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Sohn reanimiert Vater„Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich ihm die Rippen breche“

Lesezeit 6 Minuten
Vater Stefan Rick (54) und Sohn
Enrico (28) Rick vor dem Evangelischen Krankenhaus in Köln Kalk.

Ohne ihn hätte er es nicht bis ins Krankenhaus geschafft: Enrico Rick (28, links) hat seinen Vater Stefan Rick (54) eine Viertelstunde lang reanimiert, nachdem der einen plötzlichen Herztod erlitten hat.

Als Stefan Rick umkippt, denkt Enrico nicht lange nach: Er ruft den Notarzt, reanimiert den Vater. 15 Minuten. Die Geschichte einer Rettung.

Eigentlich will Enrico Rick nur schnell runter zum Kiosk. Der Vater ist gerade zurückgekehrt von einer Woche Montage als Gerüstbauer, es ist der Juni 2023 und sehr warm und der Vater hat Lust auf sein Lieblingsgetränk: Cola. Auf dem Weg zur Tür dreht Enrico Rick sich nochmal kurz um – und sieht, wie sein Vater aufs Bett stürzt. „Er hat keine Geräusche gemacht, aber ich habe sofort gemerkt, dass da irgendetwas nicht stimmt“, erzählt Enrico Rick. Der 28-Jährige hilft dem Vater auf, lehnt ihn an seine Brust, stützt ihn mit der linken Hand, schnappt sich mit der rechten das Handy und ruft den Rettungswagen. „Während des Telefonats sind wir zusammen umgekippt und ich habe meinen Vater in die stabile Seitenlage gebracht.“

Stefan Ricks Herz bleibt einfach stehen

Doch der Mitarbeiter in der Rettungszentrale am anderen Ende der Leitung versteht sofort, was Sache ist: Stefan Ricks Herz hat aufgehört zu schlagen, es pumpt kein Blut mehr in den Körper, die Organe, allen voran das Gehirn, werden nicht mehr mit frischem Sauerstoff versorgt. Enricos Vater erleidet einen plötzlichen Herztod – so wie etwa 65.000 andere Menschen in Deutschland pro Jahr. Und doch muss diese Diagnose kein Todesurteil sein, denn etwa zehn Prozent dieser Menschen überleben – wenn sie schnell genug gefunden und reanimiert werden. Ein Fakt, auf den die „Deutsche Herzstiftung“ in den Herzwochen in diesem November aufmerksam machen will.

Deswegen weist der Mitarbeiter in der Zentrale Enrico Rick an, den Vater auf den Rücken zu drehen und sofort mit der Herzmassage zu beginnen. Enrico Rick ist wie sein Vater Gerüstbauer, hat mehrere Erste-Hilfe-Kurse gemacht und sogar einen Sicherheitsschein. „Doch ohne den Sanitäter am Telefon hätte ich es nicht geschafft“, sagt er. „Ich hatte sogar einen regelmäßigen Piep-Ton in der Leitung, der mir den Takt für die Herzmassage vorgegeben hat.“ Zwölf Minuten dauert es, bis der erste Rettungswagen an Enrico Ricks Wohnung in Buchheim eintrifft, drei weitere, bis alles so weit vorbereitet ist, dass ein Sanitäter die Herzmassage für Rick übernehmen kann. Eine ganze Viertelstunde, in der Enrico Rick den Vater mit dem Druck seiner Hände am Leben erhält und ganz nebenbei den neunjährigen Sohn noch ins Wohnzimmer zum Fernsehgucken schickt – um ihm die verstörende Situation zu ersparen.

Enrico Rick funktioniert einfach

Enrico Rick selbst funktioniert in dieser Viertelstunde einfach, ist fokussiert auf das, was getan werden muss. „Die Sanitäter waren total überrascht, dass ich alles in die Wege geleitet und diese Viertelstunde Herzmassage durchgehalten habe“, erzählt Rick. Dazu muss man wissen: Im Krankenhaus wechseln sich Ärzte und Pfleger alle zwei bis drei Minuten mit dem Drücken ab, weil es so extrem anstrengend ist. Enrico Rick aber sagt: „Körperliche Dinge spielen in diesem Moment keine Rolle. Ich habe überhaupt nicht gemerkt, dass es anstrengend ist. Und ich weiß nicht, welche Situationen die Rettungskräfte sonst vorfinden. Aber für mich war es ganz normal, was ich da getan habe.“

Der Vater bekommt von all dem nichts mit. Schon zwei Jahre vorher hatte er Herz-Kreislaufprobleme, brach auf der Straße zusammen und kam ins Krankenhaus. Dort wurden ihm zwei Stents eingesetzt, kleine Metallhülsen, die die Blutgefäße rund um das Herz offenhalten. Stefan Rick bekam damals auch Medikamente verschrieben. „Doch die hatten so viele Nebenwirkungen, deswegen habe ich sie irgendwann nicht mehr genommen“, gesteht der 54-Jährige heute. Stattdessen trank der Kölner Zitronensaft und ging wieder arbeiten, baute Gerüste an den unterschiedlichsten Orten in Deutschland auf. Der Sohn sagt, der Vater habe einen „rauen Lebensstil“ gehabt. Viel getrunken, viel geraucht, keinen Sport gemacht.

