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HirnforscherWeniger Konsum, mehr Sport – wie wir unser Verhalten dauerhaft verändern

Lesezeit 6 Minuten
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Professor Gerald Hüther ist Neurobiologe und beschäftigt sich mit der Hirnentwicklung.

  1. Hirnforscher Gerald Hüther erklärt, warum die Funktion des Gehirns es Menschen so schwer macht, sich zu verändern.
  2. Weder Strafen, Belohnungen, kluge Ratschläge oder Belehrungen können Menschen dazu bringen, sich anders zu verhalten.
  3. Ein berührender Film oder zufälliger Moment sind es, die in Menschen den Wunsch ihr Leben nicht mehr so weiterzuführen, auslösen.

Köln – Endlich weniger Süßigkeiten essen, sich Kritik nicht mehr zu Herzen nehmen, nicht mehr so viel Kleidung einkaufen. Vorsätze sind schnell gemacht, doch das eigene Verhalten zu verändern, fällt uns Menschen schwer. Selbst, wenn wir wissen, dass unser Verhalten negative Konsequenzen hat – wie zum Beispiel übermäßiger Konsum.

Miserable Arbeitsbedingungen in Textilfabriken, verschmutze Flüsse und nur eine kurze Freude über neu gekaufte Dinge. Diese Fakten sind den meisten Menschen bewusst. Trotzdem verändern die wenigsten Menschen ihr Verhalten. Warum es uns so schwer fällt uns zu verändern, warum uns äußere Anreize nicht dazu bewegen können und was Würde mit dem eigenen Verhalten zu tun hat, erklärt der Hirnforscher Professor Gerald Hüther im Interview.

SUVs, Elektronik, Kleidung – noch nie haben wir so viel konsumiert wie heute, auch wenn wir wissen, dass dieser übermäßige Konsum schädlich ist.

Gerald Hüther: Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es ständig wachsenden Konsum – und immer mehr Menschen, die gern einkaufen. Menschen, die viel konsumieren sind allerdings immer Menschen, denen es nicht so gut geht, die also irgendwie unzufrieden, unglücklich sind.

Wer glücklich ist, konsumiert weniger?

Hüther: Glückliche Menschen brauchen nicht so viel. Wer aber unzufrieden ist, weil er seine wirklichen Bedürfnisse nicht stillen kann, sucht dann eben nach Ersatzbefriedigungen, wie beispielsweise einkaufen zu gehen, also shoppen, wie das heute heißt.

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Vor allem unglückliche Menschen konsumieren laut Gerald Hüther viel. 

Und welche wirklichen Bedürfnisse unterdrücken Menschen?

Hüther: Alle Menschen kommen mit einem riesengroßen Potential zur Welt. Im Gehirn gibt es unzählige Möglichkeiten, wie dort Verbindungen aufgebaut werden können. Kinder werden aber in unsere Gesellschaft hineingeboren, die den eigenen Bedürfnissen Grenzen setzt. Zum Beispiel ein Schüler, der statt seinem Bewegungsdrang ausleben zu können, ruhig auf einem Stuhl sitzen muss. Wir lernen im Laufe der Kindheit, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht.

Um in der Gesellschaft angenommen zu werden, unterdrücken wir dann Bedürfnisse wie den Bewegungsdrang, die Freude am eigenen Gestalten oder die Entdeckerlust. Für das Gehirn bedeutet es, dass diese Bedürfnisse gehemmt werden. Hemmt ein Mensch auf Dauer diese Bedürfnisse kann er innerhalb der Gesellschaft erfolgreich sein, aber er spürt gleichzeitig seine eigentlichen Bedürfnisse nicht mehr. Das bedeutet, man ist in sich selbst verwickelt. Bestimmte Bedürfnisse unterdrücken wir so sehr, dass wir sie nicht mehr fühlen.

Wir fühlen uns unglücklich, kaufen viele Sachen ein. Wissen aber auch, dass übermäßiger Konsum uns nicht glücklich machen kann, unserem Geldbeutel schadet und der Umwelt. Warum fällt es uns trotzdem so schwer, unser Verhalten zu ändern?

Hüther: Es hat etwas mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun, dass wir nur schwer ändern können, wie wir denken, fühlen oder handeln. Diese Verhaltensmuster haben wir uns durch unsere Erfahrungen angeeignet. Diese Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, werden dann zu inneren Einstellungen und Haltungen. Möchte ein Mensch seine Verhaltensweisen ändern, muss er seine bisherige Denkweise und seine Haltung abwandeln. Und das ist nicht einfach.

Können uns äußere Anreize dazu bringen, dieses erlernte Verhalten zu ändern?

Hüther: Um mich zu verändern, muss ich es selbst wollen. Das kann nicht durch Belohnung oder Bestrafung oder durch kluge Ratschläge oder Belehrungen beeinflusst werden.

Wie kann sich ein Mensch verändern?

