selbst

Als sie zurückkehren, geht Kümmel zum Arzt. Zehn Jahre zuvor ist ihr ein bösartiger Tumor entfernt worden, „da ist man bei jedem Zipperlein unsicher“. Doch der Mediziner stellt keine körperlichen Veränderungen fest. Als der Ganzkörperschmerz Tage später wieder auftritt, zweifelt Kümmel an sich selbst: „Die Ärzte finden nichts, aber die Schmerzen sind da. Ich dachte, ich spinne.“

Klarer wird die Sache, als die Kölnerin im Februar 2010 zusammenbricht. Kerstin Kümmel wacht mitten in der Nacht mit rasenden Rückenschmerzen auf. Als sie aufstehen will, geben die Beine nach. „Das war so schlimm, dass ich das erste Mal in meinem Leben den Notarzt gerufen habe“, sagt sie. Im Krankenhaus zeigt sich, das mit ihrem Rücken alles in Ordnung ist. Nach drei Tagen wird sie wieder entlassen.

Doch Wochen später schreckt Kümmel nachts wieder hoch. „Ich bin auf die Toilette und hatte so etwas wie einen Ohnmachtsanfall.“ Sie fürchtet einen Schlaganfall, will die Nachbarn anrufen, die einen Schlüssel zur Wohnung haben. Immer wieder fällt ihr das Telefon aus der Hand. Als der Notruf gelingt, alarmieren die Nachbarn den Rettungsdienst. Wieder muss Kümmel in der Klinik bleiben – diesmal für eine Woche.

Dort haben die Ärzte diesmal schnell einen Befund: Migräne. Zur Sicherheit aber soll Kerstin Kümmel, die nie zuvor Migräne hatte, noch einmal mit dem Psychiater reden. „Der hat mich gefragt, ob ich schon mal auf Fibromyalgie untersucht worden wäre“, erinnert sie sich. „Das Wort kannte ich bis dahin gar nicht.“

Die Medizin tappt im Dunkeln

Zusätzlich zur Fibromyalgie diagnostizieren Mediziner der Kölner Uniklinik Kümmel später auch eine somatoforme Schmerzstörung – im Grunde eine ähnliche Diagnose, die Probleme mit der Schmerzverarbeitung beschreibt. Bei beiden Krankheiten tappt die Medizin noch weitgehend im Dunkeln. „Bislang ist in Deutschland kein einziges Medikament speziell für die Fibromyalgie zugelassen“, sagt Johannes Löser.

Kümmel bekommt das Mittel der Wahl, ein niedrigdosiertes Antidepressivum, setzt es aber wieder ab, als sich eine Angststörung einstellt. Sie testet ein anderes Medikament, das sie müde macht, aber auch nicht gegen die Schmerzen hilft. Auf Rat ihres Arztes macht sie weiter Krafttraining, weil leichter Sport die Schmerzverarbeitung verbessert. Und sie beginnt eine Psychotherapie.

Heute kommen ihre Schmerzen in Schüben. „Es gibt Tage, da möchte ich mich einfach in eine Kühltruhe legen, um die Schmerzen zu stoppen“, sagt Kümmel. Andererseits habe sie im Vergleich mit Patienten, die andere rheumatische Schmerzen haben, natürlich auch Glück: Eine Fibromyalgie schreitet nicht körperlich voran. Die Krankheit wird Kerstin Kümmel nie in den Rollstuhl bringen.

Ein komplizierter Alltag

Aber mit dem Schmerz leben, das muss sie schon. Und auch der macht den Alltag kompliziert. „Es kann sein, dass ich nur eine schwere Einkaufstasche trage und danach tagelang Schmerzen habe“, sagt sie. Aktivitäten wie Trommeln – ihr Hobby – muss Kümmel „vorbereiten“, damit sie nicht zu schmerzhaft werden. Dann legt sie sich eine Stunde hin, bevor es losgeht. Auch bei der Arbeit in einer heilpädagogischen Kindertagesstätte schläft sie in der Mittagspause, „um den Tag zu überstehen“. Aber vieles macht sie auch inzwischen gar nicht mehr: Mit Freunden wandern zum Beispiel. „Da kann ich am nächsten Tag im Bett bleiben, weil mir alles wehtut..“

Sieht man Kerstin Kümmel, hat man trotzdem nicht den Eindruck, dass diese Frau sich von ihrer Krankheit bestimmen lässt. „Ich versuche, nicht rumzujammern“, sagt sie. „Vielleicht ist das aber auch ein Problem.“

„Ich wusste, danach tut mir alles weh“

Vielleicht stimmt das sogar. Denn mit diesem Lächeln im Gesicht sieht Kerstin Kümmel oft aus, als gäbe es diese Krankheit gar nicht. Als habe sie einfach keine Lust, nach einer Aktion in der Kita beim Aufräumen zu helfen. Als wanderte sie eben nicht gern und schiebe auch beim Sport lieber eine ruhige Kugel. Dass Menschen ihre schmerzbedingte Schonhaltung manchmal so deuten könnten, macht Kümmel zu schaffen.

Dass sie dennoch nicht den Mut verliert, schreibt sie vor allem ihrem Festhalten an Hobbys zu, am Trommeln, dem Singen im Chor, der Arbeit – und ihren Freunden, mit denen sie sich regelmäßig trifft. Und, dass sie sich von der Krankheit nicht alles verbieten lässt. Kürzlich, an Karneval, trat sie zusammen mit ihrer Sambagruppe auf und trommelte und trommelte – anderthalb Stunden lang. „Ich wusste, danach tut mir alles weh“, sagt Kerstin Kümmel.

Aber das sei es wert gewesen.