Gegen KonzentrationsmangelYoga hilft, achtsamer zu werden – und nicht nur das

Es gibt viele unterschiedliche Yoga-Stile.
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- Die Generation des sogenannten „Wandernden Geistes“ ist häufig abgelenkt und unkonzentriert.
- Mehr Entspannung und Ruhe lässt sich aber trainieren – zum Beispiel mit Yoga.
- Nicht jede Form von Yoga hat aber auch die gewünschte Wirkung: Ein Überblick.
Köln – Wer meint, der Mensch im digitalen Zeitalter besitze kein Durchhaltevermögen mehr, irrt. Denn natürlich ist sie noch da: die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Wir müssen sie nur in den Griff bekommen, wenn wir sie brauchen. Es gibt eine einfache Empfehlung, die von Psychologen ausgesprochen wird: Meditation und Yoga. Der gestresste Berufstätige solle so lernen, achtsamer durchs Leben zu gehen. Und dazu gehört, nach Dienstschluss keine E-Mails mehr zu lesen, Handys auszuschalten und die Seele einfach baumeln zu lassen.
Doch der Mensch der Gegenwart lässt sich einfacher ablenken als je zuvor. Psychologen sprechen vom Phänomen des „wandernden Geistes“. Das hat einerseits Gründe in den Ansprüchen der modernen Arbeitswelt. 58 Prozent fühlen sich unter Druck gesetzt, weil sie mehrere Arbeiten gleichzeitig erledigen müssen, ergab eine Studie. Zudem fand man heraus, dass die Arbeitnehmer unabhängig vom Druck durch die Arbeitsaufgaben alle elf Minuten etwas Neues anfangen. Anders gesagt: sie führten 57 Prozent aller begonnenen Arbeitsvorgänge nicht zu Ende.
Belohnung für abnehmende Konzentration
Für Unternehmen ist das eine Katastrophe, denn so werden viele Aufträge ohne Grund nicht erledigt. Die Mitarbeiter sind nicht bei der Sache, gedanklich halten sie sich überall auf, nur nicht bei ihrer Aufgabe. Psychologen meinen, dass dies nicht glückssteigernd sei, sondern eher die Unzufriedenheit wachsen lasse. Der Grund für die Ablenkung ist allerdings auch in der besonderen Struktur des Gehirns zu finden: Das Ankommen neuer Reize führt dazu, dass das Gehirn Dopamin ausschüttet. Dopamin ist ein Botenstoff, der ausgeschüttet wird, wenn Menschen etwa Sport treiben. Allerdings stellt man ihn auch fest, wenn man zu seinem Smartphone greift und neue E-Mails liest oder mal eben in die Whats-App-Gruppe reinschaut.

Yoga wurde vom Westen aus Asien adaptiert.
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Das Problem: Wir werden dafür belohnt, dass wir uns nicht mehr konzentrieren, und suchen deswegen permanent nach Stimuli von außen. Im Internetzeitalter sind die Möglichkeiten sich abzulenken gewaltig gestiegen. Aber wenn wir mit den Geräten arbeiten, mit denen wir auch die Stunden unserer Ablenkung verbringen, müssen wir herausfinden, wie sich beide Welten gut miteinander vereinbaren lassen. Es geht um die richtige Dosis.
Deshalb versuchen immer mehr Menschen, Freiheit und Selbstkontrolle über ihre Handlungen wiederzuerlangen, um aus den kleinen Stimuli herauszufinden, die nach dem Check des E-Mail-Eingangs eintritt. Einige greifen zu den Apps „Freedom“ und „Self-Control“, mit deren Hilfe PCs vom Internet zeitweilig abgekoppelt werden. Andere versuchen, ihre Freizeit gezielt mit anderen Inhalten zu füllen.
Krafttraining versus Entspannung und Ruhe
Um achtsam zu werden, soll man nicht den Fokus verlieren, raten Psychologen. Sondern man solle sich vielmehr stärker auf eine Sache konzentrieren. Beim Essen, Lesen oder eben beim Yoga.
Yoga boomt. Viele Begeisterte wollen nicht nur praktizieren, sondern auch unterrichten. Ausbildungen zum Yogalehrer gibt es in jeder Preisklasse und Qualität, worauf Interessierte achten sollten. Seit den 2000ern werden immer mehr Yoga-Arten auf den Markt gebracht. Wer auf einen durchtrainierten Körper Wert legt und sich gerne richtig ins Zeug legt, kann es zum Beispiel mit Crossfit Yoga oder Vinyasa Yoga probieren. Wie der Name verrät, handelt es sich bei ersterem um eine Mischung aus Crossfit und Yoga: Sprints und Kraftübungen mit Gewichten verbinden sich hier mit Dehnungs- und Entspannungselementen. Bei Vinyasa Yoga stehen fließende Bewegungen im Mittelpunkt. Die anstrengenden Übungen eignen sich gut für den Kraftaufbau.
Entspannung und Ruhe findet man hingegen eher bei anderen Varianten wie Iyengar Yoga. Neben Präzision spielen auch Hilfsmittel wie Blöcke und Bänke hier eine wichtige Rolle. Diese helfen den Teilnehmern dabei, Positionen länger aufrechtzuerhalten. Mit den Übungen soll die Selbstwahrnehmung verbessert werden.
Auch für Yin Yoga sollte man Geduld mitbringen: Die Übungen finden meist im Sitzen und Liegen statt und sollten bis zu sieben Minuten gehalten werden. Dadurch sollen Muskeln, Bänder und Sehnen gedehnt werden.
Spiritueller Kontext
Die Lehre des Yogas wurde durch die Einflüsse der persischen Kultur und während der britischen Kolonialzeit in Indien verdrängt. Erst im 19. Jahrhundert feierte die Praxis ihre Renaissance: Es waren Briten, die Yoga zuvor unterdrückt hatten und dann zu ihren Zwecken wiederbelebten. Britische Soldaten entdeckten die Asanas (körperliche Yoga-Haltungen) als Fitnessübungen und kombinierten sie mit Gymnastik.
So entstand ein sehr körperlich betontes Verständnis des Yoga, das im 20. Jahrhundert seine Wege nach Europa fand. Mit der Yogapraxis assoziiert man Entspannung, Dehnung, Achtsamkeit. Es ist eine Mischung aus körperlicher und mentaler Beanspruchung. Allerdings handelt es sich um eine Praxis, die aus ihrem spirituellen, historischen und kulturellen Kontext herausgezogen wurde. Für Hengameh Yaghoobifarah ist diese kulturelle Aneignung. Und hinter dieser stecke eine kolonialrassistische Praxis, schrieb sie vor einigen Jahren in der „taz“.

