Neues Verfahren in KölnWie Mikrotherapie bei Rückenschmerzen hilft
- Mediziner Dietrich Grönemeyer erklärt, wie Mikrotherapie bei Rückenschmerzen helfen und eine Operation vermeiden kann.
- Der Bruder von Sänger Herbert Grönemeyer fasst die wichtigen Aspekte des Verfahrens zusammen und erklärt, warum heute selbst schon 70 Prozent aller Jugendlichen Rückenschmerzen haben.
- Die Gefahr für einen sogenannten Handynacken und Buckelbildung steigt rasant. Aber auch Sportler begehen oft einen großen Fehler.
Wer jemals gefühlte zehn Minuten brauchte, um sich mit verzerrtem Gesichtsausdruck aus der sitzenden Position ins Stehen zu bringen und höchstens noch die Haltung eines schiefen Fragezeichens einnehmen kann, dem muss man nichts mehr über Rückenschmerzen erzählen. Dietrich Grönemeyer auch nicht. Der Mediziner hat keine, sondern er therapiert Rückenschmerzen mit der so genannten Mikrotherapie. Das Verfahren wendet er nicht nur am Grönemeyer-Institut in Bochum an, sondern es wird ebenfalls in anderen Städten praktiziert, seit kurzem auch in Köln.
„Der Rücken“, so Grönemeyer, „versorgt den gesamten Körper mit Nervenbahnen – vom Hals bis zur Fußspitze“, was Rückengeplagte unumwunden bejahen. Grönemeyer setzt an diesen Nervenbahnen an. Er und sein Ärzte-Team arbeiten ohne Skalpell. Bei den ausschließlich ambulanten Behandlungen werden dort, wo die Ursache der Erkrankung und des Schmerzes diagnostiziert wird, keine Schnitte gemacht, sondern Miniatur-Tunnel gelegt. Auf diesem Weg wird mit Sonden, nicht größer als einen Millimeter, Miniaturzangen und Lasertechnik gearbeitet.
Die betroffenen Nervenenden werden mit Kortison, verdünnt mit Kochsalzlösung, oder mit Eigenblut-Extrakten, bei Bedarf auch Opiaten oder homöopathischen Mitteln wie Traumeel behandelt. Eingriffe an Nerven sind heikel, Risiken nicht unerheblich und ärztliche Fehler meist irreparabel. Grönemeyer weiß das.
Den technischen Ablauf eines solchen Eingriffs kann zwar jeder Arzt erlernen, zumal mittlerweile mit einer Art Navi der Eingriff exakt gesteuert werden kann, jedoch, so Grönemeyer: „Entscheidend bei dieser Therapie ist das Wissen, wie die kleinen Nerven behandelt werden müssen, welche Art der Entzündung vorliegt, ob sie ursächlich durch eine andere Erkrankung entstanden ist, welche Dosis von welchem Mittel angebracht ist.“
Wichtig auch: „Da in Nachbarschaft des Rückgrats Arterien, Venen, Lunge und Darm liegen, ist höchste Sorgfalt angesagt.“ Was der Experte unbedingt können muss: Die Schnittbilder „lesen“, die mittels Computertomographie, die eine geringe Strahlenbelastung hat, oder Kernspintomographie/MRT, ohne Strahlenbelastung, gemacht werden. Der Radiologe Dietrich Grönemeyer ist in seiner medizinischen Laufbahn mit bildgebenden Verfahren groß geworden. Als Strahlentherapeut war er in jungen Jahren unter anderem auf dem Gebiet der Lokalanästhesie tätig „und wollte schon immer wissen, wohin die Spitze der Spritze geht“. Seine Neugier und die Möglichkeiten, mittels Bildgebung in alle Bereiche des Körpers vorzudringen, waren für ihn in den 1980er Jahren die Geburtsstunde der Mikrotherapie.
Beschwerden im Jugendalter
„Mit bildgebenden Verfahren kann ich während der Behandlung genau sehen, was ich mache. Ich habe alles vor Augen. Ich sehe die Strukturen und ich plane dementsprechend den Weg in den Körper. Ich schneide nicht und zerstöre keine Strukturen, ich punktiere.“ Sein bisher jüngster Patient ist 13 Jahre alt – Bandscheibenvorfall, und bedauerlicherweise keine Ausnahme. „70 Prozent aller Jugendlichen haben bereits Rückenschmerzen“, sagt Grönemeyer. Der Mediziner schätzt, dass das Leiden in jungen Jahren zukünftig noch forciert wird, „weil der sensible Nacken-Hals-Bereich, auf dem der bewegliche Kopf sitzt, enorm belastet wird durch stundenlanges Arbeiten am PC und unentwegtes Starren auf das Handy. Die Gefahr ist, dass man einen Handynacken bekommt und eine Buckelbildung riskiert.“
Es gebe zwar noch keine Studien dazu, aber es sei deutlich abzusehen, dass es sich in diese Richtung entwickle. „Der Praxisalltag spiegelt dies bereits wider.“Genauso sensibel wie der Kopf-Hals-Nacken-Bereich und genauso anfällig für Beschwerden ist die Lendenwirbelsäule. Auch hier ist der Übergang zum beweglichen Becken eine der „Sollbruchstellen“ im Halteapparat.
