AboAbonnieren

Schokolade, Chips, KuchenWarum wir Heißhunger haben und was dagegen hilft

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Schlechte Laune, Einsamkeit oder Wut können ein Grund sein, warum wir Appetit auf Fettiges oder Salziges bekommen.

Köln – Einer meiner Lieblingswitze geht so: „Ich habe hier eine verschließbare Box für Chipsreste.“ „Chipsreste? Was sind denn Chipsreste?“ Verstehen Sie, was ich meine? Vielen Menschen geht es ähnlich mit Schokolade. Nur einen Riegel essen? Unmöglich. Manchmal ist die Lust auf etwas Salziges, Süßes oder Fettiges so groß, dass wir nicht widerstehen können und viel mehr essen als uns gut tut. Woher kommen diese Heißhunger-Attacken und wie bekommen wie sie in den Griff?

„Es ist kein rein mentales Problem. Sie sind kein unbeherrschtes, chaotisches Gefühlsbündel, das sich einfach mal zusammenreißen sollte. Den meisten Menschen ist es nicht möglich, sich konsequent gesund zu ernähren, sich dauerhaft wohlzufühlen oder immer top auszusehen. Es liegt nicht an Ihrer Willenskraft“, schreibt Julia Ross in ihrem Buch „Die Heißhungerkur. Welcher Sucht-Typ sind Sie?“, in dem sie Heißhunger-Gelüste biologisch aufschlüsselt.

Schnelle Kohlenhydrate bedeuten „Überleben“

Schokolade, Kekse, Knabbergebäck, Konfitüre, Chips und Teigwaren enthalten viele Kohlenhydrate und haben einen hohen glykämischen Index. Sie lassen den Insulinspiegel im Blut in die Höhe schießen und kurz danach wieder abfallen. Die Folge: Der Hunger ist sofort wieder da. Die vielen Kohlenhydrate – vor allem in süßen Sachen – sind außerdem genau das, was unser Steinzeit-Gehirn mit sicherem Überleben verbindet, deshalb springen wir so sehr darauf an. Wer Heißhungerattacken durchbrechen und vermeiden will, sollte diese Lebensmittel eine Zeitlang meiden, sie jedoch nicht für immer vom Speiseplan streichen, sondern sie stattdessen bewusst konsumieren.

Körperliche Gründe für Heißhunger

Bis in die 1970er-Jahre war Heißhunger kein Problem für die Menschen. „Erst mit dem Aufkommen der stark bearbeiteten, industriellen Lebensmittel geriet unser Hunger- und Sättigungsgefühl aus dem Takt. Das Gehirn reagierte auf die künstlichen Inhaltsstoffe wie ein Süchtiger“, schreibt Julia Ross. Besonders abhängig machen Untersuchungen zufolge Pizza, Gebäckdesserts mit Schokoladengeschmack, Chips, Kekse und Eiscreme. Der Schlüssel zur Appetit-Regulation liegt für Ross im Gehirn. Sie schreibt: „Wenn Ihr Gehirn ordnungsgemäß funktioniert, dient es als Heißhunger-Kontrollzentrum. Wenn die Funktion dieser zentralen Steuerungseinheit gestört ist und die Pegel der wichtigsten Appetitregler zu weit absinken, tauchen automatisch Heißhunger-Attacken auf. Sobald das geschieht, kann kein Diätplan auf Dauer funktionieren.“

Zum Weiterlesen: körperliche Ursachen und Lösungen für Heißhunger

Neuer Inhalt

Julia Ross: Die Heißhungerkur. Welcher Sucht-Typ sind Sie?, Klett-Cotta, 560 Seiten, 22 Euro

Mark Bittmann, David L. Katz: How to eat. Was, wann, wie viel und warum? Fragen, auf die das Bauchgefühl keine Antwort hat, Lübbe life, 293 Seiten, 18 Euro

Dr. Heike Niemeier: Essen gut, alles gut. Wie wir wieder lernen, auf unser Bauchgefühl zu hören. Kiwi, 368 Seiten, 16 Euro

Die fünf Heißhunger-Typen

Serotonin, Glukose, Endorphin, Gamma-Amino-Buttersäure und Katecholamine regeln das Hunger- und Sättigungsgefühl. Je nach Heißhunger-Typ fehlt nach Ross‘ Theorie etwas davon. In ihrer Arbeit als Psychotherapeutin und Ernährungsberaterin hat sie fünf Heißhunger-Typen kategorisiert:

Der depressive Heißhungrige

Die Attacken werden durch einen Mangel an Serotonin hervorgerufen. Die Symptome: starkes Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln am Nachmittag oder Abend, negative Einstellung oder Depression, Hyperaktivität, zwanghafte Gedanken oder Verhaltensweisen, Phobien, nervöser Magen, Migräne, nachtaktiv, oft Schlafstörungen. Helfen können Lebensmittel mit der Aminosäure Tryptophan, zum Beispiel Haferflocken, Sojabohnen, Erdnüsse, Huhn, Edamer, Cashewkerne, Linsen, Thunfisch und Erdnüsse.

