Kolumnist Magnus Heier hat vor fünf Jahren sein Gedächtnis verloren – kurzzeitig. Der beängstigende, aber harmlose Fall wurde nun verfilmt.
Beängstigend, aber nicht gefährlichDie Dunkelziffer bei kurzzeitigem Gedächtnisverlust ist hoch
Vor fünf Jahren hatte ich mein Gedächtnis verloren (ich hatte an dieser Stelle berichtet). Für einen Neurologen ein beängstigender, aber auch ein interessanter Vorgang. Nichts Neues konnte ich mir merken, gar nichts. Altes war da. Ich konnte mit den Arztkollegen in der finnischen Klinik auf Englisch über meine Diagnose diskutieren – hatte aber nach wenigen Augenblicken das Gespräch vergessen. Und fing wieder von vorne an.
Nach maximal 24 Stunden ist alles wieder normal. Meist schneller! Dieser Vorgang ist für Angehörige überaus beunruhigend – und völlig ungefährlich. Vor allem aber: Man selbst ist sich der Situation nicht wirklich bewusst. Sobald man merkt, dass etwas sehr Merkwürdiges passiert, hat man es wieder vergessen.
Ausgepackte Weihnachtsgeschenke ohne Bescherung
Ich habe meinen Fall journalistisch verarbeitet und über ihn berichtet. Und interessante Leserbriefe bekommen: Von einer Frau, die ihren eigenen Gedächtnisausfall nur bemerkte, weil in ihrer Wohnung ausgepackte Weihnachtsgeschenke lagen – sie wusste, hier war eine Bescherung, konnte sich aber nicht erinnern. Von dem Jäger, der ein ausgenommenes Reh in die Kühlkammer hängen wollte – wo schon eines hing, das nur er geschossen haben konnte.
Andere, die vorübergehend ihr Gedächtnis verlieren, aber alleine sind, dürften es schlicht nicht bemerken – weil sie sofort vergessen, was gerade eben komisch war. Die Dunkelziffer der sogenannten TGA, einer vorübergehenden globalen Gedächtnisstörung, ist groß.
Wenn die Seepferdchen vorübergehend die Arbeit einstellen
Es ist bekannt, was im Gehirn passiert – die „Seepferdchen“ (griechisch: Hippocampi), zwei Gedächtnis-Koordinations-Zentren, stellen vorübergehend die Arbeit ein. Es ist völlig unklar, warum sie das tun. Aber das Ergebnis ist fatal: Man lebt nur noch im Jetzt! Das „gerade eben“ ist weg. Daraus folgt: Man wiederholt Sätze, Fragen, Handlungen, weil man vergessen hat, dass man gerade schon gefragt hatte. Immer wieder.
Die Zeitspanne des „Jetzt“ ist nicht in Minuten zu messen. Sie ist genau einen Gedanken lang. Springt die Aufmerksamkeit zu etwas anderem, ist der vorherige Gedanke weg. Und er bleibt weg, denn er wurde nie aufgezeichnet. Bei mir bleibt ein Erinnerungsloch von gut zwölf Stunden. Das ich aber aufgefüllt habe mit Erinnerungen meiner Familie. Die ich von eigenen Erinnerungen mittlerweile nicht mehr unterscheiden kann.
Ein „interessantes Phänomen“, aber keine Krankheit
Diesen bizarren Gedächtnisausfall haben wir verfilmt. Für den Fernsehsender Arte. Mit den damaligen finnischen Ärzten. Die eine entscheidende Sache sehr richtig gemacht hatten: Sie haben mich davon überzeugt, dass ich zwar ein „interessantes Phänomen“ erlebt habe, aber keine Krankheit. Dass es nicht bedrohlich ist, keine Medikamente und keine Lebensänderung nötig sind.
Das läuft bei sehr vielen Patienten leider ganz anders. Zu viel Diagnostik, zu viel Vorsicht können dann krank machen. Mein Fall war – dank meiner Ärzte – anders. Unser Film läuft am Samstag, 26. Oktober, um 21:45 auf Arte. Und danach in der Mediathek: „Gedächtnisverlust – wenn das Gehirn plötzlich streikt“. Herzlich willkommen!