„Jungbullen-Phänomen“Junge Chefs sind oft Narzissten – Woran man sie erkennt
Köln – Als Riesenegos und Größenwahnsinnige werden Narzissten gerne bezeichnet, Menschen also, die um ihre vermeintliche Großartigkeit kreisen. Klar, ein bisschen Selbstverliebtheit steckt in uns allen, narzisstische Züge können helfen, besser durchs Leben zu kommen – ein gesundes Selbstbewusstsein etwa, Durchsetzungsfähigkeit oder Charisma. „Wenn der Hang zur Selbstdarstellung, zu ausbeuterischem, manipulativem Verhalten und Autoritätsanspruch aber zu stark ausgeprägt ist, das Leben bestimmt und das Umfeld belastet, sprechen wir von einer narzisstischen Störung“, sagt der Psychologe und Mitautor der weltweit größten Studie zu „Narzissten in Unternehmen“ Marcus Heidbrink.
Zur Person und Studie
Marcus Heidbrink (Foto Stefan Klaußner) ist Organisationspsychologe und Mitgründer des People-Analytics-Anbieters Zortify. Er unterstützt Aufsichtsräte und Inhaber bei der Besetzung von Positionen für das Topmanagement. Gemeinsam mit Wirtschaftsingenieurin und Führungskräfte-Coach Victoria Berg und Dr. Florian Feltes, Professor für Digital Leadership (Forschungsschwerpunkt: Erfolgsfaktoren von Gründer- und Innovationsteams) hat er die weltweit größte Studie zu "Narzissmus in Führungsetagen" veröffentlicht.
Die Studie: Heidbrink und sein Team haben im Jahr 2020 genau 9918 Deutsche, darunter 2510 Führungskräfte daraufhin untersucht, wie ausgeprägt ihr Narzissmus ist. Alle Befragten, also 100 Prozent, hatten in ihrer eigenen Karriere unmittelbare, negative Erfahrungen mit Narzissten gemacht und waren überzeugt, dass Narzissmus auf Führungsebene zerstörerische Auswirkungen auf Unternehmen hat. Am überraschendsten war jedoch: Vor allem die Unter-30-jährigen Chefs weisen die höchsten Narzissmus-Werte auf, nämlich 59,8 Prozent der männlichen und 51,5 Prozent der weiblichen (bei den Chefs zwischen 50 und 59 Jahren waren es 54,6 Prozent der Männer und 45,7 Prozent der Frauen).
„Die Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und Realität ist bei Narzissten riesig. Sie leiden meist unter innerer Leere und sind sehr auf die Aufmerksamkeit und Bewunderung anderer angewiesen." Misserfolg oder Kritik könnten dann zu Rachsucht, aber auch Depressionen führen. Der Begriff stammt übrigens aus der griechischen Mythologie: Der Jüngling Narziss verliebt sich in sein Spiegelbild und weist die Liebe aller anderen zurück. „Dieser Mythos thematisiert das Um-sich-selbst-Kreisen, und die daraus resultierende geringe Wahrnehmung auf die Umwelt“, sagt Heidbrink. Weshalb handfeste Narzissten auch wenig empathisch und verträglich bis zerstörerisch sein können.
Das Jungbullen-Phänomen: Wer sind die Narzissten unter uns?
Narzissmus ist in Führungsetagen erschreckend weit verbreitet. „In der Gruppe der obersten Chefs und Firmeninhaber zeigte fast jeder fünfte hohe Narzissmuswerte, bei den Frauen jede sechste.“ Die gute Nachricht: „In unserer Gesellschaft generell haben wir überwiegend schwache Werte gemessen, wir haben in Deutschland also kein generelles Narzissmus-Problem“, sagt Heidbrink. Narzissmus korreliere aber stark mit den Faktoren Alter und Geschlecht. „In unserer Studie hatten Männer in allen Altersgruppen viel höhere Werte als Frauen, je nach Altersgruppe zwischen sieben und zwölf Prozent." Auch in den Studien eines Forscherteams der Universität in Buffalo waren drei Viertel der ausgemachten Narzissten männlich.
