Gründe für hohe Fehlzeiten seien nicht die Blaumacher, sondern häufig im Unternehmen zu finden, behauptet Fehlzeiten-Experte Manuel Fink.
Hoher Krankenstand„Je zufriedener eine Person, desto geringer die Gefahr einer Krankmeldung“
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Immer öfter bleibt der Schreibtisch leer: Die Fehlzeiten in deutschen Unternehmen haben einen Höchststand erreicht – aus vielerlei Gründen.
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Unmotiviert, krank und schon längst innerlich gekündigt – das sind einige der Vorwürfe und Zuschreibungen, die sich deutsche Beschäftigte gefallen lassen müssen. Und sie lassen sich sogar belegen: Nur 48 Prozent gaben in einer aktuellen Umfrage der Beratungsgesellschaft EY an, bei der Arbeit ihr Bestes zu geben. 60 Prozent der Beschäftigten fühlen sich laut einer neuen Linked-in-Umfrage im Job gelangweilt und unterfordert.
Die Zahl der Krankmeldungen erreichte zuletzt neue Höchststände, was eine Diskussion über die Wiedereinführung sogenannter Karenztage auslöste. Es sei zu einfach sich krankzumelden, argumentierten Topmanager und Politiker. Daher brachten sie den Vorschlag ins Spiel, die Lohnfortzahlung am ersten Tag der Krankmeldung zu streichen. Muss man Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland nun tatsächlich vom Blaumachen abhalten?
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Manuel Fink zeichnet ein ganz anderes Bild der deutschen Beschäftigten – und der Gründe, warum viele von ihnen ausfallen. Fink ist seit 25 Jahren als Führungskraft im Personalmanagement tätig und Experte für Fehlzeitenmanagement. „Es ist schade, dass wir in der aktuellen Diskussion nur über die Krankmacher reden“, sagt er. Die Gruppe derjenigen, die keine gesundheitlichen Einschränkungen haben, aber trotzdem nicht zur Arbeit gehen, beziffert er auf etwa 10 Prozent. „Es geht um die 90 Prozent, die einen guten und engagierten Job machen, damit das Unternehmen läuft.“
Fünf verschiedene Ursachen führen zu Krankmeldungen
Fink behauptet, dass viele Gründe, die zu Fehlzeiten führen, beeinflussbar seien. Er unterscheidet fünf Ursachen. Die offensichtlichste: Menschen fallen aus medizinischen Gründen aus. In diesem Fall gilt: Wer krank ist, ist krank, und sollte sich zu Hause auskurieren. Die zweite Ursache ist eine schädliche Arbeitsgestaltung: „Wenn eine Pflegekraft einen Bandscheibenvorfall erleidet, weil bei den häuslich zu pflegenden Patientinnen und Patienten keine Hebehilfen vorhanden sind“, nennt Fink ein Beispiel. Hierbei handle es sich um einen tatsächlichen, aber beeinflussbaren und damit vermeidbaren Krankheitsausfall. Besserer Arbeitsschutz, betriebliches Gesundheitsmanagement und gesunde Arbeitsbedingungen würden dazu beitragen, schädliche Arbeitsgestaltung und damit Fehlzeiten zu reduzieren.
Auch die weiteren Ursachengruppen seien beeinflussbar. Bei ihnen handle es sich aber um Krankmeldungen, obwohl die Beschäftigten gar nicht krank sind. Etwa dann, wenn persönliche Gründe zum Ausfall führen: die Erkrankung von Angehörigen, fehlende Kinderbetreuung oder Beziehungsprobleme. Als vierten Grund nennt Fink interne Konflikte im Unternehmen, zum Beispiel die klassische Retourkutsche: Als Reaktion auf Konflikte mit Vorgesetzten folgt am nächsten Tag die Krankmeldung. Ein Fall von mangelnder Motivation, der durch Dialog stark beeinflussbar ist, sagt Fink.
Bei der fünften Ursachengruppe, den Krankmachern, spricht er nicht nur von mangelnder Motivation, sondern von Missbrauch der Sozialgesetzgebung. In dieser Gruppe sieht Fink eine mangelhafte Arbeitsmoral und Charakterdefizite als Ursache der Abwesenheit. „Diese Fälle müssen wir unbedingt identifizieren.“ Würden Vorgesetzte dieses Verhalten nicht ahnden, frustriere das alle leistungstragenden und teamorientierten Mitarbeitenden. Und die sind ja, erinnert Fink, die große Mehrheit.
