Chemie-Nobelpreisträger Venki Ramakrishnan kennt den großen Hype um neue Anti-Aging-Präparate. Ein Gespräch über Wunderpillen und Probleme einer ohnehin schon alternden Gesellschaft.
Interview mit Nobelpreisträger RamakrishnanWerden die Menschen irgendwann 120 Jahre alt?
Von seinem Büro aus, in direkter Nähe zum Forschungslabor, dem renommierten Laboratory of Molecular Biology (LMB) im britischen Cambridge, schaltet sich Venki Ramakrishnan zum Gespräch zu. Bekannt ist der Molekularbiologe insbesondere seit 2009, als er den Chemie-Nobelpreis für seine Forschung bekam. Es gelang ihm, die Struktur der aus Hunderttausenden von Atomen bestehenden Ribosomen (Zellpartikel, Anm. der Redaktion) zu entschlüsseln, was unter anderem für die Herstellung von Antibiotika bedeutsam war.
Inzwischen ist Ramakrishnan 72 Jahre alt. Er forscht immer noch – und beschäftigt sich mit unserem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verständnis vom Altern. Von 2015 bis 2020 war er Präsident der Royal Society, der nationalen Akademie der Wissenschaften des Vereinigten Königreichs.
Herr Ramakrishnan, es gibt sie noch nicht, die Wunderpille, die man einnimmt und plötzlich 120 Jahre alt wird ...
Nein, so etwas gibt es nicht. Auch wenn manche Leute Ihnen das sicherlich erzählen wollen. Ich würde sagen, dass wir innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre wissen, was wirklich funktioniert – und was nicht. Vielleicht wird es wirklich eine Pille geben, die im Alter helfen kann. Es kann sein, dass wir den körperlichen Verfall hinausschieben und irgendwann 110 Jahre alt werden. Aber ich weiß es nicht.
In Ihrem Buch „Warum wir sterben“ beschreiben Sie, wie Forschende momentan bereits versuchen, den Alterungsprozess besser zu verstehen und die Lebenserwartung zu erhöhen. Welche Ansätze werden da verfolgt?
Forschende schauen beispielsweise, ob man mit einer bestimmten Ernährung Bausteine ergänzen kann, die dem Körper helfen, im Alter wichtige chemische Verbindungen herzustellen. Es gibt vielversprechende Hinweise aus Experimenten mit Mäusen, denen bestimmte Nahrungsergänzungsmittel gegeben wurden. Die Lebensspanne konnte darin zwar nicht verlängert werden, aber die Mäuse wurden für eine gewisse Zeit gesünder. Ich denke, das ist ein vielversprechender Bereich.
Gibt es weitere?
Forschende versuchen, sogenannte seneszente Zellen mit Medikamenten abzutöten. Das sind beschädigte Zellen, die aufhören sich zu teilen, aber noch Entzündungsmoleküle ausscheiden. Das ist ein Problem, weil diese die Alterung noch gesunder Zellen vorantreiben. Je älter wir werden, desto mehr solcher Zellen gibt es. Man versucht also, dass die intakten Zellen in Ruhe gelassen werden.
Und klappt das schon?
Es gibt einen großen Hype. Es wird aber bestimmt noch einige Zeit dauern, bis das funktioniert. Nehmen wir das Immunsuppressivum Rapamycin. Es verhindert die Bildung bestimmter Proteine. Die braucht aber das Immunsystem. Wie stellt man sicher, dass es nicht zu Nebenwirkungen kommt? Dass man wirklich nur seneszente Zellen abtötet und keine gesunden? Solche Probleme gilt es noch zu lösen. Der Ansatz ist aber vielversprechend.
Wenn es um die Lebenserwartung geht, wurde in den vergangenen Jahren auch schon viel erreicht.
In westlichen Ländern leben Menschen im Schnitt viel länger als noch vor 100 Jahren. Das liegt unter anderem daran, dass man Krebs, Herzkrankheiten und Diabetes immer besser behandeln kann. Sie werden über 80 Jahre alt, viele 90, sehr wenige 100 oder älter. Es gibt auch jetzt schon Dinge, die uns helfen können. Dinge, die besser sind als alle Pillen, die derzeit auf dem Markt sind.
Sie zeigen da auch auf den persönlichen Spielraum. Auf die Bereiche Essen, Schlafen, Bewegung.
Genau. Wir können viel tun, bevor die Industrie mit einer lebensverlängernden Pille aufwartet. Eine maßvolle Ernährung, bei der man nicht zu viel isst und lange Intervalle zwischen den Mahlzeiten einhält, könnte eine ähnliche Wirkung haben. Bewegung kann dabei helfen, Gewebe zu regenerieren, das sich mit dem Alter verschlechtert. Insbesondere der Mitochondrien: Das sind wichtige Organellen in unserer Zelle. Darin wird unsere Energie produziert. Bewegung kann die Produktion von Muskeln und weiterer Zellen anregen, die beim Altern sehr wichtig sind. Schlaf ist wichtig. Dabei werden viele der Schäden repariert, die im Laufe des Lebens auftreten. Es besteht auch eine komplexe Beziehung zwischen unserem Gehirn und dem Rest unseres Körpers: Soziale Isolation kann die Sterblichkeit erhöhen. Ein Sinn im Leben verringert hingegen die Sterblichkeit – zumindest wird das allgemein beobachtet.
Sehen Sie biologische Grenzen, wenn es um das Verlangsamen der Alterung geht?
