Der Anblick des eigenen Gehirns ist merkwürdig. Kaum zu glauben, dass die ganze Persönlichkeit in dieses kleine Organ passt.
Die ganze Persönlichkeit in 1300 GrammWie es ist, sein eigenes Gehirn zu sehen
Dies ist keine diagnostische Aufnahme, es gab keine Symptome, keinen Krankheitsverdacht. Die Aufnahme war eine Illustration für eine Filmdokumentation über das Gedächtnis (der Film ist in der Mediathek von Arte verfügbar, wir hatten an dieser Stelle darüber berichtet). Trotzdem war ich natürlich erleichtert, dass es keine beunruhigenden Auffälligkeiten gab. Aber trotzdem: Eine solche Aufnahme, der Blick auf das eigene Gehirn, macht etwas mit einem.
Man kann die geheimnisvollen Strukturen sehen: Hirnwindungen und Furchen der Hirnrinde, die an ein Labyrinth erinnern. Die Oberfläche besteht aus Neuronen, hier wird das Denken erschaffen, die Wahrnehmung, der Charakter. Tief unten das Kleinhirn: sehr viel kompakter als die Hirnrinde. Hier werden Muskeln und Bewegungen koordiniert. Oder die sehr zarten Blutgefäße an der Oberfläche. Sehr dünn, sehr verästelt.
Das Gehirn wirkt geheimnisvoll – und sehr verletzlich. Es ist kaum vorstellbar, dass dieses Organ regelmäßige Stöße ohne größere Schäden überstehen kann: wie etwa Treffer beim Boxen. Tut es auch nicht.
Feine Auflösung ohne Strahlung
Der Anblick des eigenen Gehirns ist merkwürdig. Um es drastisch zu formulieren: Es ist, als wäre man bei seiner eigenen Obduktion dabei. Die moderne Technik ermöglicht Blicke in den eigenen Körper, die man nicht für möglich halten möchte – und die bis vor kurzem in dieser Qualität auch nicht möglich waren. Für einen Neurologen ist natürlich das Gehirn das spannendste Organ für eine solche Aufnahme. Die Technik hier war eine Kernspintomographie mit einem 3-Tesla-Gerät. Diese Tomographen produzieren ohne Strahlung bisher undenkbar feine Auflösungen der Strukturen.
In meinem Fall wurde noch eine 3-D-Rekonstruktion hinzugefügt: Aus wenig anschaulichen Schnittbildern rekonstruiert das Programm einen Blick auf die Oberfläche des Gehirns. Scheinbar dreidimensional. Als hätte man den Schädel abgenommen. Die Farben sind nicht echt, sie sind rekonstruiert, entsprechen aber den echten Farben.
Abbild des eigenen Gehirns: irritierend und beeindruckend
Das eigene Gehirn in dieser Darstellung zu sehen, verändert den Menschen: Es ist irritierend, genau den Ort zu sehen, an dem man Worte formuliert. Und den, an dem man Worte versteht – zwei getrennte Areale. Man findet den Ort, an dem wir Gerüche verarbeiten. Und Töne hören. Und schließlich weit vorn den Bereich, in dem der Charakter sitzt, die Persönlichkeit.
Die Reaktion ist zwiespältig: Einerseits sind die Strukturen beeindruckend komplex. Früher glaubte man, das Gehirn sei streng nach Funktionen sortiert, jede Erinnerung etwa sei in wenigen oder gar nur einer Zelle gespeichert – wie in einer gut sortierten Bibliothek. Längst ist klar, dass jede Erinnerung über das ganze Gehirn verteilt gespeichert wird. Sie koordiniert hervorzuholen, sich zu erinnern, ist überaus komplex. Hochachtung vor einem Organ, das komplizierter ist als alles, was wir kennen. Andererseits: Das soll schon alles sein, die ganze Persönlichkeit in einem Organ von 1300 Gramm? Es ist wohl so!