Doch das verblüffendste Ergebnis der Studie der Kölner Forscher Marcus Heidbrink, Viktoria Berg und Florian Feltes ist: Jüngere Erwachsene sind heute, vor allem in Führungspositionen, viel narzisstischer als frühere Generationen. „Das zeigt, dass Narzissmus, wie häufig angenommen, kein Problem alter Männer ist. In unseren Studien haben gerade die jungen Männer – und sogar Frauen der Generation U 30 – die höchsten Werte. Wir nennen es das Jungbullen-Phänomen“, sagt Heidbrink und nennt zwei Ursachen: Die stark individualistische, auf Selbstoptimierung und Selbstdarstellung getrimmte Kultur der westlichen Welt und - Stichwort Generation Selfie – der sozialen Medien. Heidbrink: „Schätzte man es früher sehr, wenn jemand empathisch war oder sich für die Gemeinschaft engagierte, sind es heute eher die hohe Leistungsbereitschaft, erfolgreiche Selbstdarstellung und der individuelle Wettbewerb, die Menschen erfolgreich machen.“
Woran erkenne ich, ob mein Chef narzisstisch ist?
Natürlich gibt es kein Abziehbild eines Narzissten, sondern verschiedene Ausprägungen und Typen von Narzissmus. Aber es gibt bestimmte Anzeichen, die stark darauf hindeuten, ob eine Führungsperson narzisstisch ist. Heidbrink: „Wenn Sie sich unter ihrem Chef ständig schlecht und klein fühlen, er Ihnen das Gefühl gibt, alles falsch zu machen, wenn Ihr Selbstbewusstsein also stetig schwindet, sollte das ein erster Warnschuss sein.“ Anzeichen Nummer zwei: Die Führungsperson heftet sich den Erfolg ihrer Mitarbeiter ans eigene Revers, nimmt – drittens – ihr Team nicht wahr und ist generell wenig empathisch. „Das spüren Sie, indem Sie das Gefühl haben, nicht wahrgenommen zu werden, keine Rolle beim Erfolg zu spielen“, erklärt Heidbrink.
Auch typisch sei, dass narzisstische Chefs auf gleicher oder höherer „Rangstufe“ super auftreten, sich ihren Mitarbeitern gegenüber aber nicht wertschätzend verhalten. Heidbrink: „Narzissten verstehen sich als Geschenk an die Menschheit, weshalb ihnen selbstverständlich Erfolg, Lob, Anerkennung und bestimmte Privilegien zustehen würden. Sie müssen sich selbst und der Umwelt permanent beweisen, dass sie etwas Besonderes sind – und etwas Besonderes besitzen, ein einzigartiges Auto, die beste Dauerkarte beim Fußballspiel, nicht irgendeine, sondern eine sehr seltene Uhr. Es muss nicht immer das teuerste sein, mit dem sie prahlen, aber immer etwas Außergewöhnliches.“
Werden Chefs durch ihre Position zu Narzissten?
„Eine narzisstische Störung ist zwar in der Persönlichkeit verankert. Aber Narzissten suchen sich das richtige Spielfeld, auf dem sie strahlen und glänzen können. Spitzenpositionen bieten ihnen diese Bühne“, sagt Heidbrink. In Führungspositionen anzukommen sei deshalb ihre stärkste Energiequelle. Sind sie dort gelandet, würden die meisten Unternehmen sie meist dulden und ihr narzisstisches Verhalten belohnen – mit verheerenden Folgekosten für die Unternehmen selbst und auch die Mitarbeiter. „Da der narzisstische Glaube an das idealisierte Selbst um jeden Preis genährt und keinesfalls zerstört werden darf, muss negatives Feedback unverzüglich entwertet, Fehler vertuscht werden.“ Was Lug und Betrug die Tore öffne. Hinzukomme, das narzisstische Chefs meist nur an sich selbst und ihrem persönlichen Erfolg interessiert sind und nicht an dem des Unternehmens, ebenso wenig wie an einem guten Betriebsklima. Heidbrink: „Das demotiviert die Mannschaft, schreckt Führungstalente ab und führt zum so genannten Brain-Drain, die Firma verliert talentierte Mitarbeiter.“
Wie gehe ich mit einer narzisstischen Führungskraft um?