Hüther: Um sich zu verändern, müsste ein Mensch seine Bedürfnisse wieder spüren. Bekommt eine Person wieder Zugang zu ihrer ursprünglichen Bewegungsfreude, dem Entdeckergeist, der Gestaltungslust, der Sinnlichkeit und der Körperlichkeit kann es so bezaubernd sein, dass sie gar nicht in die alten Verhaltensmuster zurück möchte und sich entschließt, nicht mehr so weiterzumachen wie bisher.

Um sich zu verändern, muss ein Mensch es wollen und wissen wohin er sich entwickeln möchte?

Hüther: Trainings oder Übungen bringen keine Verhaltensänderung. Auch mit eigener Anstrengung geht es nicht. Vielmehr müssen wir etwas wiederfinden, was wir unterwegs verloren haben: Wir müssen feinfühliger werden, achtsamer mit sich selbst umgehen und uns wieder besser spüren. Erzwingen kann man das nicht. Meist sind es zufällige Momente, die einem Menschen den Wunsch entfachen, sich zu verändern. Das kann ein berührender Film sein oder ein wunderschöner Baum.

Am ehesten verändern wir uns durch die Begegnung mit anderen Menschen, denen es gelungen ist, sich wieder mit sich selbst zu verbinden und ihre eigenen Bedürfnisse wiederentdeckt haben. Kinder, die ihre Bedürfnisse noch stärker spüren und ausleben als Erwachsene, sind es oft, die zu veränderten Sichtweisen und Einstellungen der Großen führen. Das sehen wir aktuell sehr gut an der „Fridays -for -Future-Bewegung“.

Eine Veränderung braucht also eine innere Motivation. In einem Interview haben sie erklärt, dass Würde dabei eine Rolle spielt. Sie verstehen unter dem Begriff Würde, dass der Mensch sich als Mensch an sich orientieren kann. Wie meinen Sie das?

Hüther: In unserer Gesellschaft bewerten sich Menschen gegenseitig, belehren sich, projizieren Absichten, Ziele und Vorstellungen auf andere. Wir nutzen andere Menschen für unsere Ziele und Zwecke. Das kommt daher, dass unserer Gesellschaft bisher sehr hierarchisch organisiert war: Die Menschen aus höheren Schichten haben die niedrigstehenderen Menschen bewertet und für ihre Zwecke genutzt.

Momentan brechen diese Hierarchien überall auf, in Familien, sogar in Unternehmen. Das führt dazu, dass wir ohne diese alten hierarchischen Ordnungsstrukturen etwas verloren und orientierungslos sind. An dieser Stelle ist es die Frage, ob es etwas anderes gibt, was uns hilft, unser Zusammenleben günstiger zu organisieren. Wenn wir nicht mehr die Vorschriften von außen haben, müsste diese Orientierung also von innen kommen. Wir müssten eine Haltung entwickeln, die uns hilft, uns auf unsere eigene Würde zu besinnen. Dann wären wir nicht mehr verführbar und könnten aufhören, andere Menschen zu belehren oder für die eigenen Zwecke und Ziele nutzen.

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Was wäre eine Umgebung, in der wir uns positiv entwickeln können?

Hüther: Wir sind als Menschen mit unserer Genetik nicht so stark vorprogrammiert, wie Tiere durch ihre festgelegten Instinkte. Alle Menschen sind Suchende: wir wissen nicht wie es geht – wissen nicht wie man ein Mensch wird. Wir müssen das erst im Lauf des Lebens lernen. Wenn wir als Suchende in der Welt unterwegs sind, kann es immer passieren, dass wir uns verirren. Aber Fehler sind dazu da, um zu lernen, wie es besser geht. Das wird allerdings schwierig in einer Gesellschaft, die alles kontrollieren möchte.

Das heißt, wir brauchen eine Kultur, die Fehler als Lerneffekt ansieht?

Hüther: Was wir bräuchten ist eine Kultur, in der jedes Kind und jeder Erwachsene, niemals das Gefühl haben muss, so wie es oder er ist, nicht richtig zu sein. Eine Kultur, in der Menschen liebevoll miteinander umgehen. Doch in so einer Kultur leben wir nicht – wir leben in einer Kultur, in der wir gezwungen sind, unsere wirklichen Bedürfnisse zu unterdrücken, in der es normal ist, andere Menschen zu bewerten und ihnen zu sagen, was sie machen sollen.

Um den Schmerz dieser Verletzungen zu ertragen, greifen Menschen zu Ersatzbefriedigungen wie Einkaufen gehen, Computerspiele spielen, oder Alkohol trinken. Das alles hilft zunächst, den Schmerz zu vergessen, und dem Gehirn einen positiven Impuls zu geben. Wird dieses Verhalten oft wiederholt, speichert es das Gehirn als gute Lösung ab und dann möchte man diese Erfahrung häufiger machen.

Herr Hüther, vielen Dank für das Gespräch.