Stefan Rick wird neunmal defibrilliert

Beim zweiten Zusammenbruch im Juni hätte Stefan Rick es fast nicht zurück ins Leben geschafft. Obwohl der Sohn ihn vorbildlich reanimiert, müssen die Sanitäter den Vater sechsmal vor Ort defibrillieren, ihm immer wieder Adrenalin spritzen und ihn schon in der Wohnung ins künstliche Koma versetzten. „Die Sanitäter haben so viele Geräte in unsere Wohnung geschafft – es sah aus wie im Krankenhaus“, erinnert sich Enrico Rick. Vor dem Haus stehen irgendwann fünf Rettungswagen. Insgesamt dauert es 45 Minuten, bis der Vater überhaupt transportfähig ist. Stefan Rick wird ins Evangelische Krankenhaus Köln Kalk gebracht, das auf die Behandlung reanimierter Patientinnen und Patienten spezialisiert ist. Hier muss er noch weitere drei Male defibrilliert werden, er bekommt eine Notfall-Herzkatheteruntersuchung, in der ihm ein weiterer Stent eingesetzt wird. Eine Woche lang liegt Stefan Rick im künstlichen Koma.

Enrico Rick und Vater Stefan Rick im Evengelischen Krankenhaus Köln Kalk im Gespräch mit Kardiologe Dr. Frank Eberhardt.

Regelmäßig muss Stefan Rick den implantierten Mini-Defibrillator im Evangelischen Krankenhaus Köln Kalk bei Dr. Frank Eberhardt kontrollieren lassen. Sonst hat sich für den Kölner nichts verändert.

Als er wieder wach wird, fragt er seinen Sohn, wo denn die Cola sei. „Da wusste ich, dass er wieder zu hundert Prozent da ist“, sagt Enrico Rick und schmunzelt. Stefan Rick entgegnet: „Das war das letzte, woran ich mich erinnert habe.“ Der Zusammenbruch, die Reanimation, das künstliche Koma – diese sieben Tage haben für den Kölner einfach nicht stattgefunden. Sein Leben wurde auf Pause gestellt. Der Tod, diese berühmten letzten Sekunden, in denen sich das Leben wie im Zeitraffer vor dem inneren Auge abspielen soll – alles Quatsch, sagt Stefan Rick. Für ihn geht das Leben da weiter, wo es gestoppt hat: In der Buchheimer Wohnung und mit dem Gedanken daran, dass er den Sohn zum Kiosk geschickt hatte. „Ich hab auch erst überhaupt nicht verstanden, dass ich im Krankenhaus bin und dachte, der Arzt will mich für blöd verkaufen.“

Bei der Reanimation ist nur Handeln wichtig

Am Ende des Krankenhaus-Aufenthalts wird Stefan Rick ein Mini-Defibrillator eingesetzt. Aber mal abgesehen von dem kleinen technischen Gerät in seiner Brust ist er ganz der Alte, hat keinerlei Einschränkungen und sich so schnell erholt, dass er nicht mal in die Reha musste. Die vergangenen Monate war er krankgeschrieben. „Das war sehr langweilig“, erzählt er. „Ich bin dankbar, dass alles so gut ausgegangen ist und hoffe, dass es nicht noch ein drittes Mal passiert. Aber alles andere ist wie zuvor“, sagt der Vater. Und der Sohn: „Also ich nehme das Leben jetzt schon anders wahr. Diese Sache hat mir deutlich gemacht, dass der Tod näher ist als man denkt.“ Und noch eins habe er gelernt: Bei der Reanimation sei nur Handeln wichtig. „Das Drücken ist nicht das Schwierige, sondern die Angst, etwas falsch zu machen. Aber ich habe nicht eine einzige Sekunde daran verschwendet, ob ich meinem Vater vielleicht eine Rippe brechen könnte.“ Hat er übrigens nicht.

Seit dieser Woche geht der Vater wieder arbeiten, seine Gerüste baut er aber jetzt nur noch in Köln auf, nach Feierabend kehrt er in die Buchheimer Wohnung zu Sohn und Enkel zurück. „Da passt einer auf den anderen auf“, sagt er. Seine Medikamente nimmt Rick, er habe mit den Ärzten einen Weg gefunden, um die Nebenwirkungen zu reduzieren. Er achtet jetzt mehr auf sich, macht ein bisschen Sport, hat aufgehört zu rauchen. Nur ein Laster bleibt: die Cola.