Heidbrink rät zu etwas, was zunächst paradox wirkt: „Loben Sie ihre narzisstische Führungskraft, geben Sie öfter positives Feedback, damit bedienen Sie deren krankhaftes Ego, ihr Selbstwertgefühl steigt und Sie sind erstmal aus der Schusslinie.“ Auf keinen Fall aber sollten sich Mitarbeiter ständig mit ihr anlegen oder widersprechen: „Diese Person kann andere nach einer persönlichen Niederlage oder Kritik nie mehr gewinnen lassen, im Gegenteil: Eine Kränkung treibt Narzissten in den Rachemodus, selbst wenn sie dabei selbst mit untergehen.“ Auch wichtig sei, zu wissen, dass Narzissten nicht zu ändern sind, ihnen kein sozialverträgliches Verhalten beizubringen ist. „Sie suchen ein Coaching oder eine Therapie nur auf, weil sie wollen, dass sich ihr Umfeld ändert, denn sie sehen den Grund für Ärgernisse ausschließlich bei Dritten“, sagt Heidbrink. Was auch helfe: Distanz zu wahren und nur das beruflich Nötigste an Kontakt zu pflegen, klar abzugrenzen, an welcher Stelle und zu welchen Themen man mit welchem Ziel zusammenarbeitet.
Schließlich rät Heidbrink dazu, das Verhalten des Narzissten nicht persönlich zu nehmen. „Vor allem Frauen neigen dazu, die Fehler bei sich zu suchen. Sie sollten sich stattdessen klarmachen, dass ein Narzisst Minderwertigkeitsgefühle hat, mit denen er nicht umgehen kann.“ Wie so oft im Leben, liegt ein weiteres Gegengift im Zusammenhalt des Teams. „Narzissten schaffen es immer wieder aufs Neue, dass man sich wie im Vollwaschgang fühlt und nicht mehr weiß, wo oben und unten, was richtig und falsch ist. Im Austausch mit den Kollegen aber wird schnell klar, wer das Problem ist. Ein Narzisst wird machtlos, wenn sich ihm ein starkes Team entgegenstellt.“ Klar ist: Wer ein Narzissten zum Chef hat, braucht einen guten Plan, um nicht auszubrennen oder innerlich zu kündigen.
„Wer dem narzisstischen Chef aber nicht auf Distanz halten kann, und beruflich wie seelisch zu stark unter ihm leidet, sollte das Umfeld verlassen und die Kündigung einreichen.“ Um in einem anderen Unternehmen die Energie wieder in die persönliche Weiterentwicklung zu investieren – statt in den Kampf gegen eine toxische Persönlichkeit. Wenn dort eine Kultur herrscht, die nicht den Einzelnen strahlen lässt sondern den Erfolg der Firma in den Vordergrund stellt, sind die Aussichten auf eine schnelle Genesung hervorragend.
Ist mein Chef ein Narziss? Eine Checkliste
Nach dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-IV) müssen mindestens fünf dieser Symptome für die Diagnose der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung vorliegen:
- ein übertriebenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit
- Phantasien von grenzenlosem Erfolg, Macht, Schönheit oder idealer Liebe
- Der Glaube, besonders und einzigartig zu sein und nur von besonderen Personen verstanden zu werden
- Die Erwartung an übermäßige Bewunderung vom Umfeld
- Die Erwartung, von anderen besonders bevorzugt behandelt zu werden
- Das Ausnutzen anderer, um die eigenen Ziele zu erreichen
- Wenig Empathie; das Unvermögen und/oder der Unwillen, sich in andere hineinzuversetzen
- Neid auf andere
- Arrogantes und überhebliches Verhalten
Dementsprechend weisen narzisstische Führungspersönlichkeiten folgende Merkmale auf:
Narzisstische Chefs …
- ... umgeben sich mit Ja-Sagern und entwerten kritische Feedbackgeber
- ... agieren gegenüber ihren Mitarbeitern rücksichts-, skrupellos und manipulativ, instrumentalisieren sie für den eigenen Machterwerb, lassen sie fallen, wenn sie nicht mehr nützlich sind
- ... loben nicht, fordern aber Lob und Anerkennung für sich ein
- ... sind Einzelkämpfer und schlechte Team-Player
- ... betreiben keinen guten Informationsaustausch
- ... verbuchen die Erfolge anderer für sich, schreiben Misserfolge anderen zu oder interpretieren sie um in Erfolge
- ... nehmen keine Kritik an, gestehen keine Fehler ein, schaffen bei Kritik oder Misserfolg Gegenwahrheiten, tendieren dann zur Vertuschung, Lüge oder zum Betrug
- ... fordern ungerechtfertigt Privilegien ein
- … verfolgen eigene Ziele statt die des Unternehmens