Der Zuckercrash-Heißhungrige

Bei diesem Typ sind Blutzuckerdefizite der Grund für den Hunger. Diese Menschen sind gereizt, gestresst, nervös und haben ein starkes Verlangen nach zucker- oder stärkehaltigen Nahrungsmitteln oder Alkohol. Für sie sind regelmäßige Mahlzeiten sehr wichtig, um ein Absinken des Blutzuckers zu verhindern.

Der Trost-Heißhungrige

Hier fehlen die köpereigenen Endorphine, auch Glückshormone genannt. Betroffene sind schmerzempfindlich, weinerlich, haben vor allem Hunger auf Schokolade, Backwaren, Cremespeisen oder Alkohol. Hier hilft die Aminosäure D-Phenylalanin, die beispielsweise in Lachs, Walnüssen, Geflügel oder getrockneten Erbsen enthalten ist.

Der gestresste Heißhungrige

Die Attacken werden ausgelöst, weil der Gamma-Aminosäure-Buttersäure-Spiegel (GABA) zu niedrig ist, der beruhigend wirkend soll. GABA ist der biochemische Gegenspieler des Adrenalins. Ein Mangel äußert sich durch verspannte Muskeln, ein Gefühl von ständigem Stress und ewiger Überarbeitung und Überforderung. Betroffene geraten leicht aus der Fassung, können schlecht einschlafen und nutzen Essen, Alkohol oder Drogen, um diesen Symptomen zu entfliehen. Für diesen Typ ist es wichtig, zur Ruhe zu kommen, sich zu entspannen und ausreichend zu schlafen.

Der erschöpfte Heißhungrige

Grund für den Heißhunger ist ein Mangel an den Katecholaminen Dopamim, Noradrenalin und Adrenalin, die als natürliche Stimulanzien dienen. Menschen dieses Typs lechzen nach Koffein und Schokolade, haben wenig Energie, sind antriebslos, schnell gelangweilt und haben Konzentrationsprobleme. Helfen können die Aminosäuren Tyrosin und Phenylalanin, die zum Beispiel in Lachs, Thunfisch, Walnüssen, Kürbiskernen, Bohnen und Erbsen enthalten sind.

Die wichtigsten Tipps gegen Heißhunger

Neue Wege finden

Versuchen Sie, Glücksmomente, die Sie bisher durch Essen erlebt haben, auf eine andere Weise zu erreichen, beispielsweise durch Sport, Entspannung, ein neues Hobby oder die Kommunikation mit Freunden.

Auf das Sättigungsgefühl achten

Unbedingt langsam essen, Pausen machen und auf das Sättigungsgefühl achten. Hören Sie auf, sobald Sie satt sind. Es hilft, viel Wasser zu trinken. Beim Essen in Gesellschaft sollten Sie sich nicht davon abhängig machen, wie viel oder wenig die anderen essen.

Bitter gegen Süß

Bitterstoffe helfen gegen Heißhunger auf Süßigkeiten. Entweder Schokolade mit 70 Prozent Kakaoanteil essen oder viel Rucola, Chicorée, Rosenkohl, Artischocken und Brokkoli zu sich nehmen.

Entspannung suchen und bewegen

Je entspannter wir sind, desto besser ernähren wir uns. Achten Sie auf regelmäßigen und ausreichenden Schlaf (etwa sieben bis neun Stunden pro Nacht) und regelmäßige Bewegung an der frischen Luft. Bewegung ist das beste Mittel gegen Essen aus Langeweile oder Stress, denn Bewegung baut das Stresshormon Cortisol ab und fördert Glücksgefühle.

Verbote abschaffen

Verbote sind kontraproduktiv und lassen sich auf Dauer nicht durchhalten. Grundsätzlich ist kein Lebensmittel verboten. Die Menge ist entscheidend.