Präsentismus ist weit verbreitet
Stärker verbreitet als blauzumachen ist es, trotz Erkrankung am Arbeitsplatz zu erscheinen. Gerade zeigte eine repräsentative DGB-Studie, dass 63 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr trotz Erkrankung mindestens einen Tag gearbeitet haben. 44 Prozent sagten, sie hätten sogar eine Woche oder länger krank gearbeitet. Dieses Phänomen des Präsentismus habe in den vergangenen Jahren zugenommen, heißt es in der Studie.
Manuel Fink nennt als häufige Gründe für ein solches Verhalten unter anderem Personalmangel, die Angst vor Arbeitsplatzverlust, Schuldgefühle und Auftragsdruck. „Bei Präsentismus wissen wir, dass Arbeiten trotz Erkrankung für die Firmen hohe Kosten verursachen kann.“ Verschleppte Erkrankungen führten zu weiteren Belastungen, womit die Gefahr von langfristigen Erkrankungen steige. Daneben führe Präsentismus zu einer niedrigeren Leistungsfähigkeit und Produktivität.
„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten bei Krankheit schlicht und ergreifend nicht arbeiten und sich krankmelden“, sagt Johanna Baumgardt, Forschungsbereichsleiterin für Betriebliche Gesundheitsförderung am Wissenschaftlichen Institut der AOK (Wido). Das gelte auch für das Arbeiten im Homeoffice. Die Forscherin und Mitherausgeberin des jährlich erscheinenden Fehlzeitenreports sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass sich Beschäftigte in Deutschland zu häufig krankmeldeten.
Handfeste Gründe für den Anstieg der Fehlzeiten
Stattdessen gebe es handfeste Gründe für den Anstieg, wie die Einführung der elektronischen Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der telefonischen Krankmeldung. „Auswertungen unseres Instituts lassen den Schluss zu, dass mit der telefonischen Krankschreibung bis dato sehr verantwortungsvoll umgegangen wurde“, sagt die Wido-Forscherin. Sie verweist außerdem auf medizinische Studien, die eine erhöhte Zahl schwerer bakterieller Atemwegserkrankungen als vor der Corona-Pandemie zeigen. Zu den bereits vorhandenen Erkrankungen kommen außerdem seit 2020 noch die Covid-19-Infektionen hinzu.
Doch wie können Unternehmen nun dazu beitragen, dass sich erkrankte Beschäftigte tatsächlich erholen können? Und wie können sie den verschiedenen Gründen für Krankmeldungen besser begegnen? Johanna Baumgardt verweist auf die Potenziale besserer Prävention, etwa durch betriebliches Gesundheitsmanagement. Außerdem sollten Unternehmen sich stärker engagieren, um herauszufinden, welche Faktoren zu gesunden oder ungesunden Arbeitsbedingungen beitragen.
Auch Manuel Fink verweist auf die Organisationsebene und betont die Rolle der Führungspersonen. Es brauche mehr Dialog über das Thema Fehlzeiten. „Das heißt nicht, dass Vorgesetzte fragen sollten, was jemand hatte, wenn er an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Das ist rechtlich auch nicht zulässig.“
„Menschen sind von Natur aus motiviert“
Nach der Fehlzeit sei aber eine günstige Gelegenheit, um das Gespräch zu suchen, ob die Gründe für den Ausfall im betrieblichen Umfeld zu finden sind. Fühlen sich Beschäftigte über- oder unterfordert? Gibt es Unzufriedenheit mit Vorgesetzten? Gibt es Belastungen durch Lärm oder Hitze? Fehlt es an Entwicklungsmöglichkeiten im Job?
Motivationsbedingte Abwesenheit werde zum größten Teil durch Mängel in der Arbeitsorganisation und Defizite in der Führungsarbeit verursacht, sagt Fink. „Je zufriedener eine Person ist, desto geringer ist die Gefahr einer Krankmeldung.“ Unternehmen könnten durch einen besseren Dialog herausfinden, ob es Faktoren gibt, die Ausfälle künftig von vornherein vermeiden.
Darüber hinaus zeigten Führungskräfte durch Gesundheitsfördergespräche, wie sie Fink vorschweben, Wertschätzung für die Mitarbeitenden. Sie fühlten sich gesehen, wenn zur Kenntnis genommen werde, dass sie an den Arbeitsplatz zurückkehren. „Wenig ist schädlicher für die Motivation als das Gefühl: Ich mache keinen Unterschied“, so Fink. Er mache sich keine Sorgen um die individuelle Leistungsbereitschaft: „Menschen sind von Natur aus motiviert.“ Das Problem sei aber: Sie werden häufig demotiviert. Motivation zu fördern, aber wichtiger noch, Demotivation zu vermeiden, seien die beiden wichtigsten Aufgaben von Führungskräften.