Hinzu kommt, dass die Lebensweise vieler Menschen Wirbelsäule und Rücken schädigen. „80 Prozent aller Rückenschmerzen“, so der Mediziner, „resultieren entweder aus Muskelverspannungen, haben ihre Ursache in mangelnder Bewegung oder aufgrund zu viel und falscher Bewegung. Hinzu kommen psychischer Druck und Angst, die aber nicht Ursache von Rückenbeschwerden sind, sondern bereits vorhandene Defizite in unserem Bewegungs- und Halteapparat verstärken.“
Zu den falschen Bewegungen zählt Grönemeyer, dass man nach dem Sport seinen Muskeln, Sehnen, Bändern und Knochen keinen erholsamen Ausgleich bietet. „Leider ist die alte, aber gute Gymnastik nicht mehr im Trend und daher vielen als Bewegungsart fremd. Wenn ich aber eine Muskelgruppe beanspruche, dann muss ich sie auch entspannen und für Balance und Harmonie in den Strukturen sorgen: indem man sich dehnt, streckt und dreht.“
Ins Grönemeyer-Institut Bochum kommen nicht die Akut-Fälle, sondern meist die, die von chronischen Rückenschmerzen oder Bandscheibenvorfällen geplagt werden und als Schmerzpatienten „in Einzelfällen schon bei 24 anderen Ärzten waren“.
Der Behandlung gehen Gespräche, Befragungen und körperliche Untersuchungen voraus, „damit wir sehen können, wie Bewegung und Laufverhalten sind, denn oftmals werden über die Füße und durch falsche Fußbehandlungen Rückenschmerzen ausgelöst“. Zudem wird abgeklärt, ob die Ursache für Rückenschmerzen eventuell aus dem Bauchraum kommt oder durch den Darm ausgelöst wird. Je nach Befund und Schmerzgrad wird zuerst versucht, mit Bewegung den Schmerz zu bekämpfen. „Oder aber eine Mikrotherapie in Kombination mit Physiotherapie und Massagen kommt zum Einsatz, um die Schmerzpunkte zu behandeln und die Funktion wieder herzustellen“, erklärt Grönemeyer, der kein Freund von schmerzlindernden Pillen bei Rückenschmerzen ist: „Ich verordne selten Schmerzmittel oder Psychopharmaka. Ich appelliere zuerst an die Selbstverantwortung, empfehle Bewegung, Akupunktur, den Gang zum Physiotherapeuten, Osteopathen oder verweise auf Naturheilmittel. Warum nicht konservative Therapien anwenden, anstatt drei Wochen lang Pillen zu schlucken. Und wenn schon Schmerzmittel, dann doch lieber Teufelskralle oder Weidenrinde.“
Nur lokale Betäubung
Ist der mikrotherapeutische Eingriff unumgänglich, wird der Patient nur lokal betäubt. „Wir betäuben nur die kleinen Nerven, nicht die großen, die die Muskeln aktivieren.“ Ob der Patient während des Eingriffs leichten Schmerz oder gar keinen Schmerz spürt, hängt vom Therapeuten ab. Dietrich Grönemeyer, der sich selbst als „Schisser“ bezeichnet und keine Schmerzen spüren will, sagt: „Ich weiß, welche Strukturen schmerzhaft sind und wie man schnell über diese Stellen gehen kann, bevor der Schmerz aktiviert wird. Für diese Methoden kämpfe ich schon seit Jahr und Tag.“ Doch jeder Eingriff, auch wenn er noch so gut gemacht ist, birgt Risiken, genauso wie jedes Arzneimittel Nebenwirkungen hat. „Es ist extrem selten, aber es kann sein, dass der lokale Schmerz sich anfänglich verstärkt oder Einblutungen entstehen, was sich wieder reguliert.“
Mittlerweile übernehmen die meisten Betriebskrankenkassen, die Bundesknappschaft, Techniker und Innungskrankenkassen die Kosten für mikrotherapeutische Eingriffe. Manche Patienten müssen bis zu drei oder vier Mal im Jahr kommen. „Nicht helfen kann ich bei allen Tumoren innerhalb des Rückenmarks und am Wirbelkanal, auch nicht bei Abszessen und Entzündungen an der Wirbelsäule und den Bandscheiben. Bei bestimmten kleinen Metastasen ist es möglich, zusammen mit dem Onkologen zu überlegen, was sinnvoll ist.“
Info und Veranstaltung
Laut DAK-Gesundheitsreport 2018 leidet jeder Siebte an chronischen Rückenschmerzen. Fast die Hälfte der Betroffenen ließ sich in Kliniken als Notfall aufnehmen. 75 Prozent aller Berufstätigen hatten 2017 mindestens einmal Rückenschmerzen, was hochgerechnet auf die erwerbstätige Bevölkerung rund 35 Millionen Ausfalltage im Job zur Folge hat. Rückenschmerzen sind die zweitprominenteste Einzeldiagnose bei Arbeitsunfähigkeit. Weitere Angaben im DAK-Report: 77 Prozent leiden unter Schmerzen der Lendenwirbelsäule, 42 Prozent haben Probleme mit dem Nacken, 17 Prozent mit der Brustwirbelsäule. (mas)
„Das Kreuz mit dem Kreuz – Der Rücken ist mehr als nur ein Körperteil“Freitag, 13. September, 19 Uhr, studio dumont, Breite Straße 72, Köln
Experte im Gespräch:Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, Mediziner und Buchautor
Moderation:
Marie-Anne Schlolaut
Karten: 15 Euro, 13 Euro mit Abocard, jeweils inkl. VVK-Gebühren, ab sofort erhältlich.
Abendkasse 17 Euro,15 Euro mit AbocardAbocard: 0221/ 28 03 44www.abocard.de/ticketkölnticket: 0221/ 28 01www.koelnticket.de