Ich denke, dass es sehr schwierig sein wird, die Alterung des Gehirns zu bekämpfen. Wir leiden unter kognitivem Verfall. Das ist etwas, was derzeit nicht lösbar ist. Wenn Menschen älter werden, kann man nicht erwarten, dass sie die gleiche Arbeit leisten wie mit 30 oder 40 Jahren. Sie sind einfach nicht mehr in der Lage dazu. Man wird neue Aufgaben für sie finden müssen. Die Gesellschaft wird sich so anpassen müssen, dass alle Menschen weiterhin einen nützlichen Beitrag leisten können.
Sie selbst sind 72 Jahre alt. Was sind Ihre persönlichen Strategien, um dem Alterungsprozess zu begegnen?
Ich halte mich an eine gesunde Ernährung, Schlaf und Sport. Manchmal ist es auch für mich schwierig, diszipliniert zu bleiben. Ich liebe Nachspeisen, vor allem Kuchen. Ich habe mein Handy am Bett liegen und scrolle Nachrichten, was eigentlich sehr schädlich ist. Meine Frau ist da vorbildlich – sie legt sich einfach ins Bett und schläft ein.
Welchen Sport treiben Sie?
Ich mache Aerobic-Übungen, die sind gut für das Herz-Kreislauf-System. Ich fahre jeden Tag zehn Kilometer mit dem Rad zur Arbeit. Im Fitnessstudio mache ich Krafttraining, um meine Muskeln zu erhalten. Ich mache das aber nicht mit dem Gedanken, länger leben zu wollen. Sondern weil ich mich dadurch einfach besser fühle. Ich bin energiegeladener und allgemein glücklicher, wenn ich Sport treibe.
Die Arbeit und die Forschung spielen in Ihrem Leben sicherlich auch eine große Rolle.
Ich leite momentan noch eine aktive Forschungsgruppe, die sich mit der Molekularbiologie der Proteinsynthese beschäftigt. Also damit beschäftigt, wie unser Körper die Herstellung von Proteinen steuert und die Qualität kontrolliert. Genau dieser Prozess ist übrigens auch mit dem Alterungsprozess verbunden, auch wenn ich selbst nicht speziell in diesem Bereich forsche. Ich werde mein Labor aber nächstes Jahr schließen. Eigentlich hätte ich das schon vor zwei Jahren machen sollen.
Wieso?
Mein Platz sollte von jüngeren Forschenden eingenommen werden, die dann ein völlig neues Gebiet aufbauen. Wissenschaftler in den USA arbeiten häufig noch, wenn sie älter als 80 Jahre alt sind. Zum Teil, weil sie Macht und Einfluss genießen und nicht bereit sind, das aufzugeben. Sie sagen: „Wir leisten immer noch großartige Arbeit.“ Damit meinen sie aber eigentlich all die jungen Leute, die die eigentliche Arbeit im Labor tun. Sie selbst helfen nur dabei, die ganze Sache zu finanzieren.
Aber die Weisheit kommt doch mit dem Alter ...
Klar: Wenn man 20 Jahre alt ist, hat man noch nicht viel Lebenserfahrung. Die meisten echten sozialen Veränderungen, neuen Ideen, wissenschaftlichen Durchbrüche werden aber von jungen Menschen vorangetrieben. Ich glaube nicht, dass ein 70- bis 80-Jähriger weiser ist als ein 40- oder 50-Jähriger. Dafür gibt es keine Evidenz. Ältere Menschen können resistenter gegenüber Veränderungen sein. Sie sammeln Macht, Reichtum, Einfluss und haben Netzwerke. Darin liegt auch eine Gefahr: Wenn immer mehr Menschen älter werden, führt das zu einem Ungleichgewicht in der Gesellschaft. Ein festes Rentenalter, wie in vielen europäischen Ländern, ist aber auch keine gute Sache. Menschen altern unterschiedlich schnell und haben unterschiedliche Berufe. Man kann nicht von jemandem mit harter körperlicher Arbeit erwarten, genauso lange zu arbeiten wie jemand mit einem Schreibtischjob, wie ich ihn habe.
Gäbe es demnächst lebensverlängernde Mittel, könnte sich das dann wahrscheinlich auch nicht jeder und jede leisten ...
Es kommt darauf an. Beispielsweise sind Blutdruckmedikamente und Cholesterinsenker heute schon in weiten Teilen der Welt sehr günstig und für viele Menschen verfügbar. Andere Therapien könnten aber in der Tat sehr teuer sein. Es gibt beispielsweise die Idee, Zellen so umzuprogrammieren, dass sie dabei helfen, Gewebe zu regenerieren. So eine Behandlung wäre kompliziert und teuer – und würde womöglich ausschließlich bei wohlhabenden Menschen durchgeführt. Das ist ja heute auch schon so: Reiche leben wesentlich länger als Arme.
Welches Worst-Case-Szenario, welches Best-Case stellen Sie sich vor, wenn Sie auf die Alterungsforschung schauen?
Schlimmstenfalls kommt dabei nichts heraus, was wir tatsächlich nutzen können. Es geht ja auch nicht nur darum, die Lebenserwartung an sich zu erhöhen. Die eigentliche Frage ist doch: Kann man eine immer älter werdende Gesellschaft möglichst gesund und unabhängig halten? Im besten Fall gibt es künftig Mittel, die zusätzlich zu Bewegung, Schlaf und Ernährung länger gesund halten, mehr Energie geben und den Muskelabbau verringern. Vielleicht können wir auch die Alterung generell beeinflussen – aber wir wissen es noch nicht.