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Dauerbeschallung durch KopfhörerWarum eine Schwerhörigkeitsepidemie droht

Lesezeit 4 Minuten
Ein junger Mann hört mit Kopfhörern Musik.

Zu laute Musik über lange Zeit schädigt unser Hören langfristig.

Viele Teenager hören täglich mehrere Stunden Musik in einer Lautstärke, die empfohlene Grenzwerte deutlich überschreitet. Das birgt enorme Risiken, wie Studien zeigen. Die WHO schlägt Alarm.

Kopfhörer zum Aufsetzen oder ins Ohr stecken werden auch in diesem Jahr unter vielen Weihnachtsbäumen liegen. So angenehm es für Eltern sein mag, nicht mehr die hundertste Wiederholung des Lieblingshörspiels oder die Musikauswahl des jugendlichen Nachwuchses mithören zu müssen: Bei der Nutzung von Kopfhörern sollte auf Grenzen geachtet werden, um dauerhafte Hörschäden zu vermeiden, mahnen Experten. Es drohe eine lärmbedingte Schwerhörigkeitsepidemie, wenn die heutigen jungen Generationen die Lebensmitte erreichten.

Viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hörten täglich mehrere Stunden Musik in einer Lautstärke, die empfohlene Grenzwerte deutlich überschreite, hatten Forscher schon vor einiger Zeit im „Journal of the Acoustical Society of America“ gewarnt.

Teenager besonders gefährdet

Besonders Teenager haben gern pausenlos Musik im Ohr – und das oft viel zu laut, wie eine im Fachblatt „BMJ Global Health“ vorgestellte Metaanalyse ergab. Die Autorinnen um die Lauren Dillard von der Medical University of South Carolina warnen, dass mehr als eine Milliarde junge Menschen potenziell von Hörverlust bedroht sind, wobei neben der Nutzung von Kopfhörern auch der Besuch lauter Musikveranstaltungen eine Rolle spielt. Umso dringender sei es, Maßnahmen zum Schutz des Gehörs in den Vordergrund zu stellen.

Schon im vergangenen Jahr schlug die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm: In ihrem „World Report on Hearing“ wies sie darauf hin, dass weltweit 1,6 Milliarden Menschen in ihrem Hören eingeschränkt seien (davon 430 Millionen in schwerem Ausmaß). Bis zum Jahr 2050 könnte diese Zahl auf rund 2,5 Milliarden steigen, wenn der Prävention von Hörverlust keine Priorität eingeräumt werde.

Der WHO-Bericht enthält keine länderspezifischen Daten – wie der Bundesverband der Hörsysteme-Industrie (BVHI) allerdings mitteilt, geben in Deutschland zehn Millionen Menschen an, mit einer Schwerhörigkeit zu leben. Der Verband erklärt zudem, dass eine unversorgte Hörminderung in jeder Lebensphase schwerwiegende Konsequenzen habe: von verzögerter Sprachentwicklung in Kindheit und Jugend über soziale Isolation bis hin zu einem höheren Risiko für Arbeitslosigkeit im Erwerbsalter. Darüber hinaus sei Schwerhörigkeit im mittleren Lebensalter der größte modifizierbare Risikofaktor für eine Demenzerkrankung. Schon 2014 teilte die Bundesärztekammer mit, dass Hörstörungen durch Umwelt- und Freizeitlärm bei Kindern und Jugendlichen zunähmen.

So laut wie das Kreischen einer Kettensäge

Wie die Autorinnen um Lauren Dillard betonen, umfasste ihre Analyse keine Studien aus einkommensschwachen Ländern. Gerade dort sei die Gefahr aufgrund begrenzter Vorschriften vermutlich hoch. Doch auch in anderen Ländern würden Richtlinien für Wiedergabegeräte und Vergnügungsstätten häufig kaum durchgesetzt. So solle die Lärmbelastung den Großteil der Zeit nur etwa 80 Dezibel und weniger betragen – tatsächlich aber ließen sich die Nutzer von Kopfhörern im Durchschnitt mit 105 Dezibel beschallen. Der durchschnittliche Schallpegel bei Vergnügungsstätten liege zwischen 104 und 112 Dezibel. Zum Vergleich: 100 Dezibel entsprechen dem Kreischen einer Kreissäge.

Was passiert, wenn ein hoher Schallpegel aufs Gehör trifft? Schall wird im Ohr als Impulswelle über das Trommelfell und die Gehörknöchelchen zur Hörschnecke (Cochlea) geleitet. Dort liegt das sogenannte Corti-Organ mit rund 15 000 Haarzellen. Der Schall streicht wie eine Wasserwelle über die Haarzellen, welche den Reiz in bioelektrische Impulse umwandeln und als Hörinformation ans Gehirn leiten.

Werden die Haarzellen Lärm ausgesetzt, können sie ermüden – das erklärt, warum man nach einem Konzert oft zunächst nur noch dumpf hört oder gar einen Tinnitus erleidet. Bei anhaltend hoher Schallbelastung oder kurzen, sehr hohen Schallpegelspitzen drohen Dauerfolgen: So wie bei einem Getreidefeld leichte Windböen keinen Schaden anrichten, heftige Windstöße aber Halme abknicken lassen, können einzelne Härchen im Innenohr bei einer starken Welle der Flüssigkeit dauerhaft umgeknickt bleiben und damit ihre Funktion verlieren.

WHO: Besser keine In-Ear-Kopfhörer

Kaputte Härchen wachsen nicht nach, auch im Jugendalter verlorene nicht – lärmbedingte Hörschäden können lebenslang nicht mehr geheilt werden. Und klar sollte sein: Ob Vereinsamung, höheres Sturzrisiko oder deutlich früher einsetzende Demenz – wer schon früh Hörschäden hatte, ist im Alter gefährdeter, Probleme zu bekommen.

Den Ohren sollten darum nach großen Lärmbelästigungen, aber auch grundsätzlich Pausen gegönnt werden, empfiehlt der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte. „Von Zeit zu Zeit sollte man dem Lärm der Umwelt gezielt entgehen. Hierzu ist ein Leseabend genauso geeignet wie ein Spaziergang in der Natur.“

Die WHO rät, Musik über 100 Dezibel nicht länger als eine Viertelstunde am Tag zu hören. Beim Besuch von Veranstaltungen und lauten Orten sollten Ohrstöpsel getragen werden. Bei Kopfhörern solle auf aufliegende anstatt In-Ear-Modelle zurückgegriffen werden, die zudem idealerweise in der Lage sein sollten, Umgebungsgeräusche zu reduzieren. Das Noise-Cancelling erlaube, eine niedrigere Lautstärke einzustellen. Außerdem seien die meisten Smartphones mittlerweile in der Lage, bei bestimmten Kopfhörermodellen die Lautstärke einzuschätzen und zu warnen, wenn die Musik zu laut sei. (dpa)