Proteine essen

Proteine machen satt und unterbinden den Heißhunger. Sie sind enthalten in Quark, Fleisch, Fisch und in vielen Gemüsesorten. Wichtig sind auch genug Ballaststoffe, wenig gezuckerte Getränke und viel Gemüse.

Zwischenmahlzeiten einplanen

Damit der Hunger nicht zu groß wird, sollten Sie sättigende Zwischenmahlzeiten einplanen, bei denen Eiweiße und Kohlenhydrate ausgeglichen sind. Beispiele: griechischer Joghurt mit Obst, getrocknete Cranberrys und Mandeln, Gemüsesaft und Ei, Vollkornbrot und Erdnussbutter, Apfel und Käse, Cracker und Hummus, Rohkost und Erdnüsse.

Achtsamkeit

Richten Sie Ihre Wahrnehmung auf das Hier und Jetzt. Wer achtsam ist, kann alltägliche Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten und neutraler sein. So gelingt es, mit schwierigen Situationen besser umzugehen.

Emotionale Gründe für Heißhunger

Mindestens genauso oft wie aus körperlichen Gründen entsteht Heißhunger aus einem Gefühl heraus. Wenn wir gestresst oder traurig sind, neigen wir besonders dazu, Süßkram, Knabberzeug oder Junkfood in uns hinein zu stopfen, dicht gefolgt von einem schlechten Gewissen. Die Ernährungswissenschaftlerin Isabelle Huot und die Psychologin Catherine Senécal befassen sich in ihrem Buch „Wenn alles doof ist, hilft nur noch Schokolade. Schluss mit Heißhunger und Frustessen“ mit dem Zusammenhang von Essen und Emotionen. Sie sagen: „Negative Gefühle wie Wut, Einsamkeit, Langeweile und Angst oder auch Stress, selbst auferlegte Zwänge und ein schlechtes Körperbild sind Auslöser für ein Essverhalten, das nicht der Sättigung, sondern der Bewältigung von Ängsten dient.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Schlüssel liege darin, Essverhalten und Emotionen voneinander zu trennen. Dazu müsse man zuerst seine Handlungsmuster erkennen und dann Alternativen zum Essen finden, um die negativen Gefühle abzubauen. Beispiele: ein Bad nehmen, mit einer Freundin telefonieren, Yoga machen, bewusst atmen oder schlafen gehen.

Zum Weiterlesen: emotionale Ursachen und Lösungen für Heißhunger

Neuer Inhalt

Dr. Isabelle Huot, Dr. Catherine Senécal: Wenn alles doof ist, hilft nur noch Schokolade? Schluss mit Heißhunger und Frustessen!, mankau Verlag, 223 Seiten, 14,95 Euro

Kathrin Vergin: Das Emotional-Eating-Tagebuch. Lerne, dein Essverhalten besser zu verstehen und zu steuern, rororo, 267 Seiten, 25 Euro

Zu strenge Regeln oder Diäten sollten gestrichen werden

Auch der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel könne dazu führen, dass man erst recht Hunger auf sie bekommt. Zu strenge Regeln und Diäten sollten also gestrichen werden. Motto: „Kein Lebensmittel ist verboten, es sollte aber auf die Menge geachtet werden“. Wichtig ist auch, auf das Hungergefühl zu achten und wirklich aufzuhören, wenn man satt ist. Lassen Sie sich Zeit beim Essen und genießen Sie. Versuchen Sie, nur zu essen, wenn Sie wirklich hungrig sind und lassen Sie sich nicht davon beeinflussen, wie viel oder wenig andere essen.

Aufschreiben, welches Gefühl man beim Essen hatte

Ein Tagebuch kann sehr nützlich sein, um die eigenen Essgewohnheiten und die dahinter steckenden Gefühle besser zu verstehen. So erkennen Sie, ob das Heißhungergefühl immer im gleichen Zusammenhang auftaucht und welcher Gedanke der stärkste ist, wenn Sie die Kontrolle über Ihr Essverhalten verlieren. Hilfreich ist dabei zum Beispiel „Das Emotional Eating-Tagebuch“ von Kathrin Vergin. Durch konsequentes Aufschreiben von Stimmung und Ernährung über zwölf Wochen soll ein Bewusstsein dafür entstehen, welche Emotionen für ein bestimmtes Essverhalten verantwortlich sind. Außerdem gibt es einen Grundkurs über die wichtigsten Lebensmittel für eine gesunde Ernährung und Tipps zur Etablierung neuer Verhaltensmuster.