Mit Yoga solle man sich auch im digitalen Zeitalter wieder besser konzentrieren können. Aber das Ich wächst auch hier, anders als in der ursprünglichen Lehre beabsichtigt.
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Und es gibt ein weiteres Problem: Auf dem Weg zu Glück und Wohlbefinden wird regelmäßig vom eigenen Ego überlistet. Wer sich selbst zu wichtig nehme, lehren nicht nur die alten indischen Weisheitslehrer, könne kein erfülltes Leben führen. Die Idee des Egos als oberstes Prinzip ist eine Erfindung der Neuzeit und hat ihren Ort in Europa. Vor allem in Frankreich, dem Vereinigten Königreich und im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation blühte der Ich-Gedanke auf. Im Griechenland der Antike galt ein Ich-bin-wichtig-Gefühl hingegen als verpönt. Die Christen erkannten in der Selbstverherrlichung sogar eine Todsünde.
Selbstüberschätzung nach Yoga-Stunde
Dass ausgerechnet Meditation und Yoga das Ego auflöst, wird von Wissenschaftlern in Zweifel gezogen. Es verhalte sich genau andersherum. In beiden Fällen würden sich die Übenden auf ihr Selbst fokussieren. Mehr noch: sie würden sich sogar selbst überschätzen, da sie ein überzogen positives Selbstbild nach ihren Yoga-Stunden mit sich herumtrügen. Yoga und Meditation seien zwar zu empfehlen und würden guttun, aber aus anderen Gründen als viele Praktizierende es annehmen.
Diese gute Seite würde man auch beim Radfahren oder Handballspielen finden. Auch Yoga oder Meditation würden die Aufmerksamkeit auf das Ich fokussieren, nicht weg davon, wie das buddhistisch inspirierte Ideengerüst hinter beiden populären Praktiken suggeriert. Auch Yoga und Meditation befördern Selbstüberschätzung oder – vorsichtiger formuliert – ein leicht überstiegen positives Selbstbild, von wegen Demut und Bescheidenheit.
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Übungen aktivieren das Ich
Das ist zumindest das Ergebnis von Psychologen, die feststellten, dass Menschen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, stets annehmen würden, dass sie selbst besser als die anderen darin seien, zumindest aber besser als der Durchschnitt seien. Sie schlussfolgern daraus, dass Meditation und Yoga wiederum den Ego-Gedanken stärken würde, den sie doch gerade destruieren sollten. Die Forschungsliteratur zeige einen eindeutigen Zusammenhang zwischen stärkerer Selbstüberschätzung und höherem Wohlbefinden, erklären die Forscher.
Das alles spricht nicht dagegen, Yoga oder Meditation zu praktizieren. Es spricht nur gegen die Annahme, dass die beiden spirituell angehauchten Achtsamkeitstechniken wirken, weil sie die Fesseln der menschlichen Psyche sprengen und das Ego auflösen. Sie wirken wohl ausgerechnet deshalb, weil sie das Ich aktivieren und sich die Beteiligten anschließend selbst eher großartig finden. Und das ist auch gut so. (dpa, red)